Schutz vor Radioaktivität hat in Fukushima "überhaupt nicht funktioniert"
Der Zustand des havarierten Atommeilers sei schwer zu beurteilen, meint der Strahlenschutzexperte Wolfgang Weiss. Er lobt die Evakuierung nach der Katastrophe, kritisiert jedoch, dass die Sicherheitszone rund um das AKW nicht groß genug gewählt worden sei.
Wolfgang Weiss, Abteilungsleiter im Bundesamt für Strahlenschutz, ist nicht sicher, ob im havarierten Atomkraftwerk Fukushima tatsächlich - wie von der japanischen Regierung und der Betreiberfirma Tepco verkündet - eine "kalte Abschaltung" und ein stabiler Zustand des Reaktors erreicht wurden. "Das ist von 9000 Kilometer Entfernung sehr schwierig zu sagen", so der Strahlenschutzexperte am Samstag im Deutschlandradio Kultur.
Einerseits gebe es "nicht nur in Japan große Vorbehalte gegen das, was von Regierungsstellen verkündet wird", sagte Weiss. Andererseits hätten die Japaner die Kaltabschaltung tatsächlich zum Jahresende oder für das Frühjahr angestrebt. Bei einem Besuch in Fukushima im September habe der zuständige japanische Staatssekretär offen gesagt, dieser Zustand sei noch weit entfernt. "Von daher weiß ich schon, dass hier alles versucht wird, zu diesem 'Cold Shutdown' zu kommen. Ob das tatsächlich der Fall ist, weiß ich nicht", sagte Weiss, Vorsitzender einer wissenschaftlichen Kommission, die im Auftrag der UN die Folgen radiaktiver Strahlung untersucht (UNSCEAR).
Die Arbeiter in Fukushima seien in den ersten sechs bis acht Wochen nach dem Unglück Strahlenwerten von bis zu 680 Millisievert ausgesetzt gewesen, sagte Weiss. 80 Prozent der Kontaminationen sei per Inhalation erfolgt: "Das zeigt ganz deutlich, dass der Schutz vor eingeatmeter Radioaktivität offenbar überhaupt nicht funktioniert haben kann."
Vorbildhaft dagegen sei die Evakuierung des Gebietes gewesen. 100.000 Menschen seien innerhalb kurzer Zeit aus der 20-Kilometer-Zone rund um den Reaktor entfernt worden: "Das hat sehr, sehr viel Dosis gespart und dazu geführt, dass diese Menschen eben nicht von dem Jod, das am Anfang das dominierende Radionuklid ist, so betroffen waren, wie das zum Beispiel nach Tschernobyl war." Eine Zunahme von Schilddrüsenkrebs-Fällen bei Kindern wie in der Umgebung von Tschernobyl erwarte er daher "überhaupt nicht", so Weiss.
Der Strahlenschutzexperte kritisierte allerdings, dass kein größeres Gebiet identifiziert worden sei, in dem vor Nahrungsmittelverzehr gewarnt worden sei. "Das ist in Japan nicht gemacht worden. Das ist ein Kunstfehler". Eine große Herausforderung für die Arbeit der Strahlenschützer sei der Wust von Informationen nach dem Unglück: "Viele dieser Daten, die ja tonnenweise über uns ausgeschüttet wurden, haben nicht die Qualität, dass man wissenschaftlich konsistent eine Situation rekonstruiert", sagte Weiss.
Das vollständige Interview mit Wolfgang Weiss können Sie bis zum 17. Mai 2012 in unserem Audio-on-Demand-Angebot als Beitrag in Ortszeit, Deutschlandradio Kultur (MP3-Audio) MP3-Audio hören.
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Einerseits gebe es "nicht nur in Japan große Vorbehalte gegen das, was von Regierungsstellen verkündet wird", sagte Weiss. Andererseits hätten die Japaner die Kaltabschaltung tatsächlich zum Jahresende oder für das Frühjahr angestrebt. Bei einem Besuch in Fukushima im September habe der zuständige japanische Staatssekretär offen gesagt, dieser Zustand sei noch weit entfernt. "Von daher weiß ich schon, dass hier alles versucht wird, zu diesem 'Cold Shutdown' zu kommen. Ob das tatsächlich der Fall ist, weiß ich nicht", sagte Weiss, Vorsitzender einer wissenschaftlichen Kommission, die im Auftrag der UN die Folgen radiaktiver Strahlung untersucht (UNSCEAR).
Die Arbeiter in Fukushima seien in den ersten sechs bis acht Wochen nach dem Unglück Strahlenwerten von bis zu 680 Millisievert ausgesetzt gewesen, sagte Weiss. 80 Prozent der Kontaminationen sei per Inhalation erfolgt: "Das zeigt ganz deutlich, dass der Schutz vor eingeatmeter Radioaktivität offenbar überhaupt nicht funktioniert haben kann."
Vorbildhaft dagegen sei die Evakuierung des Gebietes gewesen. 100.000 Menschen seien innerhalb kurzer Zeit aus der 20-Kilometer-Zone rund um den Reaktor entfernt worden: "Das hat sehr, sehr viel Dosis gespart und dazu geführt, dass diese Menschen eben nicht von dem Jod, das am Anfang das dominierende Radionuklid ist, so betroffen waren, wie das zum Beispiel nach Tschernobyl war." Eine Zunahme von Schilddrüsenkrebs-Fällen bei Kindern wie in der Umgebung von Tschernobyl erwarte er daher "überhaupt nicht", so Weiss.
Der Strahlenschutzexperte kritisierte allerdings, dass kein größeres Gebiet identifiziert worden sei, in dem vor Nahrungsmittelverzehr gewarnt worden sei. "Das ist in Japan nicht gemacht worden. Das ist ein Kunstfehler". Eine große Herausforderung für die Arbeit der Strahlenschützer sei der Wust von Informationen nach dem Unglück: "Viele dieser Daten, die ja tonnenweise über uns ausgeschüttet wurden, haben nicht die Qualität, dass man wissenschaftlich konsistent eine Situation rekonstruiert", sagte Weiss.
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