"Wer war Milli? Eine Intervention von Natasha A. Kelly" ist noch bis zum 30.4.22 in der Kunsthalle Bremen zu sehen.
Wer war die "Schlafende Milli" wirklich?
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Die Expressionisten der "Brücke" malten oft schwarze Menschen. Aber wer waren die Modelle auf den Bildern? Das versucht die Wissenschaftlerin, Künstlerin und Aktivistin Natasha A. Kelly herauszufinden. Eine Spurensuche mit Hindernissen.
Es gibt mehrere Millis. Unter diesem Namen finden sich verschiedene schwarze Frauen auf Bildern von "Brücke"-Künstlern. Das berühmteste Beispiel ist "Schlafende Milli" von Ernst Ludwig Kirchner aus dem Jahr 1911.
Natasha A. Kelly ist Wissenschaftlerin, Künstlerin und Aktivistin. Sie versucht, mit der künstlerischen Intervention "Wer war Milli" in der Kunsthalle Bremen der Frage nachzugehen, wer diese Frauen waren, die auf den Bildern zu sehen sind.
Heißt Milli überhaupt Milli?
Es sei schwierig gewesen, in den Archiven Namen der Modelle zu finden, sagt Kelly, sodass unklar bleibt, ob die "Schlafende Milli" überhaupt Milli heißt: "Es gibt einen Brief, den Ernst Ludwig Kirchner an seine damalige Partnerin geschrieben hat, wo er eine Milli erwähnt. Das ist allerdings 20 Jahre, nachdem das Gemälde 'Schlafende Milli' entstanden ist."
Kirchner zeichne ein mehrdeutiges Bild seines Modells, sagt Kelly. Auf der einen Seite die exotisierende und erotisierende Darstellung: "Ihr Körper mutiert zu einem Diskurs-Terrain, auf dem Meistererzählungen geschrieben werden", sagt Kelly. Kirchner benutze Milli, um sein Empfinden zum Ausdruck zu bringen.
Auf der anderen Seite gebe es eine Skizze, die "Erzählende Melodie" heißt. "Hier wird Milli zu einer aktiv handelnden Person, die eine Geschichte erzählt. Und wir stellen uns dann die Frage 'Welche Geschichte? Wessen Geschichte wird erzählt?'", sagt Kelly. Dadurch sei Milli nicht länger bloßes Objekt, sondern werde zu einem selbstbewussten Subjekt.
Interesse an Outsidern
Dass die Brücke-Künstler überhaupt schwarze Menschen malten, war zur damaligen Zeit noch recht ungewöhnlich. Kelly glaubt, das könne mit dem Außenseiterstatus der Künstlergruppe zusammenhängen: "Für sie waren andere unterrepräsentierte Gruppen von großem Interesse. Ich kann mir vorstellen, dass das der Grund war, warum sie sich zu außereuropäischen Kulturen hingezogen gefühlt haben und zu schwarzen Menschen, die damals auch marginalisiert waren."
Dabei war Ernst Ludwig Kirchner nie in den damaligen Kolonien. Sein gesamtes Wissen über außereuropäische Kulturen hat er sich in sogenannten Völkerschauen, Varietés oder Völkerkunde-Museen zusammengesammelt. "Die Museen waren übervoll von irgendwelchen gestohlenen Kolonialwaren, und die hat er dann abgebildet", sagt Kelly.
Durch ihre künstlerische Intervention will Kelly den schwarzen Modellen einen Teil ihrer Identität zurückgeben. Dabei nähere sie sich dem Thema weniger aus kunsthistorischer Perspektive, gucke also nicht, welchen Pinselstrich Kirchner wann warum gemacht hat, sondern nehme den sozialen Kontext dieser Kunst in den Blick. "Das ist bislang in einer solchen Intensität noch nicht gemacht worden, was mir erlaubt, schwarze deutsche Geschichte zu schreiben", sagt Kelly.
(beb)