Schummrige Seelenzustände

Von Natascha Pflaumbaum |
Das Schauspiel Frankfurt zeigt Goethes "Faust": Stefan Pucher inszenierte den ersten Teil, Günter Krämer den zweiten. Einer fantastischen Materialschlacht steht ein poetischer Bühnenpurismus gegenüber.
Stefan Pucher hat sich von seiner Bühnenbildnerin Barbara Ehnes für seinen Frankfurter Faust I eine Art Wabe bauen lassen: Die stellt er wie ein begehbares Kunstwerk auf die dunkle Bühne, sie ist drehbar, besteht aus verschiedenen Etagen und kleinen Wabenkammern, in die man über Räuberleitern und Schlupflöcher klettert und kriecht. Die Wabe verändert sich ständig, Paneele klappen aus, Videos werden auf dreieckige Wände projiziert, Licht schafft Stimmungen, die mal grün, mal schummerig nicht nur Räume erleuchten, sondern Seelenzustände abbilden. Im Zentrum steht eine dreiköpfige Band, die oft zum Zuge kommt, die Hits, Selbstkomponiertes, manchmal auch nur Geräusche liefert.

Stefan Puchers Inszenierung ist eine fantastische Materialschlacht aus Video, Musik, Licht und Bühneninstallation. In die setzt er das Zweierspiel zwischen Faust und Mephisto, der sich verausgabt: zappelt, hüpft, singt, tanzt, Gitarre spielt, persifliert, schreit und dazwischen nur rummacht. Gretchen, Frau Marthe und Wagner und der Schüler verkommen zu Mephisto-Sidekicks und stehen spielerisch an der Wand, weil Mephisto ihnen (leider) den Raum nimmt. Allein Marc Oliver Schulze kann sich durch sein gedimmt exaltiertes Spiel des Dr. Faust gegen Scheer behaupten.

Dabei ist er schon gut: Alexander Scheer, der den Mephisto "rockt", an der Gitarre, als Sänger, der lustig ist, den Text respektlos radebricht, ihn leider einmal so sehr vergisst, dass die Aufführung ins Stocken gerät, obwohl Scheer mit allerlei Stegreifimprovisationen das Publikum bei Laune hält.

Stefan Pucher lässt den Originaltext mit zahlreichen Strichen spielen und zeigt so, wie unverständlich und wie missverständlich dieser alte Text sein kann, wenn man ihn mit dem Sprachverständnis von heute liest. Pucher nutzt das ironische Potential dieser Un- und Missverständnisse, indem er eine unfreiwillige Komik freilegt oder sie bisweilen auch frech unterschiebt. Es ist mutig und erfrischend, wie leicht er diesen Text nimmt.
Günter Krämer macht tags darauf aus Faust II eine Günter-Krämer-Show: mit allen Insignien des Krämerschen Regiestils: puristisch, reduziert – mit poetischen, geradezu archetypischen Requisiten und Bildern, die wie Urbilder des Unterbewusstseins funktionieren: eine weit schwingende Kinderschaukel, ein bühnengroßes weißes Seidentuch, das über die Zuschauer im Parkett hinwegweht, Wolkenvorhänge, die als Gaze im Bühnenraum schweben, ein nackter Frauenchor, eine nackte Helena (Valery Tscheplanowa), die wie die kleine Venus von Lucas Cranach ihre zerbrechliche Schönheit zelebriert.

Günter Krämer bespielt über drei Stunden lang fast ausschließlich die ganze Bühne, bringt sie durch seine Krämer-typischen am Boden positionierten sichtbaren Scheinwerferleisten von unten zum Leuchten, gibt dem sperrigen Text von Goethe so größtmöglichen Raum und gedimmtes Licht. Krämers Bilder sind so fein und akkurat komponiert, so "schön", dass sie lange im Gedächtnis bleiben, mehr noch als der Text, der beispielhaft deklamiert wird von Wolfgang Michael (Faust) und Constanze Becker (Mephisto). Beide Schauspieler sind Stars am Schauspiel Frankfurt, und dieser Abend belegt den Kult um beide denn auch nachdrücklich.

Wie lebendig diese Faust-II-Sprache heute sein kann, wenn Wolfgang Michael ihr Melodien und Töne von heute gibt, wie er ihr allein durch seinen schnöselig-nasalen Unterton hybriden Charakterklang verleiht: Michael füllt die Bühne wie eh und je allein durch sein Wesen, seine unverkennbare Stimme; Constanze Becker hingegen bespielt sie auf engsten Raum – in Frack, Zylinder, Stiletto-Sandale und Herren-Slipper.

Die beiden Frankfurter Goethe-Abende haben gezeigt, wie viel Goethes Text aushält – egal, ob man ihm laut oder leise beizukommen versucht.

Informationen des Schauspiels Frankfurt zur Inszenierung von "Faust"
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