Schwefel im Wein

Der Winzer und seine Liebe zur Chemie

Von Udo Pollmer |
Schwefel trübt den Weingenuss – gemeinhin gilt er als Ursache für den Brummschädel nach übermäßigem Konsum. Die EU versucht den Verbraucher durch Senkung der Höchstmengen zu schützen. Doch genießt die Chemikalie ihren schlechten Ruf zu Recht? Der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer hat daran seine Zweifel.
Braucht ein guter Wein überhaupt Schwefel? Das kommt drauf an. Wird der Rebensaft am Ort der Erzeugung direkt aus dem Fass ausgeschenkt, kann man bei sauberer Arbeitsweise auf eine Schwefelung verzichten. Aber sobald er in Flaschen abgefüllt, transportiert und dann gelagert werden soll, ist eine Behandlung praktisch unvermeidbar. Sonst nimmt er Schaden.
Die Winzer pochen auf ihr Gewohnheitsrecht. Schon in der Antike sollen Winzer in ihren Fässern gelben Schwefel verbrannt haben, dabei entstand das farblose, stechend riechende Gas Schwefeldioxid. Schwefeldioxid tötet zuverlässig Verderbniserreger ab und stoppt außerdem auch allerlei Enzyme im Wein, die zu dessen Alterung beitragen. Nach dem Öffnen hält der Wein länger. Heute wird der Schwefel als Sulfitlösung zugesetzt, das erlaubt eine viel genauere Dosierung als das Verbrennen.
Doch Skepsis bleibt, schließlich gilt Schwefel als Ursache von Kopfschmerz. Und das nicht erst seit heute. Der Chemiker Friedlieb Ferdinand Runge hatte sich schon vor über einem Jahrhundert darüber erregt. Bei manchen Weinen habe er das Gefühl „als wolle sich die obere Hirnschale ablösen und alle Haare thun weh. Von der schwefeligen Säure allein“, so das Urteil des Chemikers, „kann dies unmöglich herkommen“.
Woher kommt‘s dann? Dazu Runge: „Dies ist meine feste Überzeugung, dass nicht das Schwefeln es thut, sondern das, was mittelst des Schwefelns in den Wein hineingebracht wird. Aller käuflicher Schwefel … enthält Arsenik und außerdem oft Selen und Tellur … Dieses ist unverantwortlich“. Daher der Brummschädel. Dabei sei es überhaupt kein Problem, einen arsenfreien Schwefel herzustellen. Leider fände dieser – so Runge - bei den Winzern aber keine Abnehmer, denn Arsen ist halt weit wirksamer als Schwefel. Heute ist der Schwefel natürlich frei von giftigen Schädelspaltern wie Arsen.
Der Winzer braucht den Schwefel als Mittel gegen Fehlgärungen
Auch ohne Arsen ist Schwefel im Wein wirksam. Der Winzer braucht ihn, um die Maische vor Fehlgärungen zu bewahren, vor allem wenn faules Lesegut dabei ist, manchmal wird auch nach der Gärung geschwefelt, um geschmacklich unerwünschte Verbindungen zu neutralisieren und schließlich bei der Abfüllung. Bis vor wenigen Jahren wurde er auch zum Stummschwefeln der „Süßreserve“ benötigt. Die Süßreserve ist ein Traubenmost, der im Drucktank mit CO2 und hochdosiertem Schwefel konserviert und später dem Wein wieder zugesetzt wurde. Doch vorher musste der süße Sprudel aufwendig entschwefelt werden, um die Höchstmengen im Wein einhalten zu können. Inzwischen wird die Süßreserve durch rektifiziertes Traubenmostkonzentrat ersetzt.
Rektifiziertes Traubenmostkonzentrat, RTK abgekürzt, diente ursprünglich dazu, die Überschüsse an süditalienischem Traubensaft zu entsorgen. Die Italiener stellten aus Traubensaft eine klebrige Zuckerlösung her. Doch dies muss aufwendig aufgearbeitet werden, um unerwünschte Begleitstoffe zu entfernen. Andererseits enthält sie neben Traubenzucker einen weiteren begehrten Stoff: nämlich Wasser. Genau wegen dieser Wasserzugabe rechnet sich das RTK, weil es die deutsche Weinmenge mehrt. Richtiger Kristallzucker ist für den Winzer bereits zu teuer, weshalb er meist hochwertigen Weinen vorbehalten bleibt.
Inzwischen hat die traditionelle Angst vor dem Schwefel dazu geführt, dass die zulässige Menge von der EU immer weiter abgesenkt wird. Fachleute bezweifeln jedoch, dass unsere Weine noch genauso haltbar sind, wie einst. So sorgt der Verbraucherschutz dafür, dass der Verbraucher wieder einmal der Dumme ist. Denn wenn der merkt, dass er seinen Weinvorrat nur noch in den Ausguss kippen kann, dann hagelt es auch noch Vorwürfe, dass immer mehr Lebensmittel weggeworfen würden. Gewinner dieser Praxis sind allenfalls die naschhaften Bewohner in der Kanalisation. Wenn beschwipste Ratten ein Loblied auf den Verbraucherschutz in der EU anstimmen, dann wissen wir warum. Mahlzeit!.
Literatur:
Reisinger W: Geheimnisvoller Schwefel. Wolf, Ingelheim 2009
Runge FF: Hauswirthschaftliche Briefe. Koenig’s, Berlin 1866, Reprint VCH, Weinheim 1988
Deutsches Weininstitut: Aktuelles Weinrecht. Mainz, Stand 15. Feb. 2013