Schwangerschaftsabbruch

Strafverfolgung durch Zyklus-Apps ist möglich

18:03 Minuten
Eine junge Frau in den USA hält ihr Mobiltelefon mit einer Zyklus-App in der Hand, die Illustration von einem Fötus ist auf dem Display zu sehen.
Auch Daten von Zyklus-Apps könnten gekauft werden, warnt Frederike Kaltheuner © Getty Images / iStockphoto
Moderation: Jenny Genzmer und Dennis Kogel |
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In immer mehr US-Staaten werden Abtreibungen kriminalisiert. So werden für die Strafverfolgung wohl auch bald verstärkt Zyklus-Apps genutzt werden. In der Vergangenheit ist das bereits passiert und auch in Europa geht von diesen Apps Gefahr aus.
Am 24. Juni hat der Supreme Court entschieden, das Recht auf Abtreibung in den USA auf nationaler Ebene abzuschaffen. In vielen Staaten gelten nun Regeln, die Schwangerschaftsabbrüche extrem schwierig oder praktisch unmöglich machen.
In den sozialen Medien wurde an diesem Tag sofort vor sogenannten Zyklus-Apps gewarnt, die dabei helfen, die Periode zu tracken. Diese Apps haben sehr unterschiedliche Qualitäten, generell geben sie aber einen guten Überblick darüber, an welchem Punkt sich ein Zyklus gerade befindet. So können auch Schwangerschaften damit geplant oder verhindert werden.
Es ist sehr realistisch, dass Frauen, nicht binäre Menschen und trans Männer in den USA zukünftig verurteilt werden können, weil ihnen ein unerlaubter Schwangerschaftsabbruch vorgeworfen wird. Dass diese Ängste berechtigt sind, zeigt der Blick in das Jahr 2015.

Verurteilt wegen Chat-Nachrichten

Damals berichtete das US-amerikanische Politikmagazin Democracy Now! über die 33-jährige Purvi Patel, die damals in Indiana lebte und zu 30 Jahren Haft verurteilt wurde, weil sie einen lebensfähigen Fötus zur Welt gebracht hatte und diesen getötet haben soll. Sie war die erste Frau in den USA, die wegen „Fetozid“ verurteilt wurde.
Indiana hat in den US mit das restriktivste Abtreibungsgesetz. Die Kriminalpolizei konnte damals mithilfe eines Durchsuchungsbefehls Patels Handydaten analysieren. Chat-Nachrichten, in denen sie sich über Abtreibungspillen geäußert hatte, reichten als Beweismittel. Eine weitere Frau wurde aus ähnlichen Gründen verurteilt. Erst später wurden die Anklagen wieder fallen gelassen, nach dem die Frauen aber bereits eine Zeitl ang in Haft waren.

Was Menschen in den USA droht

Wegen vermeintlicher Beweise auf dem Telefon kamen die Frauen damals vor Gericht, ihnen drohte eine lange Haftstrafe und diese Angst müssen nun weitere Personen in den USA haben, die aus anderen Gründen ihr Kind verlieren. Schwangerschaftsabbrüche werden mittlerweile in vielen US-Bundesstaaten kriminalisiert, und welche Rolle Datenanalysen dabei spielen, hat die US-Amerikanische Bürgerrechtsanwältin Cynthia Conti-Cook auf einem Podium vom Aspen Institute noch einmal wie folgt auf den Punkt gebracht:
„Das hat bereits zu einer Handvoll Anklageerhebungen geführt, eine in Indiana, eine in Mississippi. Das sind die, von denen wir wissen. Es ist durchaus möglich, dass es noch mehr gab. Es ist absolute Routine, digitale Beweismittel für Verfahren bei einem Straf- oder auch Migrationsgericht zu nutzen. Es ist eine Technologie, die nicht nur den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung steht, sondern auch Schulen und anderen Arten von staatlichen Stellen. Man kann sie sogar kaufen.“

Daten werden gehandelt wie Ware

Dass Daten einfach gekauft werden können, wird von Menschen in Europa aber oft vergessen. So warnt Frederike Kaltheuner, Leiterin der Technologieabteilung bei der NGO Human Rights Watch, vor einem ernst zu nehmenden Bedrohungsszenario.
„Da gibt es eben diesen hoch problematischen und unterregulierten Markt der Datenhändler. Diese Daten sind auch manchmal gar nicht so gut oder akkurat. Aber es ist möglich, zu sagen, ich würde gerne Daten kaufen von allen Personen, die in der Nähe von diesem Zentrum waren. Und dann erfährt man natürlich nicht den Namen von denen, sondern man erfährt dann zum Teil deren Werbenummer.“
Diese Werbenummern oder Werbe-IDs sind Nummern, die z.B. Google oder Apple jedem Smartphone zuordnen und damit personalisierte Werbung ermöglichen, wenn man die Funktion nicht explizit abschaltet. So können sehr wertvolle personalisierte Datensätzen entstehen.

Ein sehr realistisches Szenario

So ist auch für Frederike Kaltheuner ein sehr realistisches Szenario, dass Teile der radikalisierten Abtreibungsgegnerszene diese Daten kaufen und nutzen, in dem sie Daten nach Regionen filtern und gezielt nach Frauen in Abtreibungskliniken suchen.
„Das nennt sich Geofencing. Man sucht sich eine sehr kleine Gegend aus. Das ist dann zufällig, wo die Klinik ist, und kombiniert das mit anderen Faktoren. Zum Beispiel, ich möchte gerne Werbung schalten an Menschen, die sich tagsüber an diesem Ort befinden und die gleichzeitig sich in den letzten Monaten für XYZ Themen interessiert haben - Abtreibung, Schwangerschaftsabbruch. Was auch immer die Schlagwörter sind, und das ist passiert. Und das war vor ein paar Jahren, und seitdem hat sich die Technik natürlich noch weiterentwickelt.“

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