Sind Schriftsteller nicht irgendwie auch Priester?
Zwei nichtgläubige Schriftsteller diskutieren beim Katholikentag: Ingo Schulze, seit den "Simple Stories" Stimme der neuen Bundesländer, und Frank Witzel, der für "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" den deutschen Buchpreis erhielt.
Ist Literatur nicht irgendwie wie Fronleichnam, der katholischste aller Feiertage? An Fronleichnam wird die Verwandlung von Wein und Oblate durch die Worte des Priesters in Blut und Leib Jesu gefeiert. Und ist nicht der Schriftsteller irgendwie auch so ein Priester: sein Wort verwandelt noch die schnödeste Wirklichkeit?
Schulze: "Ich glaube, das gelingt jedem, v.a. Kindern gelingt das, die nehmen ja irgendwie nen Stein, und das ist – ich weiß nicht, ein Kipper oder der Weihnachtsmann oder was auch immer, ich denke, dass unsere Imagination so stark ist, wenn man sich Geschichten ausdenkt, da wird irgendetwas zu irgendetwas."
Apropos Weihnachtsmann: Der Herr mit der roten Mütze – für Frank Witzel ein hervorragender Botschafter für den ewigen Konflikt zwischen Verzauberung der Welt und Blick für die Realitäten.
Witzel: "Ich hab das bei meiner Tochter ganz bewusst erlebt, vor Weihnachten, wo sie eigentlich weiter dran glauben wollte, dass das Christkind die Geschenke bringt, aber sie wusste, dass wir unten dieses Playmobil-Krankenhaus zusammenbauen, und ich hab bemerkt, dass dieser Verlust des Symbolischen wirklich ein Verlust ist und das der durch irgend etwas ersetzt werden muss."
Schulze: "Ich hab ja diverse Auftritte als Weihnachtsmann hinter mir, das ist auch so ein Ost-West-vielleicht-Unterschied, und selbst in dem meine Kinder kapierten, das ich das bin, hatten die noch mal ganz anders Respekt vor mir als ohne Bart."
Beim Schreiben ist für Ingo Schulze quasi immer Weihnachten. Potenziell jedenfalls.
Schulze: "Das ist ja keine Sache, die nur an die Kindheit gebunden ist. Es kommt drauf an, wie man in die Welt sieht. Jemand kann natürlich überall Wunder entdecken, und jemand sagt, es ist alles nur Zufall."
Mehr als nur Weihnachtsmänner
Aber Ingo Schulze und Frank Witzel haben nicht nur Erfahrung als Weihnachtsmann:
Witzel: "Ich hatte tatsächlich den Gedanken, Priester zu werden. Aber das war glaub ich in einer Zeit, wo ich noch nicht wusste, dass es auch so etwas wie Sexualität gibt. Dann wollte ich Schauspieler werden. Und dann doch schnell Schriftsteller irgendwann."
Schulze: "Ganz schöner Verfall."
Aber so leicht lässt der Moderator Ingo Schulze da natürlich nicht davonkommen.
Moderator: "Nun haben Sie uns eben erklärt, warum Sie Schriftsteller werden wollten, mit 15 noch Pfarrer, danach Schriftsteller... ."
Schulze: "Auch so ein Abstieg."
Schulze, protestantisch in Dresden großgeworden, hat sich mit 17 vom Glauben verabschiedet, sagt er: da waren zu viele Zufälligkeiten im Spiel, die er nicht mehr als unhinterfragbar verteidigen wollte. Frank Witzel war sehr selbstverständlich Messdiener im Hessischen – hätte man kirchlicherseits bloß nicht gedacht, dass da noch mehr geht:
Witzel: "In dem Moment, wo ich praktisch bekehrt werden sollte, ist genau das Gegenteil passiert: ich wurde praktisch erst aufmerksam, dass die Natürlichkeit des Glaubens, so wie ich sie empfunden habe, anscheinend von außen betrachtet gar keine ist."
Aber – und das ist auch ein für die gläubige Seele beruhigender Schluss – Priester und Schriftsteller sind für Schulze und Witzel letztlich doch beide vor allem Geschichtenerzähler. Nur eben mit unterschiedlichen Gewissheiten.
Witzel: "Ähnlich wie mit der Liebe, im Grunde die Anforderung an sich zu stellen, jenseits von einer Gewinnchance sozusagen zu glauben."
Schulze: "Da werde ich jetzt fast zum Kanoniker. Ich denke eben gerade, der Glaube ist die Entscheidung für die Gewinnchance."
Witzel: "Für mich eben nicht. Dann würde ich auch den Glauben ablehnen."