"Schwanensee" und Techno-Beats
Nadja Saidakova stand zunächst als Tänzerin auf russischen Bühnen, bevor sie als Primaballerina nach Deutschland kam. Inzwischen entwickelt die Solotänzerin des Berliner Staatsballetts auch eigene Choreographien, etwa für eine Inszenierung im Technoclub.
Staatsoper Berlin. Auf dem Programm steht "Schwanensee" - Spitzentanz und Tutu. Am Tag nach der Aufführung sitzt Nadja Saidakova, eine der Solotänzerinnen im Probensaal nebenan und massiert sich die Fesseln.
"'Schwanensee', ich war Königin, die tragende Rolle in unserer Fassung. Hat richtig was zu tun."
Die blonden Haare sind zum Kranz gesteckt, die Figur so gertenschlank wie eine Fee aus einem Märchenballett.
"Stange, Fußboden, Spiegel… Man kann tanzen ohne Licht, niedrige oder hohe Decke, aber ohne diese drei geht nichts für Balletttänzer."
Der erste Ballettsaal steht in Ischewsk im Ural, mitten in einem militärischen Sperrgebiet.
"Geschlossene Stadt war mein Ischewsk, das ist immer noch voll von Waffenindustrie. Der Kalaschnikow lebt dort, und lebt immer noch in der Stadt."
Nadjas Eltern sind Ingenieure und arbeiten in den riesigen Fabrikkombinaten für Waffen und Raumfahrttechnik. Ihre Tochter ist ein sehr lebhaftes Kind.
"Ich war sehr energievolles Kind, andauernd bin ich gesprungen, und wenn ich Fernsehen so Sport oder Gymnastiksachen gesehen habe, wollte ich das nachmachen, irgendein Rad schlagen und Spagat machen."
Die Eltern schicken das hyperaktive Kind zum Austoben in den Ballettunterricht. Eine Lehrerin entdeckt die Begabung der kleinen Nadja und meldete ihre Schülerin zur Aufnahmeprüfung für das staatliche Tanzinternat in der nächst größeren Stadt an, in Perm, sieben Zugstunden entfernt. Nach dem Abschluss bekommt sie ein Engagement in Moskau, nein nicht am Bolschoi, aber bei der zweitbesten Kompanie der russischen Hauptstadt, dem Classical Ballett in Moskau. Der erste Schritt auf einer berechenbaren Karriereleiter:
"Eigentlich war es mir klar, was ich in zehn Jahren tanzen würde in Russland, ja 'Don Quichotte', 'Giselle', 'Schwanensee', alle Sachen, die man schon so… okay vom Gruppentänzer zum Halbgruppentänzer, Solotänzerin, vielleicht erste Solotänzerin und so vielleicht. Die Perspektive war klar."
Bis eines Abends zwei fremde Männer nach der Vorstellung an ihre Garderobe klopfen, um der 19-Jährigen ein Engagement im kapitalistischen Westen anzubieten:
"Es war nur möglich, wenn man 19 Jahre alt ist und einfach los in die kalte Wasser, auf Abenteuer vorbereitet."
Ein paar Wochen später sitzt Nadja Saidakova im Flugzeug in den freien Westen. Hinter ihr die untergegangene Sowjetunion, in der sich gerade Boris Jelzin an die Macht geputscht hat, vor ihr ein Engagement als Primaballerina an der rheinischen Oper Düsseldorf.
"Im Ballettsaal war auch alles anders, klar, Training, Ablauf, volle Tag, wenn es steht von zehn Uhr morgens von sechs Uhr abends, so wird gemacht, es geht nicht, dass einfach jemand nach dem Training Haus verlässt, in Moskau war das okay. Hier nicht: Da war ich nach einer Woche fix und fertig mit meinen Kräften. Und dazu konnte ich keine einzige Wort auf Englisch oder Deutsch, nur Russisch und das war Katastrophe."
Es fehlt nicht viel, und Nadja Saidakova hätte aufgeben, aber sie hält durch, ihrer Kunst zuliebe:
"Als ich zum ersten Mal Balanchine gesehen habe, moderne Sachen, Forsythe, Mats Ek, die zeitgenössische Choreographen vom Westen, die in Russland damals noch nicht zu sehen waren, da war ich natürlich so begeistert und hab gesagt : Ne dafür bleibe ich! Das möchte ich auch tanzen."
An diesem Nachmittag probt sie im Probensaal in der Staatsoper ihre erste abendfüllende Choreographie: Das Stück "Egopoint". Die Musik kommt von einem Club-DJ.
Seit 14 Jahren tanzt sie Solopartien im Berliner Staatsballett. Sie hat geheiratet, einen Landsmann, keinen Tänzer, sondern einen Versicherungskaufmann. Seit ihr Sohn in die Schule geht, steht die Tänzerin um sieben auf, um Frühstück zu machen. Ein Ballettinternat kommt für ihn übrigens nicht in Frage: Das hat die Primaballerina schon ausgeschlossen:
"Nein, nein. Ich habe bei ihm schon alles überprüft, keine körperliche Begabung. Ich hab geschaut, ob das Gelenk weich genug ist… Nein, nein."
Vor vier Jahren hat Nadja Saidakova zum ersten Mal selbst choreographiert an einem ungewöhnlichen Ort, der sonst von Freizeittänzern belegt wird: Im Berghain, einem Berliner Technoclub inszenierte sie ihre Kurzversion einer Disconacht.
In ihrer ersten abendfüllenden Choreographie tanzt niemand auf Spitze. Die Tutus bleiben im Fundus. Dafür verlangt Saidakova von ihren Tänzern klassische Ballett-Präzision. Jede ihrer Bewegungen verfolgt sie angestrengt. Sie erklärt in drei Sprachen und tanzt vor, immer wieder: Drei Schritte zur Seite, Füße über Kreuz, drehen, zu Boden gehen.
Nur als einer der Tänzer anfängt zu kichern, schaut sie streng in die Richtung des Störers, um Sekunden später loszulachen. Bei aller Liebe zum Beruf. Im Leben von Nadja Saidokava gibt es noch Wichtigeres:
"Die dritte wichtige Sache: Meine Familie, ich habe einen Sohn, Gesundheit, unsere innere Balance, immer auf dauernd Suche nach idealem Zustand."
"Schwanensee" und Clubmusik.
"'Schwanensee', ich war Königin, die tragende Rolle in unserer Fassung. Hat richtig was zu tun."
Die blonden Haare sind zum Kranz gesteckt, die Figur so gertenschlank wie eine Fee aus einem Märchenballett.
"Stange, Fußboden, Spiegel… Man kann tanzen ohne Licht, niedrige oder hohe Decke, aber ohne diese drei geht nichts für Balletttänzer."
Der erste Ballettsaal steht in Ischewsk im Ural, mitten in einem militärischen Sperrgebiet.
"Geschlossene Stadt war mein Ischewsk, das ist immer noch voll von Waffenindustrie. Der Kalaschnikow lebt dort, und lebt immer noch in der Stadt."
Nadjas Eltern sind Ingenieure und arbeiten in den riesigen Fabrikkombinaten für Waffen und Raumfahrttechnik. Ihre Tochter ist ein sehr lebhaftes Kind.
"Ich war sehr energievolles Kind, andauernd bin ich gesprungen, und wenn ich Fernsehen so Sport oder Gymnastiksachen gesehen habe, wollte ich das nachmachen, irgendein Rad schlagen und Spagat machen."
Die Eltern schicken das hyperaktive Kind zum Austoben in den Ballettunterricht. Eine Lehrerin entdeckt die Begabung der kleinen Nadja und meldete ihre Schülerin zur Aufnahmeprüfung für das staatliche Tanzinternat in der nächst größeren Stadt an, in Perm, sieben Zugstunden entfernt. Nach dem Abschluss bekommt sie ein Engagement in Moskau, nein nicht am Bolschoi, aber bei der zweitbesten Kompanie der russischen Hauptstadt, dem Classical Ballett in Moskau. Der erste Schritt auf einer berechenbaren Karriereleiter:
"Eigentlich war es mir klar, was ich in zehn Jahren tanzen würde in Russland, ja 'Don Quichotte', 'Giselle', 'Schwanensee', alle Sachen, die man schon so… okay vom Gruppentänzer zum Halbgruppentänzer, Solotänzerin, vielleicht erste Solotänzerin und so vielleicht. Die Perspektive war klar."
Bis eines Abends zwei fremde Männer nach der Vorstellung an ihre Garderobe klopfen, um der 19-Jährigen ein Engagement im kapitalistischen Westen anzubieten:
"Es war nur möglich, wenn man 19 Jahre alt ist und einfach los in die kalte Wasser, auf Abenteuer vorbereitet."
Ein paar Wochen später sitzt Nadja Saidakova im Flugzeug in den freien Westen. Hinter ihr die untergegangene Sowjetunion, in der sich gerade Boris Jelzin an die Macht geputscht hat, vor ihr ein Engagement als Primaballerina an der rheinischen Oper Düsseldorf.
"Im Ballettsaal war auch alles anders, klar, Training, Ablauf, volle Tag, wenn es steht von zehn Uhr morgens von sechs Uhr abends, so wird gemacht, es geht nicht, dass einfach jemand nach dem Training Haus verlässt, in Moskau war das okay. Hier nicht: Da war ich nach einer Woche fix und fertig mit meinen Kräften. Und dazu konnte ich keine einzige Wort auf Englisch oder Deutsch, nur Russisch und das war Katastrophe."
Es fehlt nicht viel, und Nadja Saidakova hätte aufgeben, aber sie hält durch, ihrer Kunst zuliebe:
"Als ich zum ersten Mal Balanchine gesehen habe, moderne Sachen, Forsythe, Mats Ek, die zeitgenössische Choreographen vom Westen, die in Russland damals noch nicht zu sehen waren, da war ich natürlich so begeistert und hab gesagt : Ne dafür bleibe ich! Das möchte ich auch tanzen."
An diesem Nachmittag probt sie im Probensaal in der Staatsoper ihre erste abendfüllende Choreographie: Das Stück "Egopoint". Die Musik kommt von einem Club-DJ.
Seit 14 Jahren tanzt sie Solopartien im Berliner Staatsballett. Sie hat geheiratet, einen Landsmann, keinen Tänzer, sondern einen Versicherungskaufmann. Seit ihr Sohn in die Schule geht, steht die Tänzerin um sieben auf, um Frühstück zu machen. Ein Ballettinternat kommt für ihn übrigens nicht in Frage: Das hat die Primaballerina schon ausgeschlossen:
"Nein, nein. Ich habe bei ihm schon alles überprüft, keine körperliche Begabung. Ich hab geschaut, ob das Gelenk weich genug ist… Nein, nein."
Vor vier Jahren hat Nadja Saidakova zum ersten Mal selbst choreographiert an einem ungewöhnlichen Ort, der sonst von Freizeittänzern belegt wird: Im Berghain, einem Berliner Technoclub inszenierte sie ihre Kurzversion einer Disconacht.
In ihrer ersten abendfüllenden Choreographie tanzt niemand auf Spitze. Die Tutus bleiben im Fundus. Dafür verlangt Saidakova von ihren Tänzern klassische Ballett-Präzision. Jede ihrer Bewegungen verfolgt sie angestrengt. Sie erklärt in drei Sprachen und tanzt vor, immer wieder: Drei Schritte zur Seite, Füße über Kreuz, drehen, zu Boden gehen.
Nur als einer der Tänzer anfängt zu kichern, schaut sie streng in die Richtung des Störers, um Sekunden später loszulachen. Bei aller Liebe zum Beruf. Im Leben von Nadja Saidokava gibt es noch Wichtigeres:
"Die dritte wichtige Sache: Meine Familie, ich habe einen Sohn, Gesundheit, unsere innere Balance, immer auf dauernd Suche nach idealem Zustand."
"Schwanensee" und Clubmusik.