Schwanger nach Krebstherapie

Von Hannelore Becker-Willhardt |
Im Jahr 2010 wird eine von 250 Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter eine Vorgeschichte mit Krebs haben: Leukämie im Kindes- oder Jugendalter, Brust-, oder Genitalkrebs, so jedenfalls sind die Schätzungen.
Immer häufiger überleben Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aber einen bösartigen Tumor: 75 Prozent von ihnen wünschen sich später Kinder. Bestrahlungen und Chemotherapien schädigen aber oft die Keimzellen, so dass eine anschließende Mutter- oder Vaterschaft ausgeschlossen ist.

Der Reproduktionsmedizin stehen jedoch Möglichkeiten zur Verfügung, mit denen eine spätere Schwangerschaft ermöglicht werden kann. Das Kinderwunschzentrum des Universitätsklinikum Düsseldorf hat nun den ersten in Deutschland registrierten Fall vorgestellt, bei dem eine künstliche Befruchtung nach der Krebsbehandlung erfolgreich zu einer Schwangerschaft führte.

Mit der Diagnose Krebs hat man ausreichend zu tun. Aber als dann sehr schnell klar wurde, dass dann meine Eierstöcke nicht mehr funktionieren würden, dann haben wir uns sehr schnell nach der künstlichen Befruchtung erkundigt.

Anna Kern war gerade 32, als bei ihr ein Tumor in der Vagina entdeckt wurde, der zudem bereits in einen Lymphknoten in der Leiste gestreut hatte.

Zu ihrem Glück arbeiten in den Düsseldorfer Unikliniken Kinderwunsch-Zentrum und Frauenklinik sehr eng zusammen.
Nach dem Prinzip: ”Onkologische Sicherheit garantieren und zugleich Nachwuchs zu ermöglichen”.

Dabei geht man davon aus, dass die Diagnose ”Krebs” eine optimale Behandlung braucht, sie aber kein Notfall ist, wie etwa ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall, erklärt Professor Jan Krüssel, Leiter des Kinderwunschzentrums.

"In allermeisten Fällen hat man schon die Zeit, zumindest ein Beratungsgespräch durchzuführen. Damit man sich überhaupt über die Möglichkeiten Klarheit verschaffen kann. Und in den allermeisten Fällen ist die Krebstherapie auch zeitnah durchzuführen, aber die Zeit haben wir immer."

Die Behandlungsmethoden sind dabei abhängig vom Alter und von der Lebenssituation der Patientin. Bei Anna Kern wurde eine Operation mit einer anschließenden kombinierten Chemo- und Strahlentherapie geplant. Das Problem: Hierdurch werden die Eierstöcke geschädigt und stellen ihre Funktion ein.

"Wenn man die Zeit hat, dass die Behandlung zwei Wochen aufgeschoben werden kann, dann würden wir dazu raten, dass man diese Zeit nutzt, das Eizellwachstum anzuregen und einmal um Eizellen zu entnehmen, wie bei einer künstlichen Befruchtung. Und dann diese Eizellen einzufrieren."

Dafür ist eine gezielte Östrogen-Behandlung erforderlich, die aber nur durchgeführt werden kann, wenn das Wachstum des Tumors durch Hormone nicht angeregt wird. Die so gewonnenen Eizellen werden im Labor befruchtet und im sogenannten Vorkern-Stadium eingefroren. Das bedeutet: Samen und Eizelle sind verschmolzen, deren Zellkerne in diesem Stadium allerdings noch nicht. Wieder aufgetaut lassen sich diese befruchteten Eizellen - nach einer hormonellen Stimulation zum Aufbau der Gebärmutterschleimhaut - problemlos einsetzen.

"Damit haben wir erwiesenermaßen beste Chancen, dass man auch zu einer Schwangerschaft kommen kann hinterher."

Lebt die Patientin nicht in einer festen Partnerschaft oder hat sie sich noch nicht entschieden, mit ihrem derzeitigen Freund ein Kind zu bekommen, dann ist es seit kurzem möglich, auch unbefruchtete Eizellen einzufrieren, ohne dass sie beim Wieder-Auftauen platzen.

"Früher war das nicht so unbedingt einfach möglich, weil diese Eizellen sich nach dem Auftauen nur sehr schwer befruchten ließen. Bei dem neuen werden die Zellen quasi nach einer gewissen Vorbehandlung direkt in flüssigem Stickstoff eingebracht, das geht in Sekunden-Bruchteilen, und das führt dann nicht zu einer Kristallbildung. Sondern es bildet sich ein sogenannter gallertartiger Zustand. Und dadurch lassen sich diese Eizellen auch ohne Kristallbildung einfrieren und hinterher wieder sehr gut befruchten."

Zu einem ganz anderen Vorgehen rät Professor Krüssel, wenn der Tumor sensibel auf Hormone reagiert. Wenn die Krebs-Therapie keinen längeren Aufschub erlaubt. Oder auch, wenn die Patientin sehr jung und noch nicht geschlechtsreif ist.

"Das Einfachste, was man machen kann, ist, dass man ne kleine Operation durchführt und Eierstockgewebe entnimmt. Das lässt sich am Tag nach diesem Gespräch schon durchführen."

Das Eierstock-Gewebe lässt sich dann über Jahre gut einfrieren. Es kann später in einen erhaltenen aber nicht mehr aktiven Eierstock zurück transplantiert werden, wächst dort wieder an und produziert auch wieder Eizellen. Das Verfahren ist aber relativ schwierig und noch längst nicht vollständig erforscht. Weltweit, so Krüssel, gibt es nur zehn beschriebene Fälle.

"Es bleibt allerdings bei vielen Tumoren ein gewisses Restrisiko, dass eben in diesem Eierstock-Gewebe auch eventuell bösartige Zellen enthalten sind. Es bezieht sich hauptsächlich auf Blutkrebsarten, also Leukämien, die ja im ganzen Körper verstreut vorkommen. Und da sind wir uns noch nicht so sicher, wie hoch das Risiko ist, dass bösartige Zellen mit übertragen werden können."

Im Düsseldorfer Kinderwunsch-Zentrum wird das Eierstock-Gewebe derzeit deshalb vorsichtshalber nur eingefroren und aufgehoben. Den Patientinnen wird geraten, wenn es ihre Lebensplanung erlaubt, abzuwarten, bis es gesicherte Erkenntnisse gibt.

Der Düsseldorf Patientin blieb dieses Warten erspart. Ein Jahr nach der Krebstherapie fühlte sie sich so fit, dass sie sich zu einer künstlichen Befruchtung mit zwei der insgesamt acht eingefrorenen Eizellen entschloss. Nun ist sie in der 15. Woche schwanger. Und glücklich.
"Wenn von vornherein klar gewesen wäre, dass wir danach nicht mehr hätten Eltern werden können, denke ich, dass die Diagnose mich härter getroffen hätte. Also, das war schon eine Erleichterung, dass von vornherein gesorgt wurde, dass man in die Therapie gegangen ist, dass Eizellen entnommen wurden. Also, man hat auch richtig gemerkt, es tut sich was, was hinterher zum Erfolg führen kann. Und das fand ich sehr beruhigend."