Schwebende Heilige und brüllende Löwen

Von Barbara Wiegand |
Barocke Heiligenfiguren schweben durch die Luft: Hubschrauber tragen sie über den Dom von Münster. Für diese Kunstperformance ist die türkische Künstlerin Ayse Erkmen bekannt geworden. Jetzt wird Ayse Erkmen im "Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart" in Berlin mit einer ersten umfassenden Werkschau vorgestellt.
Jeder Bahnhof hat - mindestens - eine Uhr. Auch der Hamburger Bahnhof. Doch normalerweise findet diese, an einem der beiden Fassadentürme angebrachte Zeitanzeige kaum Beachtung. Schließlich ist der Hamburger Bahnhof ein Kunstmuseum. Also, warum sie nicht einfach durchstreichen - fragte sich Ayse Erkmen und zog einen roten, zackigen Strich über das Zifferblatt.

Es sind solche kleinen Eingriffe, mit denen die Künstlerin listig den Blick für Alltägliches schärft. Wobei man schon genau hinsehen muss, um die irritierenden Interventionen nicht zu übersehen. Das fängt an mit der Sicherheitsschleuse am Eingang der Schau.

Erstaunt nimmt man zur Kenntnis, dass diese in Zeiten des Terrors übliche Art der Gefahrenabwehr offenbar auch hier Einzug gehalten hat. Und wundert sich dann, dass niemanden das Piepen der Detektoren interessiert. Im angrenzenden Ausstellungssaal hängen die Neonröhren, die sonst hinter Milchglasscheiben an der Decke versteckt sind, herunter. So tief, dass man fast dagegen stößt, so präsent, sie dem Raum ein ganz anderes Gesicht verleihen. Nebenan ist der Betrachter noch auf der Suche, was denn hier außer einer leeren Wand zu sehen ist. Bis er bemerkt, dass eben diese Wand auf ihn zukommt. Um sich dann wieder zu entfernen. Der Raum scheint zu atmen und wird selbst zur Installation.

"Ich benutze Dinge aus dem täglichen Leben. Aber nicht so, wie sie normalerweise genutzt werden. Ich versuche immer ihren Sinn, ihren Nutzen zu verändern, ja, auch ihre Funktion in Frage zu stellen. Also, ich gebe diesen unscheinbaren, gewöhnlichen Dingen, die in unserem Bewusstsein keine große Rolle spielen, eine Hauptrolle. Die Lampen, die Türen, all diese Dinge sind dann nicht mehr zu benutzen, sondern zu betrachten. Sie stehen für sich selbst und nicht mehr zur Verfügung. Sie haben eine eigene Bedeutung."

Diese gewöhnlichen Dinge macht Ayse Erkmen aber nicht einfach zu Ready Mades. Vielmehr spricht die studierte Bildhauerin von Skulpturen, wenn es um ihre Arbeiten geht. Sie wurden zwar von Technikern und Handwerkern gebaut, aber nach ihren Anweisungen, nach ihrem Konzept geformt. Skulpturen, die die in Berlin und ihrer Heimatstadt Istanbul lebende Künstlerin auch als Weggefährten bezeichnet.

So lautet denn auch der Titel der Ausstellung im Hamburger Bahnhof, dem Museum für Gegenwartskunst. Er steht für eine Schau, die auch eine Retrospektive ist. Allerdings eine der besonderen Art. Nicht nur, das die 1949 geborene Erkmen so spielerisch Bilanz zieht. Vor allem auch, weil hier nicht auf ein Werk zurückgeblickt wird, indem man Arbeiten aus allen Schaffensperioden zeigt, sonder auf die Idee dieses Werkes. Denn fast alles, was zu sehen ist, wurde neu geschaffen für diese Ausstellung. Und verweist gleichzeitig zurück auf die künstlerische Vergangenheit.

So bewegten sich die Wände schon 1999 bei einer Ausstellung im Kasseler Fridericianum, und fünf Jahre zuvor nahm sie in einer Schau des DAAD in Berlin bereits ein Lichtsystem künstlerisch auseinander.

Dass sich Ayse Erkmen nun die Mühe macht, nicht einfach Altes neu zu arrangieren, sondern es zu transformieren für den Ausstellungsort, dass entspricht ihrem Credo. Demnach wird nicht nur der Raum durch die Kunst ein anderer. Sondern auch umgekehrt.

"Der Raum ist sehr wichtig für mich. Ich habe schon an vielen verschiedenen Orten ausgestellt. Im klassischen "White Cube" - aber auch auf der Straße. Und ich finde, dass die Arbeiten sich verändern, je nachdem, an welchem Ort sie gezeigt werden. Deshalb kann man nicht so einfach eine Arbeit mal da, mal da ausstellen. Kunst bezieht sich also immer auf den Raum. Das gilt auch für einen Picasso. Wie wird er präsentiert, welches Werk hängt daneben? Davon hängt auch ab, wie das Bild wirkt."

Zu diesem künstlerischen Verständnis passt es, dass im ersten Stock zwar vergangene Videoarbeiten im Original gezeigt werden, dass aber die Bildschirme frontal angeordnet sind. Und alle zur gleichen Zeit flackern und plappern - wie eine lärmende Schulklasse. Da brüllt ein Löwe immer und immer wieder, da schwirren Tellermienen als lustige Computeranimationen daher, da flirren pinkfarbene Zeichen über pechschwarzen Grund.

Eine Bilderflut von mediengerecht gesampelten Ausschnitten einer nur scheinbar virtuellen Realität. Ein mit menschlichen Sehgewohnheiten spielendes Szenario, dass zwischen mehreren Säulen aufgebaut ist. Säulen, die durch Gurte miteinander verbunden sind. So verworren, dass sie jede Menge Verwirrung stiften.

" Ich mag Kunst, die Fragen stellt, ohne Antworten zu liefern. Ich habe keine Botschaft zu verkünden. 17 Ich habe auch nicht die Absicht, Kunst für die Ewigkeit machen .Meine Werke verändern sich deshalb. Ich glaube wie wir Menschen, so hat auch die Kunst ihre Zeit."

Doch Ayse Erkmens Ideen, sie leben weiter. Ihre sogenannten Weggefährten, sie sind anregende Begleiter auf diesem Grenzgang zwischen Kunst - Raum - und Alltag. Ein Grenzgang, auf dem alle drei geschickt hinterfragt werden, so dass man sie anders- und viel besser sieht.