"Das Leiden in den Ställen"
Die konventionelle Schweinehaltung in Deutschland verstößt gegen das Tierschutzgesetz. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die Greenpeace in Auftrag gegeben hat. Greenpeace fordert nun, "das Leiden in den Ställen zu beenden".
Einmal hat es das schon gegeben, dass ein Rechtsgutachten die Nutztierhaltung revolutioniert hat. Ende der 1990er-Jahre stellte das sogenannte "Legehennen-Urteil" die Haltung von Hühnern auf den Prüfstand. Es ging um Hennen, die in circa 50 Zentimeter hohen Drahtkäfigen lebten, auch Legebatterien genannt. Das Tier hat darin nicht einmal eine DIN A4-Seite Platz.
1990 zog die Regierung von Nordrhein-Westfalen gegen diese Form der Hennenhaltung vor das Bundesverfassungsgericht. Ein komplexer Prozess, neun Jahre später fiel das Urteil: Das Gericht erklärte diese Haltungsform für gesetzeswidrig.
Die Begründung: In den Käfigen ist zu wenig Platz, so dass die Tiere nicht nebeneinander ruhen oder gleichzeitig fressen können. Die Bedürfnisse der Hennen seien unverhältnismäßig zurückgedrängt, es handle sich um einen Verstoß gegen Tierschutzrecht, so die Begründung der Richter.
Gutachten: Schweinemast verstößt gegen Tierschutzgesetz
Ganz ähnlich argumentieren die Autoren des Rechtsgutachtens, das Greenpeace bei einer Hamburger Kanzlei in Auftrag gegeben hat. In dem 60 Seiten starken Papier wird untersucht, ob die konventionelle Schweinehaltung mit dem Tierschutzgesetz vereinbar ist. Können Schweine gemäß ihren Bedürfnissen fressen? Werden sie verhaltensgerecht untergebracht?
Die Juristen kommen unter Einbezug geltender Rechtsnormen und aktueller wissenschaftlicher Studien zu dem Schluss: Die konventionelle Schweinehaltung in Deutschland verstößt gegen das Tierschutzgesetz. Am Gravierendsten wertet die federführende Rechtsanwältin Davina Bruhn das Platzangebot:
"Die Schweine sind derartig zusammengepfercht, dass sie Verhaltensstörungen wie Schwanzbeißen oder Leerkauen entwickeln. Sie haben kein Einstreu, so dass wesentliche Bedürfnisse wie das Wühlen nach Futter massiv zurückgedrängt werden."
Das Tierschutzgesetz regle das eigentlich ganz klar, so die Anwältin. In Paragraph 2 heißt es:
"Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, 1. muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen."
Laut Gesetz darf niemand Tieren ohne vernünftigen Grund Leiden zufügen. Und auch die Verfassung schreibt Tierschutz als Staatsziel vor. Dass sich diese Anforderungen in den Ställen nicht wiederfinden, liegt vor allem an der Nutztierhaltungsverordnung. Die sollte eigentlich das Tierschutzgesetz in der Praxis ausgestalten.
Doch das Gegenteil sei der Fall, so Anwältin Bruhn. Die Nutztierhaltungsverordnung unterlaufe das Tierschutzgesetz. In puncto Platz zum Beispiel gewährt sie jedem Tier gerade mal 0,75 Quadratmeter. Die Anwältin sieht nun das Ministerium in der Pflicht, die Nutztierhaltungsverordnung so zu verschärfen, dass sie den Anforderungen des Tierschutzgesetzes genügen.
Greenpeace will Druck auf Agrarminister Schmidt erhöhen
"Wir sind schockiert vom Alltag der Schweinehaltung in Deutschland", sagt Stephanie Töwe von Greenpeace:
"Das Bundeslandwirtschaftsministerium muss das Leiden in den Ställen beenden."
Blutig gebissene Schwänze, verkratzte Körper, vom Ammoniak entzündete Augen, Tiere stecken zentimeterhoch im eigenen Kot – keine Skandal-Ställe, sondern gerade der Alltag in deutschen Schweineställen hätte den Impuls für das Gutachten gegeben..
"Unsere Forderung geht erst mal an den Landwirtschaftsminister, dass er die Verordnung verschärft und dem Gesetz anpasst und dafür Maßnahmen auf den Tisch legt. Und wenn vom Ministerium nichts kommt, dann hoffen wir sehr, dass eines der Bundesländer eine Normenkontrollklage anstrebt."
Ein Fall fürs Bundesverfassungsgericht?
Mit einigen Bundesländern sei Greenpeace schon im Gespräch. Denn eine sogenannte Normenkontrollklage können neben der Bundesregierung selbst und dem Bundestag, vorausgesetzt ein Viertel der Abgeordneten ist dafür, nur Landesregierungen anstrengen. Wenn sich eine findet, die vor das Bundesverfassungsgericht zieht, dann könnte es Experten zufolge ähnlich laufen wie beim Legehennen-Urteil:
"Die Chancen für einen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht stehen meines Erachtens gut, weil im Legehennen-Urteil das Bundesverfassungsgericht die Verfassungwidrigkeit der damaligen Hennenhaltungsverordnung mit der Unterdrückung von zwei Grundbedürfnissen – nämlich Ruhen und Fressen - begründet hat, und weil das Gutachten die Unterdrückung vergleichbar wichtiger Bedürfnisse eindrücklich darstellt."
Doch selbst wenn sich ein Kläger findet – wie in den 90er-Jahren Nordrhein-Westfalen - könnte es dauern, bis sich das Schweineleben im Stall ändert. Beim Legehennen-Urteil kann man von einer wahren Odyssee sprechen. Wechselnde Regierungen und politische Widerstände hatten die Neugestaltung der Legehennen-Haltung wieder und wieder blockiert. Der Ausstiegstermin aus der Käfighaltung und der Kleingruppenhaltung ist jetzt auf 2025 datiert.