Schweinegrippe wütet unter Yanomami-Indianern

Alice Bayer im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Das indigene Volk der Yanomami lebt am Amazonas. Durch den Besuch einer Regierungsdelegation kam es möglicherweise zur Ansteckung mit der Schweinegrippe, die inzwischen zu mehreren Todesfällen geführt hat. Alice Bayer von der Bewegung für indigene Völker bittet um internationale Unterstützung.
Liane von Billerbeck: Impfen oder nicht impfen lassen gegen die Schweinegrippe, das wird hierzulande diskutiert, eine Krankheit, deren Ausbreitung die Weltgesundheitsorganisation Pandemie nennt. Für ein Volk, das sehr abgeschottet lebt, ist die Bedrohung durch die Schweinegrippe existenziell: die Yanomami, ein indigenes Volk, das mitten im Regenwald lebt, an der Grenze zwischen Venezuela und Brasilien. Aufgrund seiner isolierten Lebensweise ist es gegen nahezu keine westliche Zivilisationskrankheit gefeit. Vor 20 Jahren haben die Yanomami knapp eine Malaria-Epidemie überlebt, jeder Fünfte starb damals an dieser Krankheit. Der Abenteurer Rüdiger Nehberg hat sich für die Yanomami eingesetzt und auch Bücher darüber geschrieben. Jetzt gelten von den etwa 32.000 Yanomami bereits mehr als 1000 mit der Schweinegrippe infiziert, sieben sind schon daran gestorben. Die Organisation Survival International, Bewegung für indigene Völker, hat als Erste über die Lage der Yanomami berichtet. In London bin ich jetzt mit Alice Bayer verbunden, der Koordinatorin des Pressebüros von Survival International - Bewegung für indigene Völker. Ich grüße Sie!

Alice Bayer: Guten Tag!

von Billerbeck: Wie gefährdet sind die Yanomami durch die Schweinegrippe?

Bayer: Da die Yanomami ein sehr mobiles Volk sind, sind sie durch diese Schweinegrippe sehr gefährdet, also die Lage ist sehr ernst. Unsere große Sorge besteht darin, dass einige Mitglieder der Yanomami sich bereits infiziert haben und in der Gegend, die jetzt von der Regierung abgeschottet worden ist, Kontakt hatten und jetzt zu ihren abgeschotteten, weiter entfernten Gemeinschaften zurückkehren und ihre Mitglieder dort weiter mit der Schweinegrippe infizieren. Das ist die große Sorge.

von Billerbeck: Bisher, so habe ich gelesen, ist die Schweinegrippe bei den Yanomami nur auf der venezolanischen Seite aufgetreten. Warum ist die Eindämmung so schwierig?

Bayer: Die Eindämmung ist schwierig wie gesagt, eben dadurch, dass die Yanomami so mobil sind, wissen wir nicht, wie viele sich wirklich damit infiziert haben. Die Regierung hat wie gesagt ein Gebiet jetzt abgesperrt und sagt, dass die Situation unter Kontrolle ist. Wir glauben aber, dass das nicht der Fall ist und dass jetzt einige, die die Krankheit schon mit sich tragen, die vielleicht noch nicht ausgebrochen ist, aber jetzt in ihre ganz weit abgelegenen Gegenden zurückkehren, wo überhaupt gar keine Gesundheitsversorgung vor Ort ist. Und es ist natürlich auch das Problem, dass die Yanomami selbst noch nicht wissen, was die ersten Symptome dieser Krankheit sind und sie nicht gleich erkennen können und auch nicht gleich handeln können. Wir haben schon vor dem Ausbruch der Schweinegrippe verlangt, dass die venezolanische Regierung Gesundheitsversorgung und Gesundheitstraining bei den Yanomami ausführt, dass jede Krankheit schon gleich beim ersten Ausbruch diagnostiziert werden kann und so schnell wie möglich behandelt werden kann. Das ist leider nicht der Fall.

von Billerbeck: Wie müssen wir uns dieses Absperren vorstellen? Also die Yanomami leben ja im Regenwald, das sind ja meistens sehr große, unwegsame Gebiete. Wie passiert so etwas?

Bayer: Ja, die Yanomami leben an sich schon sehr isoliert von der Außenwelt und von der allgemeinen Bevölkerung, haben sie eigentlich sehr wenig Kontakt mit der Außenwelt. Wir glauben, dass dieser Ausbruch so geschehen ist, dass Anfang Oktober eine Regierungsdelegation mit Repräsentanten der Yanomami sich getroffen hat und dass dadurch die Schweinegrippe in das Gebiet eingeschleppt worden ist. Natürlich wäre es gut gewesen, alle Außenstehenden, die in das Yanomami-Gebiet kamen, vorher mit Gesundheitschecks zu überprüfen, um zu sehen, dass auch keiner zur Zeit der Schweinegrippe wirklich auch infiziert ist. Das scheint nicht passiert zu sein. Und jetzt haben wir diese Situation, wo sieben schon gestorben sind, weitere, etwa 1000 infiziert sind, und es wird sich noch viel mehr ausbreiten, so wie wir das vermuten.

von Billerbeck: Welche medizinischen Maßnahmen sind denn bereits getroffen worden, außer einer Absperrung des Siedlungsgebiets?

Bayer: Also in der Gegend, wo der Ausbruch passiert ist, hat die Regierung jetzt ihre 3000 Packungen von Tamiflu bereitgestellt, und diese abgeschottete Gegend, wo der Ausbruch passierte, wird jetzt behandelt. Wie gesagt ist es aber wirklich nur in dieser Gegend der Fall, und in abgelegeneren Gebieten gibt es noch gar keine Versorgung. Und wir wissen auch nicht, ob die Schweinegrippe jetzt dort auch wirklich schon ausgebrochen ist, weil sehr wenig Kontakt zu diesen Gemeinschaften besteht.

von Billerbeck: Die Ausbreitung der Schweinegrippe wurde ja weltweit als Pandemie eingestuft. Sie sind jetzt sehr alarmiert, was die Yanomami betrifft. Gilt das eigentlich auch für andere indigene Völker, sind die ähnlich gefährdet?

Bayer: Ja, also die größte Gefährdung besteht bei den unkontaktierten Völkern, weil das Immunsystem dieser Gruppen noch nicht gegen allgemeine Krankheiten, wie wir sie kennen, wie die Grippe oder Malaria, immun sind. Es gibt aber auch bei anderen indigenen Völkern die Gefahr, dass die Schweinegrippe noch ernster ist als bei der allgemeinen Bevölkerung, weil indigene Völker generell sehr oft schlechtere Gesundheitsversorgung haben und auch ein Gesundheitsniveau, das unter der allgemeinen Bevölkerung liegt. Also zum Beispiel in Australien die Aborigines haben eine Lebenserwartung, die 15 bis 20 Jahre unter der allgemeinen Bevölkerung liegt. Ihr Level von Diabetes und Herzerkrankungen ist um einiges höher. Und das heißt natürlich, dass sie der Schweinegrippe noch viel leichter zum Opfer fallen können. Obwohl die Aborigines nur zwei Prozent der allgemeinen Bevölkerung darstellen, ist jeder zehnte Tote von der Schweinegrippe in Australien ein Aborigine.

von Billerbeck: Frau Bayer, Sie arbeiten für die Organisation Survival International, was unternehmen Sie jetzt konkret, um den Yanomami zu helfen in dieser Situation, wo sie von der Schweinegrippe bedroht werden?

Bayer: Also wir sind mit Leuten in Venezuela in Kontakt und versuchen, Druck auf die Regierung auszuüben, dass die jetzt medizinische Versorgung auch in diese abgelegenen Gegenden bringt und dass natürlich auch die Situation überschaut wird in diesen abgelegenen Gegenden, weil wie gesagt, es besteht sehr wenig Kontakt zu sehr vielen Gemeinschaften. Wir wissen nicht genau, ob die Schweinegrippe sich jetzt ausgebreitet hat, also auch zu diesen ganz abgeschotteten Gemeinschaften, und wir möchten, dass die Regierung so schnell wie möglich auch ihre Gesundheitsteams in diese abgelegenen Gegenden schickt.

von Billerbeck: Wie groß sind die Chancen, dass das tatsächlich passiert?

Bayer: Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Also wir hoffen natürlich, dass es passiert.

von Billerbeck: Brauchen Sie oder die Yanomami auch Hilfe aus dem Ausland, muss da Druck auf die venezolanische oder brasilianische Regierung ausgeübt werden, dass sie medizinische Hilfe in diese Gebiete bringen?

Bayer: Ja, also wir bei Survival International verlangen ja schon seit einigen Jahren, dass die Gesundheitsversorgung in Brasilien und in Venezuela für die Yanomami permanent ist und dass sie Yanomami selbst trainiert werden, dass sie selbst auch die Krankheiten erkennen können. Natürlich, internationaler Druck hilft immer, und wir versuchen, unsere Kampagne weltweit zu publizieren, dass so viele Leute wie möglich hinter uns stehen. Und wir bitten auch Leute, dass sie an ihre Bundestagsabgeordneten oder an die venezolanische Regierung Briefe schicken, dass die auch Bescheid wissen, dass die Leute international dahinterstehen.

von Billerbeck: Alice Bayer von Survival International über die Gefährdung des im Regenwald lebenden Volkes der Yanomami durch die Schweinegrippe. Herzlichen Dank!

Bayer: Danke auch!