Schwarzes Literaturfestival „Resonanzen“
Die deutsche Literaturlandschaft habe momentan eine "eher weiße Perspektive", sagt Sharon Dodua Otoo, die Kuratorin des "Resonanzen"-Festivals. © picture alliance / dpa / Annette Riedl
„Schwarze Literatur ist eher ein Verb“
13:19 Minuten
Erstmals fand in Recklinghausen das Schwarze Literaturfestival „Resonanzen“ statt. Es gehe laut Kuratorin Sharon Dodua Otoo darum, den Blick zu weiten, um vielfältiger - und letztlich spannender zu werden. Auch der Ruf nach neuen Lehrstühlen kam auf.
In den vergangenen Tagen fand bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen zum ersten Mal das Schwarze Literaturfestival „Resonanzen“ statt. Das dreitägige Festival wurde angestoßen und kuratiert von Sharon Dodua Otoo, Schwarze Autorin und Aktivistin aus Berlin, die zuletzt den viel gelobten Roman „Adas Raum“ veröffentlicht hat.
Das Festival „Resonanzen“ kam ohne Preisrichter, Punkte oder Einzel-Auszeichnungen aus. Stattdessen war es das reine Feiern der Literatur. Sechs Menschen trugen ihre selbstgeschriebenen, bis dato unveröffentlichten Texte vor – und das sehr feierlich. Wenn es etwas wie Wettbewerb gab, dann fand er vor dem Festival statt: bei der Auswahl der sechs Autorinnen und Autoren durch die Kuratorin Sharon Dodua Otoo. Sie waren alle in irgendeiner Weise Schwarz – was die Frage aufwirft: Was ist Schwarze Literatur eigentlich genau?
Sharon Dodua Otoo dazu: „Für mich ist Schwarze Literatur zunächst einfach eine Beschreibung, eine Tatsache, dass eine Person oder dass Personen, viele Personen Texte schreiben.“ Sie hätten eine bestimmte Perspektive auf die Welt – wie die Perspektiven von uns allen unterschiedlich seien. „Ich wollte herauskristallisieren“, so Otoo weiter, „was ist das, was Schwarze Autor*innen sehen, wenn sie etwas beschreiben in ihrer Literatur.“ Was es als Duden-Definition sei, könne sie auch nicht sagen. „Aber für mich ist es eine Suche, eine Bewegung. Schwarze Literatur ist vielleicht eher ein Verb als ein Nomen.“ Texte vorgetragen haben vier Frauen und zwei Männer, zum Teil in Deutschland geboren, zum Teil außerhalb. Alle Texte waren sehr elaboriert, manche schon auf der Textoberfläche literarisierend, andere auf der sprachlichen Oberfläche eher direkt.
Väter und Haare als Motiv
Ein Motiv, das herausstach, war, dass in mehreren Texten Väter eine nennenswerte Rolle spielten. Einer dieser Texte, ein sehr bemerkenswerter, heißt „Calvins Väter“ und stammt von Raphaëlle Red. Es geht um einen sterbenden Vater, um den herum sich die Trauernden versammeln und miteinander interagieren und auf ihre jeweiligen Leben reflektieren. Der Text ist ein Gewebe unterschiedlicher Herkünfte, Gepflogenheiten, Wahrnehmungen und Generationen.
Wie dieses kleine Zitat illustrieren mag: Sie „schauten einander an, wie der Schnee ihnen stand, obwohl er ihnen nicht zustand wie der Sand, von dem hier in der Schweiz niemand wissen wollte, ob er nun schwarz vom Vulkan hing oder beige aus dem Wasser wuchs“.
An Schnee, Sand und Farben lässt sich ablesen, dass hier unterschiedliche Weltgegenden miteinander in Beziehung stehen. Ein weiteres Beispiel für wiederkehrende Motive waren Haare, wie die Jury bemerkte. Sie kamen in verschiedenen Texten vor, wenn auch eher beiläufig. Mindestens zwei Mal in Form von Cornrows, eng anliegenden, geflochtenen Zöpfen. Mal spielten sie eine Rolle bei kleinen Zuwendungen oder Zärtlichkeiten, mal beim Umgang mit Überlieferung. Womöglich ein Beispiel für ein Motiv, dem man eher in afrodeutschen als in anderen Literaturen begegnet.
Geschützter Raum für literarische Texte
Auch wenn es während des Festivals keinen Wettbewerb gab, erfüllte die Jury doch eine zentrale Funktion. Statt über die Texte zu richten hat sie kommentiert, freigelegt, entfaltet – und so Bedeutungsschichten eröffnet, die sich beim einmaligen Hören im Publikum nicht unbedingt erschließen. Diese Jury kann als Beispiel dafür gesehen werden, wie Kritik auch sein könnte: dass Kritik eher Unterscheidungen vornimmt, Dinge erläutert und sichtbar macht – und auf das eindeutige Urteil verzichtet.
Die Jury steht für etwas, worum es den Macherinnen und Machern des Festivals insgesamt ging: einen geschützten Raum herzustellen für literarische Texte, die ohne diesen vielleicht nicht so einfach das Licht der Öffentlichkeit erblicken würden; außerdem für so etwas wie Empowerment und für Kontexte zu sorgen. So haben etwa das Grußwort der simbabwischen Autorin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga, die 2021 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, und die Büchertische klargemacht, dass es Schwarze Literatur nicht erst seit zwei oder drei Jahren gibt und die Lesungen mit einer Art von Tradition ausgestattet.
Zunächst getrennt, dann zusammen
Dabei stellt sich die Frage, ob so ein Festival für Schwarze Literatur nicht dazu beitragen kann, dass sich die Literaturszene in einzelne Unter-Szenen spaltet. Festivalkuratorin Shanon Dodua Otoo betont: „Mir geht es gar nicht darum, das auseinanderzudividieren.“ Aber ihr sei aufgefallen, „dass im Moment, die deutschsprachige Literaturlandschaft sehr, sehr fokussiert ist auf eine bestimmte Art und Weise, eine bestimmte Perspektive, die Welt zu sehen.“ Das werde nicht benannt, aber das sei „eher eine weiße Perspektive“, so Otoo. „Und was ich sagen möchte, ist: Wollen wir nicht uns zusammentun und diesen Blick erweitern und viel mehr zulassen, damit es diverser wird und vielfältiger und spannender?“ Es brauche zunächst dieses Getrennte, damit man wirklich verstehen kann, worum es gehe. „Wenn das alles zusammenkommt, dann sehen wir diese Unterschiede – und es ist nicht schlimm, dass es unterschiedlich ist. Es ist gut, diese Unterschiede zu erkennen und dann in diesem Zusammenwirken zu feiern.“
Es geht hier also um temporäre Förderung eines Wissensfeldes, das man in Deutschland womöglich vor einigen Jahren so noch nicht gesehen hat. So war es auch kein Zufall, dass während der Festivaltage immer wieder auch die Forderung aufkam nach der akademischen Erschließung dieses Wissensfelds: nach Lehrstühlen für afrodeutsche Literatur oder für Black Studies.
Im September gibt es dann noch mehr zu erfahren zum Festival: Dann soll ein Buch erscheinen mit dem Titel „Resonanzen - Schwarzes Literaturfestival“, im Leipziger Verlag Spector Books.