Schwangerschaft

Wie die Gesellschaft den Frauenkörper vereinnahmt

Illustration einer jungen Frau, die auf einem Stuhl sitzt. Auf ihrem Brustkorb steht "my body, my choice" geschrieben.
"Durch Jahrtausende hindurch und flankiert von religiösen, philosophischen und wissenschaftlichen Argumentationen aller Art haben wir gelernt, dass grundlegende Freiheitsrechte nicht gelten", sagt Antje Schrupp. © Getty Images / iStockphoto / deny setyawan
Ein Standpunkt von Antje Schrupp · 17.11.2022
Frauen werden in ihrer Freiheit eingeschränkt, weil sie schwanger werden können, sagt die Autorin Antje Schrupp. Legitimiert werden solche patriarchalen Strukturen durch die aristotelische Geschlechterlehre – eine Lehre, die widersinnig sei.
Kaum war Giorgia Meloni von der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia als italienische Ministerpräsidentin installiert, benannte sie das Familienministerium um in „Ministerium für Familie, Natalität und Chancengleichheit“. Es soll sich in Zukunft auch um die Geburtenrate kümmern – tatsächlich hat Italien mit 1,24 Kindern pro Frau eine der niedrigsten Fruchtbarkeitssraten der Welt.
Aber Meloni geht es weniger um Realpolitik als um einen symbolischen Akt. Sie positioniert sich mit dieser Umbenennung auf einer Seite der „Pinken Linie“, wie es der südafrikanische Journalist Mark Gevisser nennt: Auf der einen Seite stehen jene, die für Feminismus, sexuelle Freiheit und geschlechtliche Vielfalt eintreten, auf der anderen Seite die, die an einer angeblich gottgewollten und naturgemäßen heterosexuellen Geschlechterordnung festhalten.
Zu dieser traditionellen Ordnung gehört, dass Frauen Kinder kriegen und dass die Gesellschaft oder die Männer dabei mitzureden haben. Genau das ist es, was Meloni herausstellt: Schwangerschaften sind nicht eine persönliche Angelegenheit der Betroffenen selbst, sondern berühren das Allgemeininteresse, auch wenn sie sich im Inneren des Körpers abspielen, also an einem Ort, der wie kein anderer das Attribut „intim“ verdient.

Widersinnig, aber erfolgreich: die aristotelische Geschlechterlehre 

Die Überzeugung, dass andere – der Staat, die Gesellschaft, die Männer – Zugriff auf den Körper einer Schwangeren haben sollten, ist tief in die abendländische Kultur eingeschrieben. Vor 2400 Jahren hat der griechische Philosoph Aristoteles in seinem Buch „Die Entstehung der Tiere“ den weiblichen Anteil an der Fortpflanzung als passiv, den männlichen als aktiv beschrieben. Auf diese Idee muss man erst mal kommen, sie steht ja dem Prozess des Kinderkriegens offensichtlich diametral entgegen.
Trotzdem war die aristotelische Geschlechterlehre kulturgeschichtlich extrem erfolgreich, und das liegt an einer einfachen Tatsache: Sie bietet eine Antwort auf das biologische Problem, dass zwar alle Menschen geboren werden müssen, aber nur die Hälfte von ihnen selbst in der Lage ist, neue Menschen zur Welt zu bringen.
„Patriarchat“ bedeutet, dass Menschen ohne Uterus sich einen Zugriff auf die Kinder sichern, die andere geboren haben. Und dafür liefert der Geschlechterdualismus à la Aristoteles die ideale Legitimation.

Die Schwangere als "Herbergskörper"

Durch Jahrtausende hindurch und flankiert von religiösen, philosophischen und wissenschaftlichen Argumentationen aller Art haben wir gelernt, dass grundlegende Freiheitsrechte nicht gelten, wenn man einen Körper hat, der höchstwahrscheinlich schwanger werden kann, geschweige denn, wenn man schwanger ist.
Das wird freilich nur selten so direkt gesagt, aber manchmal doch. Der US-amerikanische Politiker José Oliva sprach 2019 in einem Hearing mehrfach von Schwangeren als „host bodies“, also „Herbergskörpern“. Auch in der Debatte um Leihmutterschaft ist der alte Aristoteles oft präsent wie eh und je, etwa wenn von Leihmüttern so gesprochen wird, als seien sie lediglich die bezahlte Hülle für das Heranreifen eines Embryos, der eigentlich anderen gehört.

Ein Ministerium für Natalität – aber anders

Was das alles mit Giorgia Meloni zu tun hat? Je länger ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir, ehrlich gesagt, die Vorstellung eines „Ministeriums für Natalität“. Denn es ist wichtig, dass wir die Herausforderungen ernst nehmen, die sich daraus ergeben, dass Menschen geboren werden. Also nur aus dem Körper einer anderen Person heraus auf die Welt kommen können.
Ein solches Ministerium dürfte aber natürlich nicht das Ziel verfolgen, die Geburtenrate zu steigern oder gar Kontrolle über Schwangere auszuüben. Sondern es müsste ganz im Gegenteil dafür sorgen, dass alle Menschen frei und in ihren Rechten geschützt sind. Auch diejenigen, die schwanger sind oder schwanger werden können.

Dr. Antje Schrupp ist Politikwissenschaftlerin und Journalistin in Frankfurt am Main. Sie beschäftigt sich in ihrer publizistischen Arbeit vor allem mit weiblicher politischer Ideengeschichte, 2015 veröffentlichte sie zusammen mit der Zeichnerin Patu den Comic "Kleine Geschichte des Feminismus." Derzeit arbeitet sie vor allem zur politischen Bedeutung der reproduktiven Differenz, 2019 erschien dazu ihr Buch "Schwangerwerdenkönnen. Essay über Körper, Geschlecht und Politik", 2022 ihr Buch "Reproduktive Freiheit. Eine feministische Ethik der Fortpflanzung".

Porträt der Autorin Antje Schrupp.
© Laurent Burst
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