Schweinegrippe
Willkommen in der Ära der Schweinegrippe. Weiß jemand, was hier passiert? Sind wir Zeugen einer Hysterie und Auflagen steigernden Medienkampagne oder steht uns eine gefährliche Pandemie bevor? Oder handelt es sich vielleicht um eine freudig aufgegriffene Möglichkeit, von anderen Epidemien und Ansteckungsgefahren auf den Finanz- und Warenmärkten abzulenken?
In einem Jahr sind wir wahrscheinlich schlauer. Wenn sich dann noch jemand dafür interessiert, werden wir im Rückblick unterscheiden können zwischen verantwortungslosen Panikmachern und ungehörten Warnrufern. Im Moment aber weiß niemand, was uns bevorsteht. Die Mutationsrate der Expertenmeinungen kann mit jener der Grippeviren locker mithalten. Als Gewinner steht bisher lediglich die Pharmaindustrie fest.
Aus der Geschichte kennen wir beide Varianten: Im Frühjahr 1986 hielt der deutsche Innenminister lange Zeit daran fest, die in Tschernobyl ausgetretene Radioaktivität sei in der Atmosphäre über Deutschland nicht nachweisbar. Der Mann hat gelogen. Andere Paniken hingegen werden wider besseres Wissen geschürt – man denke an die grausigen Stilisierungen von frei herumlaufenden Serienkillern und Waffennarren im Schulalter, die uns noch vor wenigen Tagen beschäftigten.
Vielleicht hilft es, zwischen politisch nützlichen und weniger nützlichen Paniken zu unterscheiden. Ein massenhafter Run auf die Bankguthaben aufgrund von Vermutungen über die Ansteckungsgefahr fauler Kredite ist politisch weniger nützlich als die allgemeine Angst vor Trägern eines Grippevirus, die man isolieren und unter Quarantäne stellen kann. Immer wenn Absondern, Einsperren, Isolieren als Methode der Wahl sich anbieten, schlägt die Stunde der Ordnungspolitiker. Beherztes Eingreifen gegen eine vermeintlich isolierbare Gefahr kommt bei jenen gut an, die man damit zu schützen vorgibt.
Und was wünscht man sich in Gefahr und größter Not mehr, als die starke Führung, die Schutz und Orientierung gegen die Unsicherheit bietet. Die stellt sich ein, wenn Grenzen überschritten werden, wenn das Fremde eindringt und überspringt. Das war so bei AIDS, das war so bei der Vogelgrippe, das war so beim Rinderwahnsinn. Dabei hielten sich die realen Opfer zumindest in unseren Breiten selbst bei AIDS in Grenzen. Nähme man als Messlatte nur die trivialen zivilisatorischen Kollateralschäden, die Verkehrstoten oder Opfer von Krankheiten, die durch die hierzulande normale Lebensweise zu beklagen sind, so bestünde kein Grund zur Aufregung.
Zugespitzt und auf den Punkt gebracht lautet die Formel: Eine Epidemie über die nicht berichtet wird, findet nicht statt. Berichtet aber wird dann, wenn diejenigen, die Zugang zu den Medien haben, diesen auch nützen. Und berichtet wird das, was die Experten, Bürokraten und Politiker, die man in solchen Situationen vor die Kameras und Mikrofone bittet, in einem guten Licht als Helden im Kampf gegen die unsichtbare Bedrohung erscheinen lässt.
Man kann hier in jüngster Zeit zwei Arten von Rhetorik unterscheiden: Es gibt Gefahren, bei denen abgewiegelt und solche, bei denen aufgewiegelt wird – je nachdem, wen man zur Verantwortung ziehen, welche Maßnahmen man ergreifen kann. Gespielt wird mit verteilten Rollen, je nach Thema. Wer hier vor unnötiger Panikmache warnt, kann dort den gefährlichen Leichtsinn geißeln und umgekehrt – von den realen Mechanismen, seien es Genmutationen und Epidemiologie oder Finanzwirtschaft und internationale Kreditmärkte, braucht man dabei nicht unbedingt etwas zu verstehen. Die Themen sind austauschbar. Was zählt ist die Aufmerksamkeit und die kriegt man am besten dann, wenn man sein Publikum unterhält – und sei es nur mit Horrorgeschichten über Katastrophen, die es morgen schon wieder vergessen hat.
Dr. Reinhard Kreissl, geb. 1952, ist Soziologe und Publizist. Studium in München, Promotion in Frankfurt/Main. Habilitation an der Universität Wuppertal. Kreissl hat u. a. an den Universitäten San Diego, Berkeley und Melbourne gearbeitet. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst und schrieb regelmäßig für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Buchpublikationen u. a.: "Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist" und "Feinde. Alle, die wir brauchen". Kreissl lebt in München und Wien.
Aus der Geschichte kennen wir beide Varianten: Im Frühjahr 1986 hielt der deutsche Innenminister lange Zeit daran fest, die in Tschernobyl ausgetretene Radioaktivität sei in der Atmosphäre über Deutschland nicht nachweisbar. Der Mann hat gelogen. Andere Paniken hingegen werden wider besseres Wissen geschürt – man denke an die grausigen Stilisierungen von frei herumlaufenden Serienkillern und Waffennarren im Schulalter, die uns noch vor wenigen Tagen beschäftigten.
Vielleicht hilft es, zwischen politisch nützlichen und weniger nützlichen Paniken zu unterscheiden. Ein massenhafter Run auf die Bankguthaben aufgrund von Vermutungen über die Ansteckungsgefahr fauler Kredite ist politisch weniger nützlich als die allgemeine Angst vor Trägern eines Grippevirus, die man isolieren und unter Quarantäne stellen kann. Immer wenn Absondern, Einsperren, Isolieren als Methode der Wahl sich anbieten, schlägt die Stunde der Ordnungspolitiker. Beherztes Eingreifen gegen eine vermeintlich isolierbare Gefahr kommt bei jenen gut an, die man damit zu schützen vorgibt.
Und was wünscht man sich in Gefahr und größter Not mehr, als die starke Führung, die Schutz und Orientierung gegen die Unsicherheit bietet. Die stellt sich ein, wenn Grenzen überschritten werden, wenn das Fremde eindringt und überspringt. Das war so bei AIDS, das war so bei der Vogelgrippe, das war so beim Rinderwahnsinn. Dabei hielten sich die realen Opfer zumindest in unseren Breiten selbst bei AIDS in Grenzen. Nähme man als Messlatte nur die trivialen zivilisatorischen Kollateralschäden, die Verkehrstoten oder Opfer von Krankheiten, die durch die hierzulande normale Lebensweise zu beklagen sind, so bestünde kein Grund zur Aufregung.
Zugespitzt und auf den Punkt gebracht lautet die Formel: Eine Epidemie über die nicht berichtet wird, findet nicht statt. Berichtet aber wird dann, wenn diejenigen, die Zugang zu den Medien haben, diesen auch nützen. Und berichtet wird das, was die Experten, Bürokraten und Politiker, die man in solchen Situationen vor die Kameras und Mikrofone bittet, in einem guten Licht als Helden im Kampf gegen die unsichtbare Bedrohung erscheinen lässt.
Man kann hier in jüngster Zeit zwei Arten von Rhetorik unterscheiden: Es gibt Gefahren, bei denen abgewiegelt und solche, bei denen aufgewiegelt wird – je nachdem, wen man zur Verantwortung ziehen, welche Maßnahmen man ergreifen kann. Gespielt wird mit verteilten Rollen, je nach Thema. Wer hier vor unnötiger Panikmache warnt, kann dort den gefährlichen Leichtsinn geißeln und umgekehrt – von den realen Mechanismen, seien es Genmutationen und Epidemiologie oder Finanzwirtschaft und internationale Kreditmärkte, braucht man dabei nicht unbedingt etwas zu verstehen. Die Themen sind austauschbar. Was zählt ist die Aufmerksamkeit und die kriegt man am besten dann, wenn man sein Publikum unterhält – und sei es nur mit Horrorgeschichten über Katastrophen, die es morgen schon wieder vergessen hat.
Dr. Reinhard Kreissl, geb. 1952, ist Soziologe und Publizist. Studium in München, Promotion in Frankfurt/Main. Habilitation an der Universität Wuppertal. Kreissl hat u. a. an den Universitäten San Diego, Berkeley und Melbourne gearbeitet. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst und schrieb regelmäßig für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Buchpublikationen u. a.: "Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist" und "Feinde. Alle, die wir brauchen". Kreissl lebt in München und Wien.

Reinhard Kreissl© privat