Das Ende der nordischen Pass-Union
An der dänischen Grenze zu Schweden gibt es nun wieder Passkontrollen. Damit will die schwedische Regierung die hohe Zahl an Asylbewerbern reduzieren. Der Skandinavist Bernd Henningsen befürchtet gravierende Konsequenzen für die Grenzregion, in der Zehntausende Berufspendler täglich den Öresund überqueren.
Nach Angaben des Politikwissenschaftlers und Skandinavisten Bernd Henningsen reisen derzeit jeden Tag knapp 75.000 Menschen über den Öresund, 32.000 davon mit dem Zug. Über 15.000 Menschen pendelten aus beruflichen Gründen – rund 90 Prozent von ihnen lebten auf der schwedischen Seite und arbeiteten in Kopenhagen, sagte Henningsen im Deutschlandradio Kultur. Die Arbeitgeber in der Region befürchteten nun durch die neuen Passkontrollen erhebliche Einbußen, viele Pendler überlegten, ob sie ihren Job aufgeben sollen, so der Gründungdirektor des Nordeuropa-Instituts der Humboldt-Universität Berlin. Hintergrund ist, dass sich die Fahrtzeit durch die Kontrollen erheblich verlängern wird. Die seit 1952 bestehende nordische Pass-Union gehe mit den Kontrollen nun zu Ende.
Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: In der Fernsehserie "Die Brücke" sind schwedische und dänische Polizisten dabei zu erleben, wie sie gemeinsam grenzüberschreitend in der Region Malmö, Kopenhagen ermitteln. Das ist Fiktion, wahr aber ist, dass viele Menschen in diesen beiden Städten zusammenarbeiten, dass es auch ganz normal ist, dass man in der einen Stadt lebt und in der anderen arbeitet, nicht zuletzt das ist aber ab heute sehr viel schwerer als zuvor, denn ab heute kontrollieren die schwedischen Behörden wieder an der Grenze. Das bedeutet beispielsweise konkret, dass sich die Fahrzeit mit dem Zug über die Öresundbrücke auf das Dreifache mindestens verlängern wird, von rund 30 auf mindestens 90 Minuten.
Das ist eine der praktischen Folgen. Welche es darüber hinaus noch geben könnte, darüber wollen wir jetzt mit Bernd Henningsen reden, Gründungsdirektor des Nordeuropa-Instituts der Berliner Humboldt-Uni, als Honorarprofessor weiterhin für dieses Institut tätig und erfahrener Skandinavist, der an zahlreichen Unis, auch in Dänemark und Schweden, gelehrt hat. Schönen guten Morgen, Herr Henningsen!
Bernd Henningsen: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Kopenhagen und Malmö, war das bisher wirklich eine Metropolenregion, eine gemeinsame, trotz der Grenzen?
In Kopenhagen wird auf der Straße viel Schwedisch gesprochen
Henningsen: Nun ja, unter Nachbarn gibt es häufig die größeren Streitigkeiten, wie wir selber aus unserer eigenen Erfahrung wissen, aber ich war in den Vorweihnachtstagen, Ende November, Anfang Dezember, war ich zuletzt in Kopenhagen und bin durch die Stadt gegangen und habe mir das angehört, was die Leute vor und hinter mir reden, überwiegend schwedisch. Und das war genau dieser Zusammenarbeits- und Zusammenwachsen-Impuls, der Fahrt gegeben hat dem Bau der Öresundbrücke in den 90er- und dann in den 80er-Jahren, die aber weit über 100 Jahre schon längst geplant war und nicht in Gang kam.
Als sie dann 2000 eröffnet worden ist, die Brücke, war der Grenzverkehr nicht so groß, aber inzwischen hat sich doch dieses Zusammenwachsen der Region als eine Realität im Alltag erwiesen. Es reisen täglich – ich habe die neuesten Zahlen jetzt hier – jeden Tag reisen 74.900 Personen über den Öresund und davon 32.100 mit dem Zug und 15.200 Personen pendeln täglich über den Öresund, also aus beruflichen Gründen, man wohnt überwiegend – die Zahl liegt irgendwo bei über 90 Prozent –, dieser Pendler wohnen zu über 90 Prozent in Schonen auf der anderen Seite und arbeiten in Kopenhagen.
Kassel: Das hat auch, durch das, was Sie beschrieben haben ist das noch mal klar geworden, große wirtschaftliche Bedeutung, diese bisherige enge Zusammenarbeit – was bedeutet denn das, was ab heute gilt, diese Grenzkontrollen und diese Schwierigkeiten beim Überfahren dieser Brücke, was bedeutet das für die Zukunft?
Öresund: Viele Pendler denken nun über einen neuen Job nach
Henningsen: Ich finde es hochinteressant, dass augenblicklich die schärfsten Proteste Seiten, aus Kreisen kommen, die, sagen wir mal, eher arbeitgeberorientiert sind, also man befürchtet doch erhebliche Einbußen. Viele der Pendler überlegen sich, ob sie ihren Job, ihren Arbeitsplatz aufgeben sollen, ob sie sich vielleicht einen neuen Job suchen können. Das ist östlich des Öresunds nicht so ganz einfach. Wir haben es hier zwar mit einer Boom-Region zu tun, aber die meisten Arbeitsplätze werden natürlich in Kopenhagen generiert.
Die Arbeitslosigkeit im Malmö-Gebiet, in Schonen, liegt bei 15 Prozent, und man rechnet damit, dass sie wachsen wird. Es ist auch interessant zu sehen, dass jetzt, was die Proteste betrifft, sich eine Bewegung in Schonen, also in Südschweden, bemerkbar macht, die sagt, diese Beschlüsse, die sind in Stockholm gemacht worden – es ist ja die schwedische Regierung, die die Ausweiskontrollen beschlossen hat – die keine Ahnung haben vom Leben in der Öresund-Region, die keine Ahnung haben von dem täglichen Pendeln, von dem täglichen Austausch, über den Öresund.
Kassel: Nun verbindet ja Schweden und Dänemark und auch Norwegen noch dazu schon seit über 60 Jahren die sogenannte Passunion, und das sah immer so aus, als habe Nordeuropa sowas wie Schengen eigentlich gar nicht nötig, weil es eine Art skandinavisches Schengen seit über einem halben Jahrhundert gibt. Geht jetzt auch das skandinavische Modell quasi zu Ende gerade?
Die Finnen machen ebenfalls dicht: Sie verlangen jetzt ein Visum bei Einreise
Henningsen: Eindeutig ja. Wir haben es jetzt im Augenblick mit den schärfsten Kontrollen in den nicht-unmittelbaren Zielländern oder Ankunftsländern von Asylsuchenden und von Flüchtlingen zu tun. Was zwischen Schweden und Dänemark errichtet worden ist, das ist wirklich für die Passunion, die Sie jetzt gerade angesprochen haben, seit 1952 existierend und aber eben auch seit Schengen, das ist wirklich einmalig.
Wir sollten nicht vergessen zu erwähnen, dass die Finnen dieses auch eingeführt haben jetzt kürzlich in diesen Tagen, also wer auf die Fähre in Travemünde nach Helsinki steigt, muss ein Visum vorzeigen, das ist in Flüchtlingszeiten ein sehr ungewöhnlicher Beschluss.
Kassel: Nun hat Dänemark angekündigt, sehr konkret darüber nachzudenken, in der Folge dieses Beschlusses der Schweden, wieder Pässe zu kontrollieren, auch wieder an der deutsch-dänischen Grenze zu kontrollieren, weil man sich einfach Sorgen macht, Flüchtlinge, die von Deutschland nach Dänemark kommen, bleiben dann da, weil sie nicht mehr weiter nach Schweden können.
Stellen wir uns das mal konkret vor, zum Beispiel für die Region Flensburg, ich darf erwähnen, da kommen Sie her, da kennen Sie sich sehr gut aus: Wenn Dänemark die Grenze zu Deutschland nicht dicht macht, aber quasi wieder anfängt zu kontrollieren, was würde das auch für die deutsch-dänische Zusammenarbeit bedeuten?
Auch die Region Flensburg muss mit negativen Folgen rechnen
Henningsen: Als Deutschland der kranke Mann Europas war in den 90er-Jahren und in den Nullerjahren, hat es einen sehr regen Arbeitskräfteaustausch gegeben von Deutschland nach Dänemark, viele Arbeitssuchende aus Deutschland haben Dänisch gelernt und sind über die Grenze gegangen, weil sie auf der anderen Seite eine Anstellung gefunden haben. Es pendeln jetzt augenblicklich auch eine ganz erhebliche Zahl von Personen, also Dänen zum Beispiel, die in Deutschland wohnen und in Dänemark arbeiten. Viele Ärzte in der Region haben jetzt Kassenzulassungen auf der deutschen Seite zurückgegeben, weil sie ganz einfach von dänischen Patienten leben und zum Teil auch besser leben können.
Da wird es sicherlich einen ganz erheblichen Einbruch geben für diese Region, also zurück zur Zeit vor Schengen. Wir haben ja die Skandinavier immer bewundert für ihre Passfreiheit, etwas, was Europa nicht hingekriegt hat, und sehr, sehr viel später, erst nach dieser Passunion, der nordischen, sind die Europäer auf Schengen gekommen. Es war eine großartige Errungenschaft für die Personen im Alltag. Das ist jetzt rückgängig, es wird sich jetzt ein Dominoeffekt entwickeln: Erst machen die Schweden die Grenzen dicht, und das nächste wird kommen, dass die Dänen an der deutschen Grenze den Schlagbaum runterlassen beziehungsweise sie müssen ihn ja erst wieder aufbauen, weil die Grenzanlagen sind ja alle nicht mehr existent.
Kassel: Bernd Henningsen, Skandinavist und Gründungsdirektor des Nordeuropa-Instituts an der Berliner Humboldt-Universität, über die Einführung von Ausweiskontrollen an der schwedischen Grenze und ihre Folgen nicht nur für die Metropolregion Malmö, Kopenhagen, sondern auch darüber hinaus. Herr Henningsen, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Henningsen: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.