Schweigen vor Gericht "macht Sinn aus Sicht der Beschuldigten"
Zwischen dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft herrsche prinzipiell "keine Waffengleichheit", sagt der Strafprozess-Experte Jo Reichertz. Deshalb sei einem Beschuldigten angeraten, vor Gericht gar nichts zu sagen, wie es Beate Zschäpe im NSU-Prozess tun will.
Dieter Kassel: Wenn Beate Zschäpe im Verfahren vor dem Münchner Landgericht schweigt, dann ist das ihr gutes Recht. Dieses Recht wird jedem Angeklagten in Deutschland zugesprochen. Und doch kann die Inanspruchnahme dieses Rechts nicht richtig zufriedenstellen, zumindest die, die den Prozess beobachten, oft nicht. Denn man will ja Erklärungen. Man will wissen, was passiert ist. Und andererseits: Nichts ist so eindeutig wie ein Geständnis – glauben wir zumindest. Aber ist das wirklich so?
Über das Recht zu schweigen und die möglichen Motive für ein Geständnis reden wir jetzt mit Jo Reichertz. Der Kommunikationswissenschaftler an der Uni Duisburg-Essenleitete ein interdisziplinäres Projekt zur Erforschung der Geständnismotivierung im Strafprozess. Dieses Projekt lief 2005 aus. Seitdem war er an weiteren Forschungsprojekten unter anderem auch zur Vernehmung als Kommunikation und zur Geschichte der Aushandlung beteiligt. Schönen guten Tag, Herr Reichertz.
Jo Reichertz: Guten Tag, Herr Kassel.
Kassel: Wer schweigt, ist schuldig. Dieser Verdacht liegt für mich zumindest nahe, aber ist er auch berechtigt?
Reichertz: Nein. Das ist sicherlich nicht der Fall. So wie die, die gestehen, auch nicht unbedingt schuldig sind. Also wer spricht, muss auch nicht schuldig sein. Zu schweigen hat unterschiedliche Gründe. Historisch, im Gerichtsverfahren ist es ein erworbenes Recht in demokratischen Gesellschaften, was demnach legal und auch meistens legitim ist.
Kassel: Aber wenn Sie damit ja gesagt haben, es muss nicht sein, dass ich schweige, weil ich meine Schuld nicht eingestehen will – welche andere Gründe könnte es denn für einen Angeklagten dann noch geben, zu schweigen?
Reichertz: Wenn normale Menschen auf Polizisten treffen, Staatsanwälte oder Richter, dann hat man, was die Kommunikationsmacht angeht, nicht die gleiche Waffenmacht. Leute, die gewohnt sind, zu vernehmen, können kommunikative Strategien entwickeln, und der so Behandelte merkt erst später, was ihm da passiert. Kurz, man hat keine Waffengleichheit aufgrund kommunikativer Macht, unterschiedlicher Machtverhältnisse. Und oft ist es deshalb in jeder Hinsicht einem Beschuldigten angeraten, zu schweigen.
Kassel: Das heißt also ein bisschen, das, was wir alle vor allem aus amerikanischen Fernsehkrimis kennen, diesen Satz: Sie können schweigen, aber wenn Sie reden, dann kann alles, was Sie gesagt haben, auch gegen Sie verwendet werden.
Reichertz: Erst mal das, alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden. Und das, was wichtiger ist: Sobald man anfängt zu reden, begibt man sich so in Kommunikationszwang hinein. Man kann nicht irgendwann sagen: Jetzt hör‘ ich aber auf.
Kassel: Das könnte natürlich in diesem Fall in München auch bedeuten, bei einem solchen Prozess, den nicht wenige ja schon jetzt als Schauprozess bezeichnen, könnte es auch gefährlich sein für die Angeklagte, zu reden, weil sie einfach keine Chance mehr hat, auf die gleiche Kommunikationsebene zu kommen wie viele andere, die da jetzt schon reden?
Über das Recht zu schweigen und die möglichen Motive für ein Geständnis reden wir jetzt mit Jo Reichertz. Der Kommunikationswissenschaftler an der Uni Duisburg-Essenleitete ein interdisziplinäres Projekt zur Erforschung der Geständnismotivierung im Strafprozess. Dieses Projekt lief 2005 aus. Seitdem war er an weiteren Forschungsprojekten unter anderem auch zur Vernehmung als Kommunikation und zur Geschichte der Aushandlung beteiligt. Schönen guten Tag, Herr Reichertz.
Jo Reichertz: Guten Tag, Herr Kassel.
Kassel: Wer schweigt, ist schuldig. Dieser Verdacht liegt für mich zumindest nahe, aber ist er auch berechtigt?
Reichertz: Nein. Das ist sicherlich nicht der Fall. So wie die, die gestehen, auch nicht unbedingt schuldig sind. Also wer spricht, muss auch nicht schuldig sein. Zu schweigen hat unterschiedliche Gründe. Historisch, im Gerichtsverfahren ist es ein erworbenes Recht in demokratischen Gesellschaften, was demnach legal und auch meistens legitim ist.
Kassel: Aber wenn Sie damit ja gesagt haben, es muss nicht sein, dass ich schweige, weil ich meine Schuld nicht eingestehen will – welche andere Gründe könnte es denn für einen Angeklagten dann noch geben, zu schweigen?
Reichertz: Wenn normale Menschen auf Polizisten treffen, Staatsanwälte oder Richter, dann hat man, was die Kommunikationsmacht angeht, nicht die gleiche Waffenmacht. Leute, die gewohnt sind, zu vernehmen, können kommunikative Strategien entwickeln, und der so Behandelte merkt erst später, was ihm da passiert. Kurz, man hat keine Waffengleichheit aufgrund kommunikativer Macht, unterschiedlicher Machtverhältnisse. Und oft ist es deshalb in jeder Hinsicht einem Beschuldigten angeraten, zu schweigen.
Kassel: Das heißt also ein bisschen, das, was wir alle vor allem aus amerikanischen Fernsehkrimis kennen, diesen Satz: Sie können schweigen, aber wenn Sie reden, dann kann alles, was Sie gesagt haben, auch gegen Sie verwendet werden.
Reichertz: Erst mal das, alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden. Und das, was wichtiger ist: Sobald man anfängt zu reden, begibt man sich so in Kommunikationszwang hinein. Man kann nicht irgendwann sagen: Jetzt hör‘ ich aber auf.
Kassel: Das könnte natürlich in diesem Fall in München auch bedeuten, bei einem solchen Prozess, den nicht wenige ja schon jetzt als Schauprozess bezeichnen, könnte es auch gefährlich sein für die Angeklagte, zu reden, weil sie einfach keine Chance mehr hat, auf die gleiche Kommunikationsebene zu kommen wie viele andere, die da jetzt schon reden?

Jo Reichertz© dpa /picture alliance / privat
"Es macht Sinn zu schweigen - egal, ob schuldig oder nicht"
Reichertz: Also der Prozess in München ist sicherlich ein spezieller Prozess. Ich weiß nicht, ob ich ihn als Schauprozess bezeichnen würde, aber sicher ist es kein normaler Prozess, weil einfach im Vorfeld die Beschuldigte ja schon durch die Medien gedeutet wurde. Es gibt viel Verdacht gegen sie, man scheint auch sicher zu sein, was da der Fall ist. Ich weiß es übrigens nicht. Aber die Öffentlichkeit ist, glaube ich, ein bisschen sicher zu wissen, was da der Fall ist. Und in einer solchen Situation kann man sich nicht hinstellen und sagen: Ich erzähle jetzt mal so, wie es war. Egal, ob man schuldig ist oder nicht schuldig ist. Weil das, was man sagt, dann immer unterschiedlich gedeutet wird. Von daher macht es aus Sicht der Beschuldigten, aber aus Sicht der Anwälte natürlich auch, Sinn (egal, ob schuldig oder nicht schuldig) zu schweigen.
Kassel: Nun haben Sie schon gesagt, das ist ein erworbenes Recht, das es in vielen Gesellschaften inzwischen schon eine Weile gibt, aber das ja nicht immer da war, dieses Recht, als Beschuldigter, als Angeklagter zu schweigen. Und Sie haben ausführlich erklärt, warum das sinnvoll sein kann für den Angeklagten. Nun hat sich aber ja unser Rechtswesen und damit unsere Gesellschaft irgendwann entschlossen, dieses Recht einzuräumen. Warum denn eigentlich?
Reichertz: Ich sag mal so, sie hat beschlossen, es einzuräumen, weil ihre Praktiken, jemand zum Sprechen zu bringen, oft oder meistens nicht zur Wahrheit geführt haben, sondern zu teils fantasievollen Erfindungen, nur damit man der Vernehmungssituation entkommt. Vernehmungssituation war lange Zeit so gestaltet, dass Gewalt, Tortur, Marter dazu dienten, das Schweigen zu brechen. Auch da war das Schweigen aus unterschiedlichsten Gründen gegeben. A, weil man es nicht war, also weil man unschuldig war, B, weil man was anderes getan hatte und jemand Dritten schützen wollte.
Also, es gibt eine Fülle von Gründen, weshalb man nicht spricht, also weshalb man schweigen möchte. Und diese Mittel, die alten Mittel zum Brechen des Schweigens haben nicht zum Auffinden der Wahrheit, sondern oft zum Konstruieren von Falschaussagen geführt, die zum Nachteil des Beschuldigten, aber unter dem Strich auch zum Nachteil des Staates waren. Deswegen hat man aus guten Gründen gesagt, wir garantieren verfassungsrechtlich das Recht des Schweigens für einen Angeklagten.
Kassel: Nun haben Sie schon gesagt, das ist ein erworbenes Recht, das es in vielen Gesellschaften inzwischen schon eine Weile gibt, aber das ja nicht immer da war, dieses Recht, als Beschuldigter, als Angeklagter zu schweigen. Und Sie haben ausführlich erklärt, warum das sinnvoll sein kann für den Angeklagten. Nun hat sich aber ja unser Rechtswesen und damit unsere Gesellschaft irgendwann entschlossen, dieses Recht einzuräumen. Warum denn eigentlich?
Reichertz: Ich sag mal so, sie hat beschlossen, es einzuräumen, weil ihre Praktiken, jemand zum Sprechen zu bringen, oft oder meistens nicht zur Wahrheit geführt haben, sondern zu teils fantasievollen Erfindungen, nur damit man der Vernehmungssituation entkommt. Vernehmungssituation war lange Zeit so gestaltet, dass Gewalt, Tortur, Marter dazu dienten, das Schweigen zu brechen. Auch da war das Schweigen aus unterschiedlichsten Gründen gegeben. A, weil man es nicht war, also weil man unschuldig war, B, weil man was anderes getan hatte und jemand Dritten schützen wollte.
Also, es gibt eine Fülle von Gründen, weshalb man nicht spricht, also weshalb man schweigen möchte. Und diese Mittel, die alten Mittel zum Brechen des Schweigens haben nicht zum Auffinden der Wahrheit, sondern oft zum Konstruieren von Falschaussagen geführt, die zum Nachteil des Beschuldigten, aber unter dem Strich auch zum Nachteil des Staates waren. Deswegen hat man aus guten Gründen gesagt, wir garantieren verfassungsrechtlich das Recht des Schweigens für einen Angeklagten.
"Die Beichte als Mittel der individuellen Freistellung"
Kassel: Wir reden hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Kommunikationswissenschaftler Jo Reichertz über das Recht zu schweigen. Das haben wir nun ausführlich getan, vor Gericht, aber ja auch über die Frage des Geständnisses. Das haben Sie, ich habe es eingangs erwähnt, zusammen mit vielen Kollegen in einer Forschungsgruppe lange erforscht für die Zeiträume 1780 bis heute. Sie haben sich da konkret drei verschiedene Zeiträume rausgesucht. War es eigentlich da immer schon so, wie ich es heute empfinde, dass man so das Gefühl hat, das Geständnis, das ist eigentlich die beste und eindeutigste Weise, wie so ein Strafprozess, wie solche Ermittlungen ablaufen können?
Reichertz: Das war es lange nicht. Also in noch früheren Zeiten, im Mittelalter, war das Geständnis nicht unbedingt das, was das Zentrale war, sondern der Konsens in der Gruppe, also im Stamm oder im Dorf, da ging es um Zeugenaussagen: Wer hat wie viele Zeugen für den und wie viele Zeugen gegen den? Also das Geständnis als Einräumung einer individuellen Schuld von einem Individuum, das die Tat begangen hat, ist eher ein historisches Produkt.
Wenn man sich ansieht, weshalb man überhaupt gestehen sollte, das ist ja der Hintergrund Ihrer Frage, dann gibt es mehrere Traditionslinien, die immer an die jeweilige Kultur einer Gesellschaft gebunden sind. Die europäischen Gesellschaften waren lange, und auch die amerikanischen, waren lange gebunden an die christlichen Vorstellungen und das damit verbundene Menschenbild. Dass nämlich der Mensch eine Seele hat und ein Gewissen. Und wenn der Mensch gegen eine moralische Vorschrift verstößt, dann droht ihm ja nicht nur Strafe im Jenseits, sondern er hat auch ein Gewissen, was ihn belastet.
Deswegen hat ja die Kirche oder hat das Christentum, insbesondere der Katholizismus, die Beichte erfunden, als Mittel, wenn man so will, der individuellen Freistellung, der Entlastung. So konnte sich jeder am Wochenende, wenn er beichten war, von seiner Schuld wieder entlasten. Und die Vernehmung hatte eine ähnliche Funktion. Der Beschuldigte sollte die Tat gestehen. Und man hat einen Druck in der Vernehmung erzeugt, um diesen Gewissensdruck zu verstärken und um dem Beschuldigten die Möglichkeit zu geben, sich durch das Geständnis zu entlasten, zu befreien von dieser Schuld. Und deswegen waren anfangs die Vernehmungen darauf angelegt, mit dem Mittel des Gewissensdrucks quasi eine Katharsis zu erzeugen beim Täter: Er hat es gestanden, er fühlt sich danach wohler und er sagt, jetzt bin ich wieder rein mit der Welt. Das findet man heute immer noch in Krimis, manchmal auch in der Wirklichkeit, aber das hat sich ein bisschen gewandelt.
Reichertz: Das war es lange nicht. Also in noch früheren Zeiten, im Mittelalter, war das Geständnis nicht unbedingt das, was das Zentrale war, sondern der Konsens in der Gruppe, also im Stamm oder im Dorf, da ging es um Zeugenaussagen: Wer hat wie viele Zeugen für den und wie viele Zeugen gegen den? Also das Geständnis als Einräumung einer individuellen Schuld von einem Individuum, das die Tat begangen hat, ist eher ein historisches Produkt.
Wenn man sich ansieht, weshalb man überhaupt gestehen sollte, das ist ja der Hintergrund Ihrer Frage, dann gibt es mehrere Traditionslinien, die immer an die jeweilige Kultur einer Gesellschaft gebunden sind. Die europäischen Gesellschaften waren lange, und auch die amerikanischen, waren lange gebunden an die christlichen Vorstellungen und das damit verbundene Menschenbild. Dass nämlich der Mensch eine Seele hat und ein Gewissen. Und wenn der Mensch gegen eine moralische Vorschrift verstößt, dann droht ihm ja nicht nur Strafe im Jenseits, sondern er hat auch ein Gewissen, was ihn belastet.
Deswegen hat ja die Kirche oder hat das Christentum, insbesondere der Katholizismus, die Beichte erfunden, als Mittel, wenn man so will, der individuellen Freistellung, der Entlastung. So konnte sich jeder am Wochenende, wenn er beichten war, von seiner Schuld wieder entlasten. Und die Vernehmung hatte eine ähnliche Funktion. Der Beschuldigte sollte die Tat gestehen. Und man hat einen Druck in der Vernehmung erzeugt, um diesen Gewissensdruck zu verstärken und um dem Beschuldigten die Möglichkeit zu geben, sich durch das Geständnis zu entlasten, zu befreien von dieser Schuld. Und deswegen waren anfangs die Vernehmungen darauf angelegt, mit dem Mittel des Gewissensdrucks quasi eine Katharsis zu erzeugen beim Täter: Er hat es gestanden, er fühlt sich danach wohler und er sagt, jetzt bin ich wieder rein mit der Welt. Das findet man heute immer noch in Krimis, manchmal auch in der Wirklichkeit, aber das hat sich ein bisschen gewandelt.
"Lass uns einen Deal machen, wir recherchieren nicht"
Kassel: Wenn wir über Schweigen und Geständnis heute reden, dann habe ich ja oft das Gefühl, heute – da werden Sie vielleicht sagen, ja, Herr Kassel, das steht auch wieder in Krimis – aber ich habe den Verdacht, es ist in dem Fall auch in der Realität so, dass ein Grund für ein Geständnis was ganz simples ist, nämlich es ist ein Deal, und wenn man gesteht, dann bekommt man ein paar Jahre weniger. Ist das heute vielleicht die Hauptmotivation oft?
Reichertz: Das ist ein schwieriges Feld und eine schwierige Frage, weil es aktuelle Entwicklungen auch in Deutschland aufgreift. In Amerika gibt es Aushandeln von Tatumständen und Strafe seit längerer Zeit und ist dort gängige Praxis. Man sagt dem Beschuldigten, wir können dir das und das nachweisen. Wenn wir richtig gut recherchieren, was uns richtig viel Geld kostet, dann können wir auch noch das nachweisen. Lass uns einen Deal machen, wir recherchieren nicht, du räumst das ein, du bekommst die Strafe, das sagen wir dir jetzt zu. Komm, und dann haben wir die Kuh vom Eis.
So laufen dann viele Verfahren, das nennt man dann das Aushandeln von Schuld und Strafe. Diese Praxis ließ sich in den letzten Jahren durchaus auch im kleinen Umfang und deliktspezifisch in Deutschland beobachten. Wird von den Richtern sehr, sehr kritisch gesehen, entspricht auch nicht der deutschen Rechtsnorm. Trotzdem glaube ich, kann man sagen, dass es eine gewisse Tendenz zu diesem Aushandeln, rationalen Aushandeln von Schuld und Strafe gibt.
Kassel: Kann man das auch kombinieren? Ich könnte mir Täter vorstellen, die sagen, ich mache zunächst vom Recht des Schweigens Gebrauch, und wenn dann alle verzweifelt sind, weil sie gar nicht weiter mit mir kommen, dann biete ich ihnen einen Deal an?
Reichertz: Wenn er schweigt und die kommen nicht an ihn ran, dann braucht er keinen Deal vorzuschlagen. Der muss ja diesen Deal erst dann vorschlagen, wenn er bemerkt, dass die Gegenseite irgendetwas hat, mit dem sie ihm drohen können. Aber wenn er schweigt, muss die Gegenseite ja immer alles genau nachweisen. Und wenn sie keine Anhaltspunkte hat, in diesem Fall die Strafverfolgungsbehörden, dann sind sie machtlos. Das ist auch oft der Fall, sind sie machtlos, weil es da nichts gibt, weil nämlich der Beschuldigte in der Tat unschuldig ist.
Kassel: Das ist nun zwar natürlich im Fall von Beate Zschäpe nicht ganz so, es gibt ja diverse Erkenntnisse. Endgültige Beweise aber natürlich für vieles auch nicht. In diesem Fall, aber vielleicht ganz generell: Sie sind ja kein Anwalt, Herr Reichertz, aber wenn ich anstatt Anwalt Sie befragen würde und wäre angeklagt, würden Sie zu mir wahrscheinlich sagen, der Klügere schweigt immer vor Gericht?
Reichertz: Das würde ich jedem sagen, der von der Polizei irgendwelcher Dinge beschuldigt wird. Das ist immer ein guter Ratschlag, in jeder Situation.
Kassel: Dann danke ich Ihnen, dass Sie im Gespräch mit uns nicht auf dem Schweigen beharrt haben.
Reichertz: Gut.
Kassel: Der Kommunikationswissenschaftler Jo Reichertz war das über Gründe für Geständnisse und über Gründe, zu schweigen. Danke Ihnen sehr.
Reichertz: Keine Ursache.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Reichertz: Das ist ein schwieriges Feld und eine schwierige Frage, weil es aktuelle Entwicklungen auch in Deutschland aufgreift. In Amerika gibt es Aushandeln von Tatumständen und Strafe seit längerer Zeit und ist dort gängige Praxis. Man sagt dem Beschuldigten, wir können dir das und das nachweisen. Wenn wir richtig gut recherchieren, was uns richtig viel Geld kostet, dann können wir auch noch das nachweisen. Lass uns einen Deal machen, wir recherchieren nicht, du räumst das ein, du bekommst die Strafe, das sagen wir dir jetzt zu. Komm, und dann haben wir die Kuh vom Eis.
So laufen dann viele Verfahren, das nennt man dann das Aushandeln von Schuld und Strafe. Diese Praxis ließ sich in den letzten Jahren durchaus auch im kleinen Umfang und deliktspezifisch in Deutschland beobachten. Wird von den Richtern sehr, sehr kritisch gesehen, entspricht auch nicht der deutschen Rechtsnorm. Trotzdem glaube ich, kann man sagen, dass es eine gewisse Tendenz zu diesem Aushandeln, rationalen Aushandeln von Schuld und Strafe gibt.
Kassel: Kann man das auch kombinieren? Ich könnte mir Täter vorstellen, die sagen, ich mache zunächst vom Recht des Schweigens Gebrauch, und wenn dann alle verzweifelt sind, weil sie gar nicht weiter mit mir kommen, dann biete ich ihnen einen Deal an?
Reichertz: Wenn er schweigt und die kommen nicht an ihn ran, dann braucht er keinen Deal vorzuschlagen. Der muss ja diesen Deal erst dann vorschlagen, wenn er bemerkt, dass die Gegenseite irgendetwas hat, mit dem sie ihm drohen können. Aber wenn er schweigt, muss die Gegenseite ja immer alles genau nachweisen. Und wenn sie keine Anhaltspunkte hat, in diesem Fall die Strafverfolgungsbehörden, dann sind sie machtlos. Das ist auch oft der Fall, sind sie machtlos, weil es da nichts gibt, weil nämlich der Beschuldigte in der Tat unschuldig ist.
Kassel: Das ist nun zwar natürlich im Fall von Beate Zschäpe nicht ganz so, es gibt ja diverse Erkenntnisse. Endgültige Beweise aber natürlich für vieles auch nicht. In diesem Fall, aber vielleicht ganz generell: Sie sind ja kein Anwalt, Herr Reichertz, aber wenn ich anstatt Anwalt Sie befragen würde und wäre angeklagt, würden Sie zu mir wahrscheinlich sagen, der Klügere schweigt immer vor Gericht?
Reichertz: Das würde ich jedem sagen, der von der Polizei irgendwelcher Dinge beschuldigt wird. Das ist immer ein guter Ratschlag, in jeder Situation.
Kassel: Dann danke ich Ihnen, dass Sie im Gespräch mit uns nicht auf dem Schweigen beharrt haben.
Reichertz: Gut.
Kassel: Der Kommunikationswissenschaftler Jo Reichertz war das über Gründe für Geständnisse und über Gründe, zu schweigen. Danke Ihnen sehr.
Reichertz: Keine Ursache.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.