Der Mensch ist nicht besonders willig, Veränderungen und Innovationen zu akzeptieren. Die Journalistin und Kommunikationstrainerin Carmen Thomas hat ein paar Vorschläge, wie man damit umgehen kann.
Hier kommen jetzt drei Blätter vom „Baum der Erkenntnis“. Erstes Blatt: Als der liebe Gott Adam und Eva sagte, dass sie alles im Garten Eden essen dürften, nur nicht von diesem einen Baum der Erkenntnis, entstand offenbar das erste Mal in der Weltgeschichte der dicke Hals und der harte Bauch mit dem dazugehörigen automatischen Dagegen-Schild. Das nämlich sind die Symptome für Reaktanz, und das lösen Verbote – damals wie heute – sofort aus, den Blindwiderstand.
Das zweite Blatt vom Baum der Erkenntnis: Alles, was unbekannt und irritierend ist, was Unsicherheit bewirkt, macht erst einmal reaktant. Bedeutet: Es entsteht spontan impulsive Abwehr wie eine Art emotionaler Gänsehaut. Das Phänomen des unüberlegten Dagegen-Seins dürfte aus der Steinzeit stammen: Der Ur-Mensch hatte ja zu lernen, dass alles essbar ist – aber manches nur einmal!
Neues aktiviert die Schutzabwehr
Aus dieser Erfahrung entwickelte sich offenkundig die angeborene Reaktanz als lebensrettende Kompetenz mit der Konsequenz: Neues? Irritierendes? – Erst einmal Schutzabwehr!
Und die Folge davon: Innovatives ist förmlich daran zu erkennen, dass es erstmal die Fremdel-Reaktanz-Kaskade durchläuft: erst ignoriert, dann verlacht, dann bekämpft und dann erst übernommen. Diese Struktur funktioniert so mechanisch wie der Magnetismus in der Physik. Wer einen Pol abtrennt, sorgt dafür, dass sich der andere sofort wieder ergänzt.
Im Wort Fehler steckt der Helfer
Wer als drittes Blatt vom Baum der Erkenntnis das Wort Fehler aufschreibt, und dann damit herumpuzzelt, kann leicht feststellen, dass darin zugleich das Wort Helfer steckt. Und genau das ist die Chance, die die Reaktanz wie eine Art emotionales Frühwarnsystem mit Abwehr-Gänsehaut bietet. Wie in der Architektur lässt sich dann nämlich beim Blindwiderstand das Umnutzen erlernen. Umnutzen wird so zum Kommunikationshelfer, der in Fehlern Chancen sieht.
Alles, was die Pandemie, die Klimabedrohung, die künstliche Intelligenz an Ängsten und Panik bescheren, hat inzwischen für so gut wie alle Menschen weltweit in der Tiefe verunsichernde Wirkungen. Das sorgt dafür, dass jede und jeder mit einem dicken Blindwiderstandshals und -bauch herumläuft, und sich die Ängste in Aggressionen verwandeln.
Dabei gehört es zu den Kommunikationsgesetzmäßigkeiten, dass jede freiheitliche Gruppe automatisch in drei Fraktionen zerfällt: Eine ist dafür, eine dagegen und eine Sowohl-Als-Auch.
In Gruppen gibt es immer Blindwiderstand
Eine weitere Reaktanz-Gesetzmäßigkeit ist: In Gruppen bringt tendenziell die fünfte Person den bisherigen Meinungsreigen zum Kippen, unter Umständen sogar entgegen ihrer Ursprungsmeinung. Das liegt am Blindwiderstand, der sich gegenüber gerade frisch formierenden Gruppenmeinungen automatisch bildet, quasi mechanisch.
Auch emotionale Bevormundungen aller Art von Sollen bis Müssen, von zu viel Schwärmerei bis hin zu lautstarkem Entwerten triggern das Balance-Gen in der Reaktanz. Das Schöne: Wer es erkennt und umnutzen kann, erlebt, in welch hohem Maß die Kommunikation dann genau wie in Physik vorhersehbar wird.
Sieben Sätze können helfen: Zulassen statt zumachen. Addieren statt konkurrieren. Verwerten statt bewerten, umnutzen statt runterputzen, „Interessiert mich“ statt „Kenn ich!“, "Ah, ein Fehler!" statt "Oh". Erst einmal kapieren durch Kopieren, und dann erst Kompostieren beim Selbstkomponieren. Dann lässt sich aus dem größten Mist fruchtbarer Humus machen.
Carmen Thomas erfand zwischen 1974 und 1994 als Redaktionsleiterin und Moderatorin mit "WDR-Hallo Ü-Wagen" die erste Mitmach-Sendung im Rundfunk. 1973 und 19 74 war sie erste Moderatorin einer Sport-Sendung im deutschen TV. Ab 1976 entwickelte sie eine der ersten Selbsthilfegruppen Deutschlands. Sie lehrte 13 Jahre an Universitäten. Seit 1980 coacht sie Menschen in Wirtschaft und Politik, in den Medien, in Institutionen aller Art und im Ehrenamt. Sie ist Bestsellerautorin. Das Wirtschaftsmagazin Forbes zählte sie 1990 zu den 100 einflussreichsten Frauen Deutschlands. Seit 1998 leitet sie die 1. ModerationsAkademie für Medien + Wirtschaft.