Schweinezucht in Niedersachsen
Landwirt Enno Gabade aus Niedersachsen übernahm den Hof von seinem Vater im Jahr 2000 mit 20 Sauen und baute ihn kräftig aus. Er will bis zur Rente weitermachen. © Bastian Brandau
Diskussion um Ausstiegsprämie
17:37 Minuten
In Deutschland sinkt der Fleischverzehr pro Kopf seit einigen Jahren. Auch die Nachfrage aus dem Ausland geht zurück. Viele Schweinezüchter überlegen, ob sie aufhören sollen. Niedersachsen diskutiert über eine Ausstiegsprämie.
Nachwuchs im Schweinestall: Bei Landwirt Enno Gabade erblicken täglich Ferkel das Licht der Welt.
„Hier gleich die erste Sau, die war Donnerstag dran mit Abferkeln", sagt Gabade. "Da waren die 115 Tage um. Heute haben wir Freitag. Und wie ich heute Morgen um sechs Uhr kam, waren hier drei Ferkel, und jetzt haben wir es, glaube ich, zehn Uhr, halb 11 - und die Sau ist fertig mit 14, 15 Ferkeln. Das ist eigentlich eine ganz normale Geburt, wie wir uns das für unseren Betrieb wünschen.“
Ferkel unter der Wärmelampe
Alle Ferkel sind lebend geboren, haben ihre Nabelschnüre durchtrennt. Gabade legt ein schwächelndes Tier unter die Wärmelampe, ein anderes geleitet er zu den Zitzen seiner Mutter. Etwa 300 Sauen, die zweimal im Jahr Ferkel zu Welt bringen. In Enno Gabades Betrieb, einige hundert Meter außerhalb vom Bramstedt im Landkreis Cuxhaven, sind Geburten kalkulierte Routine. Genau wie die Befruchtung.
„Da kriegen wir von der Besamungsstation in Cloppenburg wöchentlich Sperma , das geht relativ schnell", erklärt Gabade. "Fünf Tage nach dem Absetzen wird die Sau schon wieder besamt. Die Trächtigkeit einer Sau dauert 115 Tage – besser merken kann man sich: drei Monate, drei Wochen, drei Tage. Dann ferkelt sie ab. Sodass die normale Sau bei uns im Stall etwas mehr als zweimal im Jahr ferkelt. Dann sind die Ferkel noch vier Wochen an der Sau. Und so ist das ein ständiger Kreislauf hier im Stall.“
Dazu gehört auch, dass die rosa Ferkelchen in einigen Monaten auf das Vielfache ihres heutigen Gewichtes herangemästet werden. Und dann holt ein Lastwagen sie ab und fährt sie zum Schlachthof, bevor sie zu Steak, Schnitzel oder Wurst verarbeitet werden.
Schweinehaltung im Familienbetrieb
Enno Gabade blickt auf eine lange Tradition des Familienbetriebes zurück. Mehrere Jahrhunderte kann er die Geschichte seines Hofes zurückverfolgen. Er selbst hat ihn im Jahr 2000 von seinem Vater übernommen. 20 Sauen hatte der Hof damals, erzählt Gabade.
„Und ich stand damals vor der Entscheidung, den Betrieb zu schließen oder zukunftsfähig aufzubauen. Und für meinen Geschmack haben wir das in den letzten 20 Jahren geschafft. Mit diesen 300 Sauen und den dazugehörigen Mastplätzen sind wir gut aufgestellt. Was keiner so erwartet hat, ich nicht und die Beratung auch nicht, ist die Fülle der Auflagen, die jetzt dazugekommen sind. Wir sollen zu Weltmarktpreisen produzieren, hieß es noch vor 20 Jahren. Und das trauen wir uns auch zu, das geben diese Ställe her. Und ein Stall wird auf 20 Jahre abgeschrieben. Was anderes habe ich jetzt nicht. Und die politischen Forderungen, die jetzt im Raum stehen, machen es wirklich für uns schwierig, die Zukunft zu planen.“
Die Hälfte der Züchter will aussteigen
Die Zukunft sehen viele Schweinezüchter derzeit alles andere als rosig. Einer Umfrage der Interessensgemeinschaft der Schweinehalter zufolge planen 50 Prozent, in den nächsten zehn Jahren auszusteigen. Er selbst werde seinen Betrieb bis zur Rente führen, sagt Enno Gabade. Beim niedersächsischen Landvolk ist er Vorsitzender des Arbeitskreises der Sauenhalter und ist dementsprechend vernetzt.
„Gerade im Sauenbereich ist es ja noch viel schlimmer", sagt Gabade. "Da dauert es keine zehn Jahre, da ist in den nächsten fünf Jahren wahrscheinlich die Hälfte weg, weil es finanziell einfach nicht mehr ging. Und was mir dabei zu kurz kommt, ist die soziale Komponente. Die Betriebe wurden ja über Generationen geführt. Und wenn ein Betriebsleiter den Betrieb schließt, fühlt sich das häufig auch an wie eine persönliche Niederlage. Unabhängig von dem wirtschaftlichen Betrieb leiden die Familien darunter. Das macht mir eigentlich wesentlich mehr zu schaffen als die Betriebe, die dahinterstehen. Und das kommt auch in den Diskussionen für meinen Geschmack häufig zu kurz.“
Kaum ein Thema dürfte in Deutschland so kontrovers diskutiert werden, wie Tierhaltung und Schweinemast. Klar ist: Die Nachfrage nach Fleisch sinkt seit drei Jahren. Insgesamt liegt der menschliche Verzehr pro Kopf derzeit bei 57,3 Kilo pro Jahr. Besonders Schweinefleisch wird weniger konsumiert. Umfragen zufolge wünschen sich Menschen bessere Haltungsbedingungen. Durch die Corona-Pandemie sank dann noch die Nachfrage aus der Gastronomie. Und nachdem in Deutschland die sogenannte Afrikanische Schweinepest festgestellt wurde, hat mit China der bis dahin größte Importeur einen Einfuhrstopp für deutsches Schweinefleisch verhängt.
Grüne in Niedersachsen wollen Ausstiegsprämie
„Das ist eine sehr ausweglose und sehr verzweifelte Situation für die Tierhalter", sagt Miriam Staudte, agrarpolitische Sprecherin der Grünen im niedersächsischen Landtag. Und diese Situation habe auch mit dem Politikversagen der scheidenden Bundesregierung und der für Landwirtschaft zuständigen Ministerin Julia Klöckner zu tun, so Staudte:
„Was wir seit vielen Jahren wissen, ist, dass der Umbau der Tierhaltung in Deutschland, sodass sie ein gesellschaftlich akzeptiertes Maß annimmt, dreieinhalb bis fünf Milliarden Euro im Jahr kosten würde. Das heißt, dieses Geld muss irgendwie eingespielt werden. Und da ist es eben das naheliegendste, dass man sagt, man erhebt eine Tierwohlabgabe für tierische Produkte pro Kilo Fleisch oder pro Liter Milch. Und dieses Geld wird dann dafür verwendet, diesen Umbau zu finanzieren. Das ist eine ganz einfache Variante, aber mit Machbarkeitsstudien und Politik-Folgestudien ist das alles ausgebremst worden von Frau Klöckner.“
Die Grünen in Niedersachsen befürworten daher eine Prämie für Landwirte, die aus der Schweinehaltung aussteigen, erklärt Staudte:
„Es geht darum, dass man eben die Landwirte zu lange in eine falsche Richtung geführt hat. Die haben hohe Investitionen getätigt. So ein Stall wird jetzt 20 Jahre abbezahlt. Und dann kann man nicht von heute auf morgen sagen: Wir wollen jetzt aber gesellschaftlich gesehen nur noch halb so viele Tiere haben, wenn die Betriebe aber eben noch ihre finanziellen Verpflichtungen haben. Und deswegen ist eben solch eine Ausstiegsprämie oder Umstiegsprämie notwendig. Wir wollen ja nicht, dass die Höfe alle dichtmachen. Wir wollen ja das Höfesterben stoppen, aber dann müssen eben andere wirtschaftliche Alternativen aufgezeigt und finanziert werden.“
Ministerin ist gegen "Abwrackprämie"
Eine Ausstiegsprämie, wie sie die Grünen fordern und wie es sie in den Niederlanden gibt, sei ein falsches Zeichen, sagt dagegen Barbara Otte-Kinast. Die niedersächsische Landwirtschaftsministerin von der CDU lud im September zu einem virtuellen Gipfel unter anderem Vertreter der Schweinezüchter ein.
„Ich will die Tierhaltung in Niedersachsen halten, also ich will sie einfach in die Zukunft führen", sagt Otte-Kinast. "Und dafür braucht es für mich einfach Geld für einen Stallumbau. Den müssen wir begleiten. Und das ist für mich eine nationale Aufgabe, dass wir den Umbau der Betriebe, die weitermachen wollen, vorantreiben - hin zu mehr Tierwohl. Mehr Tierwohl bedeutet andere Ställe, mehr Platz, Außenklima, Reize. Diesen Umbau müssen wir den Halterinnen und Haltern, die weitermachen, finanzieren. Und dahin muss die Reise gehen. Diese Abwrackprämie, wie sie genannt wird, ist für mich ein falsches Signal.“
Investitionen unter anderen Vorzeichen
Das sieht das Landvolk Niedersachsen inzwischen anders als die CDU-Ministerin. Als sich das Landvolk im Oktober für eine solche Prämie ausgesprochen hat, sei das schon ein Paradigmenwechsel gewesen, sagt Sauenzüchter und Landvolk-Vertreter Enno Gabade:
„Davon waren wir Bauern nie ein Freund, weil wir sagen: Wir sind Unternehmer. Wir wollen die aktiven Bauern als Verband fördern und stärken und keine Ausstiegsprogramme. Aber jetzt ist es so, dass sie durch die neuen Gesetze in den Ställen nicht mehr produzieren können, wie sie bisher produziert haben. Das ist genau wie mit den Atomkraftwerken und Kohlekraftwerken. Die sind mal nach Recht und Gesetz genehmigt worden. Aber die können dann nicht mehr produzieren. So ist es mit der Landwirtschaft auch. Und darum würde ich es begrüßen, wenn es eine Prämie geben würde, um Betrieben zu helfen, die zum Beispiel vor drei Jahren einen neuen Stall gebaut haben und den vielleicht in zehn Jahren nicht mehr betreiben können.“
Im nächsten Jahr wird in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt. Die Grünen könnten dann wieder in die Regierung rücken und die Agrarpolitik im Schweinezüchterland Niedersachsen ändern. Hohe Erwartungen setzen alle Beteiligten in Niedersachsen auf eine neue Bundesregierung, über die SPD, Grüne und FDP in Berlin verhandeln.
Zurzeit gibt es in Niedersachsen noch mehr Schweine als Menschen. Doch es spricht vieles dafür, dass sich dieses Verhältnis wieder ändert. Enno Gabade etwa hält weniger Tiere als früher auf derselben Fläche, erhält als Ausgleich von der „Initiative Tierwohl“ mehr Geld. Anders als Kolleginnen und Kollegen werde er seinen Hof bis zur Rente führen, sagt der 53-jährige Landwirt. Insbesondere die fehlende Planbarkeit mache es aber für seinen Sohn schwierig, dies für sich zu entscheiden.
Zurzeit gibt es in Niedersachsen noch mehr Schweine als Menschen. Doch es spricht vieles dafür, dass sich dieses Verhältnis wieder ändert. Enno Gabade etwa hält weniger Tiere als früher auf derselben Fläche, erhält als Ausgleich von der „Initiative Tierwohl“ mehr Geld. Anders als Kolleginnen und Kollegen werde er seinen Hof bis zur Rente führen, sagt der 53-jährige Landwirt. Insbesondere die fehlende Planbarkeit mache es aber für seinen Sohn schwierig, dies für sich zu entscheiden.
„Zurzeit sieht es danach aus, dass er es übernehmen will", sagt Gabade. "Aber ich könnte ihm keinen Vorwurf machen, wenn er sagt: Nein.“