"Reglement wegen Verbesserung der Schweine-Zucht in den Clev.-Marckischen Provintzen"
Erlassen weil:
"bey der verschiedenen Art der Schweine, ein so beträchtlicher Unterschied zum Vortheil oder Nachtheil des Landmannes sich entdecket, dass selbiger durchgehends wohl im Preise... 1/3 und bis zur Helfte beträget... Denn es lehret die Erfahrung, dass ein Schwein von der besten langgestreckter Art, mit hängenden Ohren...gegen ein anderes von ordinärer Art...bey einerlei Mästung, über 100 bis 150 Pfund differiere..."
(Erste Körordnung in Deutschland, 1765 von Friedrich dem Großen in Kraft gesetzt)
Die geeigneten Eber wurden mit dem Brenneisen markiert und "den Säuen zum Bespringen zugeführt", die anderen Eber durften unter Strafandrohung für den Landwirt "nicht weiter zum Herumlaufen freygelassen" werden.
Marktgerecht und glücklich?
Nach einem glücklichen Schweineleben in die Pfanne: So hätte der Verbraucher sein Fleisch gern. Und dafür würde er auch mehr Geld bezahlen. Sagt er - und greift dann doch immer wieder zum Billigangebot. Warum? Und geht das überhaupt: marktgerecht und glücklich?
Inken Christoph: "Wenn das Tier ein gutes Leben gehabt hat, dann kann ich es auch ohne schlechtes Gewissen verzehren. Aber die gefühlte Verantwortung der Verbraucher ist dann in dieser Theorie eben, dass das Tier vorher mit einem guten Leben entschädigt werden sollte."
Diese Theorie vom guten Leben vor dem Grill nennt man den "fairen Deal". Ein Begriff aus der Tierethik, der helfen soll, Fleischkonsumenten moralisch-ethisch zu entlasten. Der Mensch darf das Kotelett genießen, wenn sich das Schwein in seinem kurzen Leben wohlgefühlt hat. Allerdings haben Verbraucher und Schweinebranche teilweise ganz unterschiedliche Ansichten darüber, was ein gutes Schweineleben ist.
"Die meisten Menschen aber, mit denen wir diskutiert haben, die haben in erster Linie immer das aus ihrer Sicht mangelnde Platzangebot sehr stark kritisiert, und haben gesagt, dass die Tiere viel mehr Platz benötigen, um sich zu bewegen, aber auch um zu rennen und im besten Falle wäre für die Bevölkerung es sogar so, dass die Tiere Freilandzugang oder zumindest Frischluftzufuhr haben."
Was stört die Konsumenten an der Schweinehaltung?
Im Jahr 2015 hat das Thünen-Institut in Braunschweig den Forschungsverbund Social Lab gestartet. Man will herausfinden, was Verbraucher und Landwirte denken, wie sie sich ein "gutes Schweineleben" vorstellen, welche Ansichten es dazu gibt.
"Die liegen teilweise extrem weit auseinander", sagt Inken Christoph, die die Projektpartner aus acht beteiligten Instituten koordiniert. Finanziert wird die Forschung vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Die Wissenschaftler nehmen Verbraucher und Landwirte in den Blick, führen Interviews, werten Debatten aus. Eindeutiges Ergebnis bislang und zentrale Kritik der Verbraucher: zu viele Tiere auf zu kleinem Raum. Die Enge, glauben die Konsumenten, führe zu Aggressivität und zu Verhaltensauffälligkeiten unter den Schweinen.
"Und in diesem Zusammenhang wurde auch noch ein weiterer Punkt als sehr sehr wichtig erachtet bei der Schweinehaltung, dass die Schweine intelligente Tiere sind und Beschäftigung benötigen. Zum Beispiel Stroh oder einen Ball, einfach ein Material, mit dem sie sich den Tag über beschäftigen können und Langeweile gar nicht auftritt."
Auf der anderen Seite nimmt das Social Lab auch die Landwirte unter die Lupe. Ein Tierhalter ist in der Regel ebenfalls am Tierwohl interessiert, so das Ergebnis von Befragungen. Schließlich liefern die Tiere auch das Einkommen.
"Das bedeutet aber nicht, dass er das Tier als reinen Wirtschaftsfaktor betrachtet. Gerade dann, wenn er sieht: Es geht den Tieren gut, die Tiere sehen gut aus, sie sind entspannt, sie fressen, sie sind aktiv, sind nicht verletzt. Dann freut er sich über seine Verantwortung."
Entsprechend glauben die Landwirte auch, dass die Schweine genug Platz haben, selbst wenn die Buchten nur den gesetzlichen Mindestregeln entsprechen.
Der Verbraucher stellt sich unter einem Stück Fleisch ein Naturprodukt vor. Von den 60 Millionen Schweinen, die in Deutschland jedes Jahr geschlachtet werden, stammen aber nur etwa ein Prozent aus biologischer artgerechter Haltung. Was man stattdessen bekommt, ist fast immer das Produkt eines hochtechnisierten Arbeitsprozesses. Verbraucher möchten ihr Fleisch gern von kleinen und mittleren Betrieben kaufen. Doch die kleinen verschwinden immer mehr, weil sie nicht mehr genug verdienen. Übrig bleiben Großställe mit bis zu 30.000 Schweinen. Das ist produktiver, automatisierter, effizienter. Und obwohl Schweinefleisch immer billiger wird, ist der Verbrauch zurückgegangen – um zehn Kilo in zwanzig Jahren.
"Wie ging es dem Tier, was bei mir jetzt auf dem Teller liegt? Darüber machen sich auch immer mehr Verbraucher Gedanken."
Der Handel greift auf idyllische Motive zurück
Welche Bilder kennen wir von der Schweineproduktion? Die aus der Werbung? Aus den heimlich gemachten Aufnahmen von Tierrechtsaktivisten? Oder von den Etiketten der Steakverpackungen? Woran könnte ein Verbraucher erkennen, dass der faire Deal funktioniert, das Stück Schwein auf seinem Teller ein gutes Leben gehabt hat?
Der Handel, sagt Peter Kenning von der Uni Düsseldorf, greift gern auf idyllische Motive musealer Landwirtschaft zurück:
"Da steht dann meistens irgendwie ein glückliches Tier, auf einer Wiese im Sonnenschein und hat ganz viel frische Luft drum herum. Und das ist ja genau diese Paradoxie, dass eigentlich jeder weiß, wenn er kurz darüber nachdenkt, Mensch, so ist das ja gar nicht. Aber trotzdem wollen wir das natürlich gerne sehen. Und der Händler machte noch die Erfahrung, wenn er diese Bilder verwendet, dass es zu positiven Emotionen führt, die dann positiv abverkaufen."
Seit mehr als zehn Jahren erforscht Kenning die Marketingstrategien des Handels und welche Informationen die Verbraucher bekommen. Und auch da zeigt sich eine große Kluft zwischen verkaufsfördernden Bildern und der Realität:
"Und dann kommt gegebenenfalls in Anführungszeichen der investigative Journalist und geht mal in so einen Stall und zeigt, dass dieses Tier gegebenenfalls auf einem Quadratmeter steht. Dann crasht das so. Daraus entsteht dann so diese Empörung, dieser Konflikt, wieso ich dachte, das wäre alles ganz anders usw. Und das führt über die Jahre hinweg eben zu dieser negativen Einstellung gegenüber der Landwirtschaft."
Trotz guter Vorsätze greifen wir zum billigen Angebot
Aber warum kaufen Verbraucher ein Steak, wenn sie wissen können und wissen müssten, dass die Haltungsbedingungen nicht ihren Vorstellungen entsprechen? Aus der Verhaltensforschung weiß man, dass bei einer Kaufentscheidung grundsätzlich drei Hirnregionen beteiligt sind. Zuerst das Belohnungssystem:
"Wenn wir ein bestimmtes Produkt sehen, nehmen wir immer erst das Produkt wahr und sagen, oh, das ist sehr schön, das kann ich mir vorstellen, wie das vielleicht schmeckt oder wie sich das anfühlt, wenn ich es kaufe, ob das zu mir passt, oder mich besser aussehen lässt, und so. Dieses Belohnungswertsignal, ne."
Als zweites schauen die Leute auf den Preis, sagt Kenning. Und sie sehen:
"Oh, das ist aber teuer. Diese Bestrafungsstruktur. Eine Inselregion ist das, eine aversive Struktur. "
Diese beiden Impulse, die Belohnung und die Bestrafung werden dann in einer dritten Hirnregion verhandelt, und zwar in der Präfrontalstruktur hinter der Stirn. Da überlegt man: Kann ich mir das leisten? Will ich mir das leisten?
"Normalerweise muss das so sein, dass der Belohnungswert, das Signal aus der Belohnungsstruktur das Signal aus der Bestrafungsstruktur mindestens kompensiert, damit wir dann in diesem Entscheidungsprozess präfrontal sagen, jup, das kaufe ich."
Das 'gute Leben' eines Schweins ist dabei den Konsumenten scheinbar auch einiges wert. Fragt man Verbraucher, dann würde die Hälfte der Deutschen fünf Euro mehr pro Kilo Schweinefleisch ausgeben, wenn es den Tieren dann besser ginge. An der Fleischtheke jedoch - am Ort der Entscheidung - gelten dann andere Regeln. Kenning will wissen, was genau im Kopf des Verbrauchers passiert, wenn er eine Packung Fleisch aus dem Kühlregal nimmt.
Der Marketingexperte schickte 30 Probanden in einen Edeka-Supermarkt in Düsseldorf. Die Probanden trugen auf dem Kopf eine Haube mit Sensoren. Die zeichneten auf, welche Hirnregion aktiv ist. Kenning konnte live verfolgen, was sich im Kopf des Käufers abspielt, wenn er überlegt, ob er eine Packung Koteletts kauft oder nicht. Und welche Wirkung eine bäuerliche Strohdeko hat oder ein roter Aufkleber mit der Aufschrift: 30-Prozent-billiger.
"Wenn Sie jetzt also den Preis reduzieren, reduzieren Sie sozusagen diese aversive Reaktion. Und das ist eigentlich der Effekt dahinter. Der ethische Konflikt wird damit nicht aufgelöst. Wir reduzieren mit diesem roten Punkt nur diesen Preisschmerz und deswegen haben die diese stark abverkaufsfördernde Wirkung."
Vom Handel zum preissensiblen Verbraucher erzogen
Mit Sonderangeboten steigert der Einzelhandel den Umsatz, Discounter werben mit Lockvogelangeboten sich gegenseitig die Kunden ab. Die Qualität von Lebensmitteln oder das "gute Leben" des Tiers spielen dagegen eine untergeordnete Rolle im Vergleich zum Preis.
"Der deutsche Lebensmittelhandel hat die Kunden über Jahre hinweg dazu erzogen, dass der Preis das wichtigste Kriterium der Einkaufsstätten-Wahlentscheidung ist. Das heißt, Händler sind mit einer Kundschaft konfrontiert, die hochgradig preissensibel ist."
Haben die Verkaufsstrategien des Handels die Bereitschaft der Verbraucher untergraben, mehr auszugeben, wenn das Fleisch von gut gehaltenen Tieren stammt? Hat ihre Werbung erst den Ruf der Schweinehalter ruiniert? Könnte man mit den real existierenden Produktionsbedingungen von Schweinefleisch überhaupt Käufer überzeugen?
Renate Schuster: "Wir gucken uns jetzt mal die eins ein bisschen genauer an."
Jürgenstorf in Brandenburg. Hinterm Metallzaun ein flaches Stallgebäude. Drei Fachleute sitzen an einem breiten Tisch, darauf Kaffee, Kekse und engbedruckte Listen. Hinter einer großen Glasscheibe ist ein Schwein, in einem Raum, der mit Sägespänen ausgestreut ist. Das Schwein ist sauber und rosig, frisch gewaschen mit Seife. Auf beiden Flanken hat es eine dunkelblaue 1 aufgestempelt.
"Vom Typ ist es ein typisches Landschwein, mittelrahmig, sehr lang." Schwein Nummer 1 geht auf und ab, immer wieder angestupst von einem Mann mit Stock. "Korrekte Beine. Eine gute Keule."
Der Jungeber Nummer 1 ist ein Kandidat für die Zucht. Schafft er die Einstufung, wird er seine Gene zehntausendfach weitergeben - massenhaft Ferkel zeugen mit seinen Eigenschaften. Da zählt jedes Detail.
"Die Ohren könnten etwas mehr als Schlappohren hervortreten. / Der hat so 'n bisschen halb so, halb so. / Es hätte ein bisschen größer sein können das Ohr. Aber das ist kein zuchtausschließendes Merkmal."
Renate Schuster vom Hybridschweinezuchtverband Nord/Ost e.V. macht sich Notizen. Sie ist Diplom- Agraringenieurin und sie muss dafür sorgen, dass die Nachkommen von Eber 1 allen Anforderungen der Branche gerecht werden, den Haltungsbedingungen ideal angepasst sind. Schweinehalter Gino Roder, der an diesem Tag ebenfalls vor der Glasscheibe sitzt, braucht für seinen Stall unweit der Ostseeküste einen Zuchteber, der marktfähige Schweine produziert.
Gino Roder: "Das ist ganz entscheidend für uns, die richtigen Zuchttiere nachher zu selektieren, um den bestmöglichen Erfolg im Stall zu haben."
Gino Roder setzt nicht allein auf die Leistungsfähigkeit der Tiere. Er hält seine Schweine auf Stroh und nicht auf den üblichen Spaltenböden. Und er hat eine komplette Herde von Muttersauen bis zu den Mastschweinen. Er vermarktet seine Tiere als "Mecklenburger Strohschweine", das bringt ihm höhere Preise. Das Fleisch seiner Tiere landet in Gourmetrestaurants. Die Gäste essen mit dem Bewusstsein, die Tiere hatten ein gutes Leben. Aber die Lenden und Steaks vom Roderschen Hof sind Nischenprodukte in einem Markt, der von schnell produzierter Masse dominiert wird.
Deutschland produziert mehr Schweinefleisch, als die Deutschen essen. Fette Bäuche werden nach Russland exportiert, große Schinken nach Italien. Pfoten, Ohren und Schnauzen gehen in den fernen Osten. Die Deutschen essen nur die besten Teile vom Schwein. Hauptsächlich Schinken, Koteletts, Steaks und Hack. Jeder Deutsche kauft, brät und grillt im Durchschnitt 36 Kilo Schweinefleisch pro Jahr. Und hält damit das konventionelle Produktionssystem am Leben.
"Also, die ökonomischen Zwänge, die eben dazu führen, dass das Tier auf einem Quadratmeter steht und auf der anderen Seite eben der Wunsch der Verbraucher das Nackensteak irgendwie für 0,89 € einkaufen zu können", sagt Peter Kenning.
Aber wieso sind so niedrige Preise für Schweinefleisch möglich? Warum kostet ein Kilo Schweine-Kotelett manchmal nur 2,99 Euro? Im Produktionsprozess gilt die Arbeitskraft als immenser Kostenfaktor, in den Riesenställen arbeiten aber nur wenige Menschen. Für Folgekosten wie Trinkwasserverunreinigung kommen die Unternehmen nicht auf. Aber auch das Schwein leistet einen Beitrag dazu, dass sein Fleisch billiger vermarktet werden kann.
Das Schwein ist zum Leistungsträger gezüchtet worden
In den letzten 50 Jahren hat sich die biologische Leistung der Schweine jährlich um 1 bis 1,5 Prozent verbessert, oder besser gesagt: Der Mensch hat die Leistung der Schweine verbessert. Durch effizientes Futter, Wachstumsförderer, Hygiene und vor allem durch gezielte Zucht. Kriterien der Auswahl waren sogenannte funktionale Merkmale, sagt Kay-Uwe Götz, Leiter des Instituts für Tierzucht im bayrischen Poing. Das sind Merkmale, die in der Produktion Kosten sparen. Verluste vermindern, Nutzungsdauer verlängern:
"Beim Schwein haben wir ungefähr 10-15 Kriterien, die uns interessieren. Grundsätzlich möchte der Züchter natürlich alles haben, und der Landwirt möchte natürlich auch alles optimal haben am Tier. Man muss dazu sagen, wir können züchterisch nur das bearbeiten, was regelmäßig an vielen Tieren gemessen wird, und diese Tiere müssen von ihrer Abstammung her identifiziert sein, damit wir von den Leistungen auf die Genetik zurückschließen können."
In der Schweineleistungsprüfstation in Jürgenstorf werden genau solche Daten gemessen und betrachtet. Eber 1 kam als vier Wochen altes Ferkel dort an und lebt seitdem unter strengen hygienischen Bedingungen. Nur wenige Mitarbeiter dürfen überhaupt in den Stall, und die müssen sich vorher duschen. Kein Erreger soll die Gesundheit gefährden, kein äußerer Einfluss die Messdaten verfälschen, die Qualität der Zucht mindern. Agraringenieurin Renate Schuster hat Eber 1 und die anderen Zuchteberanwärter genauestens beobachten lassen:
"Die haben einen Transponder im Ohr, dort wird erfasst, wann, wie oft, wie lange sie täglich fressen. In dieser Zeit von 30 Kilo plus 90 Tage wird der tägliche Futteraufwand erfasst und die Zunahmeleistung. Die Lebenstagszunahme und die Prüftagszunahme. Und wir testen dann am lebenden Tier den Magerfleischanteil, also den Fleischansatz und die Speckdicke."
Regelmäßig wird der PH-Wert von Eber 1 gemessen und dessen Leitfähigkeit für Strom, das ist ein Maß für die Wasserhaltefähigkeit des Fleisches.
"Wenn Sie Fleisch an der Fleischtheke kaufen, das schon abgepackt ist, wissen Sie, dass da unten immer so eine Windel unten drin liegt. Und wir testen bei jedem Tier, das hier durchgeht, diese Merkmale, weil wir eben Fleisch erzeugen wollen, mit hohem intramuskulärem Fettgehalt, also im Muskel platzierte Fettzellen, die Geschmacksträger sind und nicht dieses schnellwüchsige Schwein, das dann nachher einen hohen Tropfsaftverlust hat."
Auch die Eltern von Eber 1 sind gut dokumentiert. Sein Vater heißt Held und ist ein guter 'Leistungsträger'. Gewichtszunahme über ein Kilogramm pro Tag. Die Mutter heißt 1-2-30-70699. Ihre Koteletts waren im Schnitt 46,6 Quadratzentimeter groß. Sie hatte 16 Zitzen, acht auf jeder Seite. Ein Zuchtziel, auf das Renate Schuster bei Muttersauen großen Wert legt:
"Damit sie bei größer werdenden Würfen auch in der Lage sind die Ferkel, die sie zur Welt bringen, auch selbst aufzuziehen."
Ein anrührendes Zuchtziel, bei dem man nicht weiß: Ist das Empathie mit einer Schweinemutter oder einfach nur ökonomisch? Die Eberauswahl in Jürgenstorf wirkt recht familiär. Das Landschwein ist eine alte Rasse, und Menschen wie Renate Schuster sorgen dafür, dass der hochtechnisierte Prozess irgendwie verträglich wirkt.
"Manchmal haben wir hier Tiere, die haben super Zahlen, dann kreuze ich mir schon an, das ist einer, den will ich und das ist einer, den will ich, und dann kommen die hier rein und dann sagt man: 'Oh Gott, das geht gar nicht!' Und dann hat man einen, der hat jetzt nicht so gute Zahlen, aber das ist eben ein Typ von Schwein, dann entscheidet man sich auch für diesen Typ, ne."
Eber 1 hat Glück - er darf Zuchteber werden
Jetzt geht es darum, ob Eber 1 mit 110 Kilo geschlachtet wird, oder ob er ein langes Leben als Zuchteber führen darf. Und als wolle er sich nochmal empfehlen, bekommt Eber 1 eine Erektion. Sein Penis ist fingerdick und die Spitze geformt wie ein Korkenzieher. Von der Evolution so geformt, um eine Sau beim Sex zuverlässig zu befruchten. Aber das ist in der heutigen Schweinebranche kaum noch vorgesehen. Fortpflanzung geht weit effektiver mit künstlicher Besamung. Und Eber 1 hat tatsächlich Glück, seine Leistungswerte und sein Charakter haben die Jury überzeugt.
"Das sind eben Lebewesen, das sind ja keine genormten Industrieprodukte, ne."
Dabei hätte die Schweinebranche gern genormte Industrieprodukte: Tiere ohne Krankheiten, ohne Stressreaktionen und mit planbarem gleichmäßigen Wachstum. Und möglich macht das immer mehr moderne Gentechnik. Da unterscheiden Fachleute wie Kay Uwe Götz zwischen der Gentechnik und der Genomik.
"Bei der Genomik untersuchen wir 50.000 verschiedene Positionen auf dem Genom des Tieres und nutzen diese 50.000 Informationen als Marker, um die traditionelle Zuchtarbeit zu beschleunigen. In der traditionellen Zucht kann ich immer erst, wenn ein Tier Nachkommen hat, erkennen, wie es genetisch veranlagt ist. Mit der Genomik können wir schon bei einem neugeborenen Tier erkennen, wie es genetisch veranlagt ist und damit sehr viel schnellere Zuchtfortschritt erzielen."
Genetische Fortschritte in der Schweinzucht
Ein Schwein ist ein hochentwickeltes Säugetier. Seine Erbinformationen sind in 3 Milliarden Basenpaaren gespeichert. Die 50.000 Marker oder Sequenzen sind so ausgewählt, dass sie das gesamte Genom repräsentieren.
Wirft eine Sau ihre Ferkel, können Forscher wie Kay-Uwe Götz anhand einer Gewebeprobe schnell herausfinden, wie gesund die Tiere sind, ob eine unerwünschte Eigenschaft wie zum Beispiel der unangenehme Ebergeruch verschwunden ist. Alles damit die Tiere besser in das aktuelle Haltungs- und Vermarktungssystem passen:
"Beim Schwein ist es auch die Nutzungsdauer, beim Schwein ist es die Mütterlichkeit der Sau gegenüber ihren Ferkeln. Wir reden jetzt viel über Systeme mit freien Ferkeln, wo die Sau Bewegung hat und theoretisch auch ihre Ferkel beißen könnte oder sich auf sie legen. Und da ist es ganz wichtig, dass man das Sauen- Verhalten züchterischen bearbeitet."
Ein anderes Ziel ist es, den Schweinen das sogenannte Schwanzbeißen wegzuzüchten. Schweine neigen dazu, die Schwänze ihrer Artgenossen anzuknabbern. Das führt zu offenen Wunden und Infektionen. Wenn die Entzündung das Rückenmark erreicht, leiden die Schweine unter Lähmungen und müssen notgeschlachtet werden. Das schadet den Tieren und dem Landwirt. Ein Riesenproblem in der Branche. In seinem Institut im bayerischen Poing will Kay-Uwe Götz das Schwanzbeißen mit den Mitteln der Genomik beheben. Dazu muss er erst die Tiere ausfindig machen, die dazu neigen.
"Wir gucken, welche Schweine gebissen worden sind. Und daraus machen wir Rückschlüsse darauf, wer wohl beißt. Aber die sind schwer zu identifizieren. Aber natürlich kann ein Schwein noch Abwehrverhalten zeigen, und das wäre ja durchaus wünschenswert, dass es sich auch wehrt."
An vielen Forschungsinstituten wird an diesem Problem gearbeitet. Es gibt dutzende Dissertationen über das Schwanzbeißen. Futtermittelhersteller mischen beruhigende Substanzen ins Futter. Aber würde man das Gen lokalisieren, das für das Schwanzbeißen "zuständig" ist, gäbe es bestimmt bald eine Lösung – und zwar durch Gentechnik:
"Gentechnik heißt, ich greife aktiv ins Genom ein. Ich schneide Teile des Genoms raus und ersetze sie durch andere, teilweise auch durch artfremde Sachen. Und sowas ist bei uns gesellschaftlich einfach nicht akzeptiert. Es gibt jetzt neuere Formen der Gentechnik, wo man nur sehr gezielt einzelne Basen im Genom verändert, da wissen wir noch nicht, ob das akzeptiert werden wird, das bietet aber im Prinzip die Möglichkeit, Varianten, die zum Beispiel in seltenen Rassen vorkommen, aber in unseren normalen Rassen nicht oder nur sehr selten vorkommen, gezielt zu vermehren."
Genauso gut kann man auch die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten in die Gene schreiben. Im schottischen Roslin arbeiten Forscher gerade daran, Schweine zu erzeugen, die gegen die afrikanische Schweinepest resistent sind. Dazu haben sie die Gene von afrikanischen Warzenschweinen in die des Hausschweins implantiert.
Zur Leistungssteigerung in das Genom eingreifen?
Auch wenn die Versuche im schottischen Roslin gelingen sollten, wird es Jahre dauern, bis die resistenten Ferkel in ausreichender Zahl für den Markt zur Verfügung stehen. Große international operierende Firmen warten schon auf die ersten Ferkel, und die entsprechende Logistik gibt es ebenfalls, um solches Genmaterial weltweit zu verbreiten. In Deutschland wird das durch langwierige Genehmigungsverfahren gebremst.
Ein GVO – ein genveränderter Organismus – darf nicht einfach so in die Produktion gehen, auch wenn er lohnend für die Schweinebranche wäre. Neben den strengen Gesetzen hat sich laut Geschäftsführerin Bianca Lind auch der Bundesverband Rind und Schwein e.V. mit seinen vertretenen Unternehmen dazu verpflichtet, "dass wir moderne Züchtungsmethoden wie zum Beispiel Gen-Editing nur anwenden, wenn es darum geht das Tierwohl oder die Tiergesundheit zu verbessern. Und wir lehnen das ab, dass im Bereich der Leistungsverbesserung einzusetzen. Also von daher ist das für uns schon mal ein klares Ziel, wenn es uns in diesem Bereich nutzt, Tiergesundheit, Tierwohl oder Klimaeffizienz, dann Ja. Ansonsten: Leistungssteigerungen, dann Nein."
Der Bundesverband Rind und Schwein e.V. legt durchaus Wert auf die Wünsche der Verbraucher. Und die stößt das Effizienzstreben in Produktion und Zucht zunehmend ab. Kundinnen und Kunden möchten, dass das Tier nicht nur gesund ist, sondern ein gutes, vielleicht sogar artgerechteres Leben hatte.
Die Initiative Tierwohl ist nicht mehr als ein bescheidener Anfang
Dabei sind Erzeuger durchaus bereit, ihren Schweinen ein besseres Leben zu bieten. Rund 4000 schweinehaltende Betriebe haben sich bisher bei der Initiative Tierwohl angemeldet und verpflichtet, ihre Ställe nach deren Kriterien umzugestalten. Hauptsächlich mehr Raum, mehr Licht, Frischluft und Beschäftigungsmaterial. Das Geld dafür kommt aus einem Fond, in den bislang 9 Einzelhandelsketten einzahlen, darunter Aldi, Kaufland, Netto und Penny. Die geben das Geld an die beteiligten Schweinehalter weiter.
Bianca Lind:" Das sind gute Initiativen, die aber leider auch noch nicht die Durchschlagskraft haben, die wir uns wünschen würden."
Zu wenig Teilnehmer, zu wenig Verbesserungen, das sind die Hauptkritikpunkte an der Initiative Tierwohl. Tatsächlich sind die Verbesserungen nicht sehr weitreichend. Ein Mastschwein von 100 Kilo hat zehn Prozent mehr Platz. Statt 0,75 Quadratmeter, also 0,82 Quadratmeter. Aber für die Initiative ist wichtig, dass viele Erzeuger mitgehen können und die Produkte nicht zu teuer werden. Nur zehn Prozent eines in Deutschland erzeugten Schweines landen als Frischfleisch im Einzelhandel. Das macht es noch unmöglich, eine Packung Steaks mit dem Tierwohl-Label zu versehen. Ein Mastschwein lebt ungefähr ein halbes Jahr lang und durchläuft in diesem Leben meistens drei hochspezialisierte Betriebe: Ferkelproduktion bis 7 Kilo, Ferkelaufzucht bis 30 Kilo und die Mast bis zum Schlachtgewicht von 110 Kilo. Und diese Betriebe müssten alle Mitglieder der Initiative sein. Die Handelsketten werben daher ganz pauschal mit dem Label. Der Verbraucher weiß also nicht, ob das Schweinefleisch, das er kauft, aus einem "Tierwohl-Stall" kommt. Der Bundesverband Rind und Schwein e.V. will die Imagewerbung aber nicht allein dem Handel überlassen. Zu lange schon verbreitete der Einzelhandel die falschen Bilder der Schweineproduktion.
Bianca Lind: "Da ist man als Landwirt außen vor, und das ist natürlich schwierig, wenn man sagt: Das sind aber die falschen Bilder. Da muss man wahrscheinlich auch tatsächlich mehr Macht entwickeln, um da in eine richtige Richtung unterwegs sein zu können."
Erste Ansätze gibt es bereits. Mit rollenden Vorzeigeställen, sogenannten Schweinemobilen, ist der Bundesverband auf Messen, Festen und Fußgängerzonen unterwegs, und wirbt für konventionelle Schweinehaltung. Und um die Kluft zwischen Erzeuger und Verbraucher im 1:1-Gespräch zu überbrücken, stellen sich junge Erzeuger als 'Agrarscouts' auch mal in den Supermarkt vors Kühlregal und beantworten die Fragen der Käuferinnen und Käufer, erzählt Bianca Lind.
"Ganz viele junge Landwirte und Landwirtinnen gehen unheimlich gern raus und sagen: Ich möchte das zeigen, was ich mache. Und das zeigt auch, dass da eine Offenheit da ist. Wenn da eine Notwendigkeit gesehen wird, dass sich die Landwirte dann auch am Markt orientieren und sich auch ein Verbraucherwünschen orientieren."
Ob der "faire Deal" gelingt, hängt von den Verbrauchern ab
Die Verbraucherwünsche konzentrieren sich ausschließlich auf die Haltungsbedingungen. In den Tierwohl-Ställen hängt nun Beschäftigungsmaterial: Hanfseile, Jutesäcke, bunte Plastikteile an Ketten, Holzpfähle, Stroh. Die Tiere haben etwas mehr Platz und genießen etwas mehr Tageslicht als gesetzlich vorgesehen und frische Luft. Im Idealfall können sie sogar nach draußen. Gute Ansätze in den meist kleineren Betrieben. Aber das Image der Schweinebranche leidet unter den Nebenwirkungen der Massenproduktion: Zuviel Schweinegülle im Boden verseucht das Trinkwasser, Billigarbeiter in den Schlachthöfen stören den sozialen Frieden. Vorzeigbar und werbetauglich sind die Praktiken der Großbetriebe nicht. Ebenso wenig wie der Beginn eines Schweinelebens.
In der Besamungsstation Malchin in Mecklenburg Vorpommern stehen 270 Zuchteber. Sie gehören Zuchtverbänden oder großen Firmen. Dreimal innerhalb von zwei Wochen wird ihr Samen gewonnen. Die Eber werden stimuliert und zum Ejakulieren gebracht. Das Sperma fließt durch ein feines Sieb in einen Plastikbeutel. Ein Viertelliter bei Jungebern, bei älteren Tieren auch mehr. Nebenan im weißgekachelten Labor wartet Viola Lange auf die vollen Beutel.
Sie verdünnt das Sperma und legt die Probe unter die Linse eines Mikroskops. Auf dem Bildschirm erscheinen stark vergrößert etwa 100 einzelne weiße Spermien, die sich zuckend in der Flüssigkeit bewegen. Deren Qualität wird vom Computer analysiert.
Viola Lange: "Und der Rechner sagt ihnen, soundso viel Verdünner müssen sie zugeben, damit sie 30 oder 36 Portionen machen."
Nach den Vorgaben des Computers portioniert Viola Lange das Sperma und schickt es zu den Ferkelerzeugern. Mit der Post oder per Kurier. Manche sind in der Region, manche im Ausland. Das Ebersperma aus Malchin geht an Produktionsstätten in Dänemark, Spanien, Bulgarien und Polen. Jede einzelne Sperma-Portion reicht aus, um eine Sau zu befruchten. Nach gutem Sex klingt das aber nicht.
"Der Nippel wird abgedreht und auf die Pipette gesteckt. Und hier wird das durchgedrückt. "
Durch diese künstliche Methode lassen sich zehn- bis zwanzigmal mehr Sauen befruchten, als von der Natur vorgesehen. Allein mit dem Sperma aus Malchin werden jedes Jahr rund 200.000 Ferkel gezeugt. Sie werden nur ein halbes Jahr alt. Vielleicht spielen sie mit Stroh, vielleicht drängeln sie sich gelangweilt in einer Box. Ob das Leben dieser Schweine aber gut ist, darüber entscheiden Menschen. Und immer mehr auch diejenigen, die nur noch ihrem Fleisch begegnen, nämlich wir Verbraucher.