Schwarzes Loch auf der politischen Landkarte
Politische Zusagen müssen eingehalten werden, sonst drohen Enttäuschung und ein Rückfall in alten Nationalismus, sagt die Historikerin Marie-Janine Calic, Professorin für Geschichte in München. Sie setzt sich für einen EU-Beitritt Kroatiens ein, der bereits 1999 beschlossen wurde.
Nun also nicht einmal Kroatien? Der Beitritt des ersten Westbalkanlandes zur Europäischen Union war für den 1. Juli 2013 in Aussicht gestellt. Inmitten der Griechenland-Krise meldet nun die Europäische Kommission, dass Kroatien die Bedingungen für die Mitgliedschaft immer noch nicht ganz erfüllt. Vor allem bei der Verwaltung und der Justiz hapere es noch.
Seit Abschluss der Beitrittsverhandlungen steht das Land unter kritischer Beobachtung, um zu verhindern, dass Reformen verschleppt werden – eine Lehre aus der verfrühten Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in die EU.
Die Europäische Kommission hat vorerst nur einen deutlichen Warnschuss abgegeben. Den Erweiterungsgegnern ist dies jedoch willkommener Anlass, die Aufnahme neuer Mitglieder ganz in Frage zu stellen: Ja, ist denn der Schaden, den das marode Griechenland dem europäischen Projekt zugefügt hat, etwa noch nicht groß genug? Der Beitritt Kroatiens müsse verschoben werden, und weil das noch nicht reicht, sollen auch Serbien und Mazedonien gleich mitbestraft werden: die erst 2009 erworbene Reisefreiheit müsse durch eine erneute Visapflicht rückgängig gemacht werden.
Die Kritik an der südosteuropäischen Erweiterung ist jedoch unpassend und gefährlich. Denn keineswegs will die EU einen weiteren Staat aufnehmen, der die Anforderungen für die Mitgliedschaft gar nicht erfüllt. Vielmehr hat Kroatien in den vergangenen Jahren tiefgreifende, schmerzhafte Reformen unternommen, um die strengen Beitrittskriterien der EU zu erfüllen. Unbenommen ist, dass es hier und da noch etwas zu tun gibt. Bis zum vorgesehenen Beitrittsdatum bleibt aber noch Zeit, Defizite zu beseitigen.
Kroatien ist übrigens das beste Beispiel für die friedensfördernde Wirkung der EU-Erweiterungspolitik. Noch 1995 stand das Land im Krieg, es hat erst 1998 seine volle Souveränität wieder gewonnen. Die Aussicht auf Mitgliedschaft erwies sich als starker Anreiz für innere Reformen, regionale Zusammenarbeit und Aussöhnung.
Dass auch die Westbalkanstaaten ihren Platz in einem vereinigten Europa haben müssen, hat die EU 1999 beschlossen. Der Kosovo-Krieg hatte gelehrt, dass vorausschauende Krisenvorsorge durch Integration wirkungsvoller ist als militärisches Konfliktmanagement, das zu spät einsetzt. Auch dafür wurde die EU in diesem Jahr mit dem Friedensnobelpreis bedacht: Die bevorstehende Aufnahme Kroatiens, der Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Montenegro und die Erteilung des Kandidatenstatus an Serbien zeigten friedensfördernde Wirkung.
Freilich: Probleme in der Region bestehen weiter, vor allem in den noch international überwachten Staaten Bosnien-Herzegowina und Kosovo. Aber selbst hier hat sich Normalität eingestellt. Neuerliche Gewaltausbrüche sind – nicht zuletzt mit Blick auf die europäische Zukunftsperspektive – unvorstellbar geworden.
Schon im eigenen Interesse sollte Europa daran gelegen sein, die europäische Einigung weiter voranzutreiben. Es gilt zu verhindern, dass mitten in Europa ein schwarzes Loch auf der politischen Landkarte entsteht, aus dem neue Sicherheitsrisiken hervorgehen. Politische Zusagen müssen eingehalten werden, sonst drohen Enttäuschung und ein Rückfall in alten Nationalismus.
Rabatte auf die Beitrittsbedingungen jedoch kann und darf es nicht geben. Die Westbalkan-Staaten müssen entschlossener als bisher an demokratischen Reformen, wirtschaftlicher Stabilität und gutnachbarschaftlichen Beziehungen arbeiten. Es dürfte ohnehin noch mindestens ein Jahrzehnt vergehen, bis nach Kroatien der nächste Westbalkanstaat beitrittsreif ist.
Deutsche und europäische Politik muss die Südosterweiterung ernst nehmen. Die Chancen der Integration überwiegen bei weitem die Risiken, die durch Isolation und Ausschluss entstehen.
Marie-Janine Calic ist Professorin für Ost- und Südosteuropäische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Dekanin der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften. Zuvor arbeitete sie als wissenschaftliche Referentin für Südosteuropa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Als politische Beraterin wurde sie zum Sonderkoordinator für den Stabilitätspakt für Südosteuropa in Brüssel sowie den UN-Sondergesandten für das ehemalige Jugoslawien entsandt. Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift "Südosteuropa”. 2010 ist ihr Buch "Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert" im Beck-Verlag erschienen.
Seit Abschluss der Beitrittsverhandlungen steht das Land unter kritischer Beobachtung, um zu verhindern, dass Reformen verschleppt werden – eine Lehre aus der verfrühten Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in die EU.
Die Europäische Kommission hat vorerst nur einen deutlichen Warnschuss abgegeben. Den Erweiterungsgegnern ist dies jedoch willkommener Anlass, die Aufnahme neuer Mitglieder ganz in Frage zu stellen: Ja, ist denn der Schaden, den das marode Griechenland dem europäischen Projekt zugefügt hat, etwa noch nicht groß genug? Der Beitritt Kroatiens müsse verschoben werden, und weil das noch nicht reicht, sollen auch Serbien und Mazedonien gleich mitbestraft werden: die erst 2009 erworbene Reisefreiheit müsse durch eine erneute Visapflicht rückgängig gemacht werden.
Die Kritik an der südosteuropäischen Erweiterung ist jedoch unpassend und gefährlich. Denn keineswegs will die EU einen weiteren Staat aufnehmen, der die Anforderungen für die Mitgliedschaft gar nicht erfüllt. Vielmehr hat Kroatien in den vergangenen Jahren tiefgreifende, schmerzhafte Reformen unternommen, um die strengen Beitrittskriterien der EU zu erfüllen. Unbenommen ist, dass es hier und da noch etwas zu tun gibt. Bis zum vorgesehenen Beitrittsdatum bleibt aber noch Zeit, Defizite zu beseitigen.
Kroatien ist übrigens das beste Beispiel für die friedensfördernde Wirkung der EU-Erweiterungspolitik. Noch 1995 stand das Land im Krieg, es hat erst 1998 seine volle Souveränität wieder gewonnen. Die Aussicht auf Mitgliedschaft erwies sich als starker Anreiz für innere Reformen, regionale Zusammenarbeit und Aussöhnung.
Dass auch die Westbalkanstaaten ihren Platz in einem vereinigten Europa haben müssen, hat die EU 1999 beschlossen. Der Kosovo-Krieg hatte gelehrt, dass vorausschauende Krisenvorsorge durch Integration wirkungsvoller ist als militärisches Konfliktmanagement, das zu spät einsetzt. Auch dafür wurde die EU in diesem Jahr mit dem Friedensnobelpreis bedacht: Die bevorstehende Aufnahme Kroatiens, der Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Montenegro und die Erteilung des Kandidatenstatus an Serbien zeigten friedensfördernde Wirkung.
Freilich: Probleme in der Region bestehen weiter, vor allem in den noch international überwachten Staaten Bosnien-Herzegowina und Kosovo. Aber selbst hier hat sich Normalität eingestellt. Neuerliche Gewaltausbrüche sind – nicht zuletzt mit Blick auf die europäische Zukunftsperspektive – unvorstellbar geworden.
Schon im eigenen Interesse sollte Europa daran gelegen sein, die europäische Einigung weiter voranzutreiben. Es gilt zu verhindern, dass mitten in Europa ein schwarzes Loch auf der politischen Landkarte entsteht, aus dem neue Sicherheitsrisiken hervorgehen. Politische Zusagen müssen eingehalten werden, sonst drohen Enttäuschung und ein Rückfall in alten Nationalismus.
Rabatte auf die Beitrittsbedingungen jedoch kann und darf es nicht geben. Die Westbalkan-Staaten müssen entschlossener als bisher an demokratischen Reformen, wirtschaftlicher Stabilität und gutnachbarschaftlichen Beziehungen arbeiten. Es dürfte ohnehin noch mindestens ein Jahrzehnt vergehen, bis nach Kroatien der nächste Westbalkanstaat beitrittsreif ist.
Deutsche und europäische Politik muss die Südosterweiterung ernst nehmen. Die Chancen der Integration überwiegen bei weitem die Risiken, die durch Isolation und Ausschluss entstehen.
Marie-Janine Calic ist Professorin für Ost- und Südosteuropäische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Dekanin der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften. Zuvor arbeitete sie als wissenschaftliche Referentin für Südosteuropa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Als politische Beraterin wurde sie zum Sonderkoordinator für den Stabilitätspakt für Südosteuropa in Brüssel sowie den UN-Sondergesandten für das ehemalige Jugoslawien entsandt. Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift "Südosteuropa”. 2010 ist ihr Buch "Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert" im Beck-Verlag erschienen.