Polen streitet über die EU-Konvention
Seit 2011 gibt es eine EU-Konvention zum Schutz vor häuslicher Gewalt. Die ist aber noch kaum ratifiziert, auch in Polen nicht. Einer der größten Gegner ist die katholische Kirche, die ums traditionelle Familienbild fürchtet.
Mariola ist erst 25, Mutter von zwei Kindern und eine erstaunlich lebensfrohe Frau, trotz ihrer Erfahrungen. Demütigung, Tritte, krankhafte Eifersucht – wie eine Litanei klingt das, was sie in fünf Jahren Ehe erlebte. Sie ist an einen Mann geraten, der seine Probleme in Alkohol ertränkte. Erkannt hat sie das nicht – zu jung, zu verliebt, zu gutgläubig. Nun ist aus der Hölle entkommen und lebt mit ihren beiden Töchtern in einem Frauenhaus.
"Jetzt habe ich Aussicht auf eine Schutzwohnung, möchte mein Studium fortsetzen. Wenn ich den Alltag mit einem solchen Mann und zwei kleinen Kindern gemeistert habe, dann wird es ohne ihn umso besser gelingen. Er war ein drittes Kind – ich musste waschen, kochen, was ihm schmeckt, sauber machen und ins Bett gehen, wenn er es sich wünschte."
Der Europarat geht davon aus, dass eine halbe Million Frauen in Europa ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Laut einer neuen Erhebung "Gewalt gegen Frauen", an der 28 Länder teilgenommen haben, sind Finnland und Dänemark die größten Sorgenkinder Europas. Bis zu 39 Prozent der Frauen geben dort zu, häusliche Gewalt erlebt zu haben. Polen schneidet mit seinen 19 Prozent erstaunlich gut ab. Doch der Schein trügt, sagt Iwona Wiśniewska vom Caritas-Zentrum für Gewaltopfer in Krakau. Trotz Kampagnen hüllen sich viele Opfer in Schweigen - aus Angst vor Richtern, milden Strafen oder Verlust der Wohnung, wenn die Opfer vor der Gewalt der Täter fliehen.
"Oft erlebe ich im Gerichtssaal irrationale Szenarien. Ein Gewaltopfer wird zum wiederholten Mal verwundet, sogar diskriminiert. Seinen Aussagen wird nicht geglaubt. Das Gesetz ist gut, doch die Verhandlungen dauern viel zu lange. Zu selten wird das Annäherungsverbot oder eine Gefängnisstrafe verhängt. Oft wird ein Prozess mangels Beweise eingestellt. Wir bräuchten mehr Bildungsmaßnahmen in Kindergärten und an Schulen."
Der Haken steckt im Detail
Wisniewska‘s Wünsche könnten bald in Erfüllung gehen, denn Polen hat als 16. Land die Konvention zur Bekämpfung der häuslichen Gewalt ratifiziert. Jetzt könnte die längst erwartete polenweite, rund um die Uhr erreichbare Notrufnummer kommen, neue Frauenhäuser werden entstehen und die Täter müssen mit harten Strafen rechnen. Ganze drei Jahre dauerte die Debatte um die Konvention und zumindest ein Punkt blieb unstrittig - die Gewalt muss bekämpft werden, der Opferschutz und präventive Maßnahmen stehen an oberster Stelle. Doch der Haken steckte im Detail des 80 Artikel umfassenden Werkes. Den Skeptikern, zu denen polnische Bischöfe, die oppositionelle Partei "Recht und Gerechtigkeit" sowie kleine Splittergruppen gehörten, war besonders Artikel 12 ein Dorn im Auge. Darin ist zu lesen:
Die Vertragsparteien stellen sicher, dass Kultur, Bräuche, Religion, Tradition oder die sogenannte Ehre nicht als Rechtfertigung für in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallende Gewalttaten angesehen werden.
Religion als Rechtfertigung für Gewalt? Für die polnischen Bischöfe eine falsche Zuschreibung, die die wahren Gründe für die Gewalt - Alkohol-, Drogensucht oder Pornografie – außer Acht lässt. Dazu noch eine gefährliche Verallgemeinerung, die den religiösen Menschen ein größeres Gewaltpotenzial unterstellt, sie nicht von den Fanatikern unterscheidet oder indirekt Laizismus propagiert. Insgesamt übermittle die Konvention ein voreingenommenes Bild der traditionellen Familie, die gerade in der polnischen Gesellschaft einen hohen Wert besitzt, meint Jacek Konieczny, Familienseelsorger in der Krakauer Kurie.
"Die Hauptaufgabe des Rechts ist, die Menschen zu erziehen. Und nicht alle unter Generalverdacht zu stellen, so dass die traditionelle Familie als Brutstätte des Verbrechens dargestellt wird. Viele haben jetzt Angst, ein Fremder könne bei einer Befragung und ohne handfeste Beweise feststellen, in einer Familie herrsche Gewalt. Folglich würde man den Eltern die Kinder entziehen."
Viel Öl ins Feuer goss außerdem der Artikel 3 der Konvention, indem das Geschlecht als rein soziales Phänomen definiert wird:
Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Begriff „Geschlecht“ die gesellschaftlich geprägten Rollen, Verhaltensweisen, Tätigkeiten und Merkmale, die eine bestimmte Gesellschaft als für Frauen und Männer angemessen ansieht.
Die Konvention propagiere "Gender-Ideologie und Homosexualität"
Diese Formulierung zeige, hieß es in einer Erklärung des polnischen Episkopats, die Konvention übergehe "natürliche biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau" und propagiere die "Gender-Ideologie und Homosexualität". Für Jacek Konieczny müsste die Konvention frei von ideologischen Einflüssen sein.
"Die Rechtsakte dieser Art dienen oft als Schutzschirm, um andere Interessen zu forcieren. Viele sagen, dass die Konvention gegen die Gewalt eine Kampfansage an unsere Ehe- und Familienvorstellung ist. Ich möchte es nicht bewerten. Aber die Kirche sagt – die beste Umgebung, in der ein Mensch eine Reife erlangt, ist die Ehe zwischen Mann und Frau."
Neben der Regierungspartei gehörten Feministinnen zu den größten Befürwortern der Istanbul-Konvention. Die Chefredakteurin der feministischen Zeitschrift "Zadra", Beata Kozak, meint, die Kritiker hätten in den Text viel hinein interpretiert. Mit einem Ziel – das Altbewährte zu bewahren und gesellschaftliche Veränderungen auszubremsen.
"Niemand behauptet in Polen, dass die traditionelle Familie Gewalt generiert, weil sie aus Mann, Frau und Kindern besteht. Aber es wird gerne von denen so dargestellt, die für die traditionelle Familie sind. Das ist eine Art Syndrom eines belagerten Turmes. Es gibt mit Sicherheit genau so viel oder so wenig Gewalt in traditionellen Familien wie in neuen Familien aus zwei Männern oder Frauen. Dass die katholische Kirche sich dafür einsetzt, dass die traditionelle Familie aufrechterhalten wird, ist schon lustig. Es gibt in Polen ja nicht so viel Bestreben, dass die partnerschaftliche Ehe angenommen wird."
Dass sich die Debatte an dem Wort Gender entzünden wird, wundert die Journalistin.
"Vor 2012 hat die polnische Kirche nur gegen Feministinnen gewütet. Auf einmal ist es so, als ob Feminismus für die Kirche tot wäre, stattdessen kommt das Wort Gender. Gender ist eine soziologische Kategorie, die beschreibt, wie die Erwartungen gegenüber Frauen anders sind als gegenüber von Männern. Aber diese Kategorie ist anfällig für Kirche, weil sie nicht nur beschreibt, sondern auch sagt, dass es begrenzend ist – sowohl für Männer als auch für Frauen. Also würde ich sagen, dass diese Angst aus der Luft gegriffen ist."
Für die einen zukunftsweisend, für die anderen bahnbrechend – die Gewaltkonvention, die eine Gesellschaft im gemeinsamen Kampf gegen die häusliche Gewalt vereinen müsste, hat eher zur ihrer Spaltung beigetragen. Aber noch ist nicht alles entschieden – das letzte Wort gehört dem polnischen Präsidenten, der seine Unterschrift unter das Abkommen setzen oder verweigern kann. Bei so viel Unmut, so der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtes, Professor Andrzej Zoll, müsse man manche Textpassagen noch mal neu schreiben, ansonsten werden sie weiterhin Fragen wie diese aufwerfen:
"Was will diese Konvention? Die Veränderung des Familien-und Gesellschaftsmodells oder den Schutz vor häuslicher Gewalt?"