Schweiz

Harter Franken, harte Zeiten

Schweizer Franken werden in Weil am Rhein (Baden-Württemberg) in Euro gewechselt.
Der Kurs ist günstig: Schweizer Franken werden in Weil am Rhein (Baden-Württemberg) in Euro gewechselt. © dpa / picture alliance / Patrick Seeger
Von Thomas Wagner |
Seit Mitte Januar ist der Schweizer Franken gegenüber dem Euro um ein Fünftel wertvoller geworden. Für den Tourismus und die Exportwirtschaft ist das ein harter Schlag. Zu den Gewinnern zählen deutsche Grenzgänger und Einzelhändler.
In Konstanz am Bodensee zieht am Samstagnachmittag eine Menschenmenge in dicken Wintermänteln durch die schmalen, verwinkelten Gässchen rund um das Konstanzer Münster. Mit zwei, drei prall gefüllten Einkaufstüten in den Händen biegen sie ab in die Fußgängerzone: oben die mittelalterlichen Häuserfassaden, unten die Schaufenster. Rein in die Geschäfte. Erik und Camilla Kristensen, ein Ehepaar Mitte 50, legen erschöpft eine kleine Pause ein und lassen die anderen im Stechschritt vorbeiziehen. Auch die beiden haben mehrere Einkaufstaschen in der Hand. Sie kommen – wie die anderen auch – "von drüben".
"Wir kommen von Ermatingen in der Schweiz, gleich gegenüber. Aber ich glaube, das wird für uns sensationell... Für den Einkaufstourismus ist es natürlich gut. Und jetzt ist es wahrscheinlich noch interessanter. Da kommen möglicherweise noch mehr. Ja natürlich: 20 Prozent. Das macht viel aus. Das ist viel. Das ist enorm viel."
Schweizer Einkaufstouristen fluten die Konstanzer Innenstadt, die nur ein paar hundert Meter von der Grenze entfernt liegt. Wer Franken in der Geldbörse hat, für den ist es hier spottbillig, deshalb sprechen die Passanten an diesem Samstag in Konstanz mehr Schwyzerdütsch als Badisch. In den Parkhäusern rund um die Altstadt gibt es keinen einzigen Platz mehr − Autos mit Schweizer Kennzeichen stehen Stoßstange an Stoßstange.
Mitte Januar wurde der Schweizer Franken gegenüber dem Euro um fast 20 Prozent aufgewertet. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Für Schweizer ist Einkaufen im deutschen Grenzgebiet auf einen Schlag um fast 20 Prozent billiger geworden. Alles gibt's zum Schnäppchenpreis. Ein stämmiger wirkender Mann, Anfang 30, zupft Pudelmütze und Schal zurecht, als er ein großes Kaufhaus in der Konstanzer Innenstadt verlässt. Ein eisiger Wind weht ihm entgegen. Er zeigt auf seine Einkaufstüte, schmunzelt:
"Socken. Die sind momentan günstig. Und die brauch' ich. Ich weiß es nur, dass es eins zu eins ist. Und damit sind die Preise natürlich attraktiver geworden, auf jeden Fall."
Der Mann, der sich über den Kauf seiner günstigen Socken wie ein Schneekönig freut, schaut mal nach links, mal nach rechts: Lauter Landsleute!
"Was sich geändert hat, ist sicher: Es kommen sehr viel mehr Leute hierher aus der Schweiz, die jetzt versuchen, daraus Profit zu schlagen. Wenn man das heute gesehen hat – der Verkehr vom Zoll hierher. Das habe ich noch nie erlebt bis jetzt."
Für den Durchschnittsschweizer, der es eigentlich eher beschaulich mag, ist die Schnäppchentour über die Grenze der reine Stress. Die Konstanzer selbst reagieren mit gemischten Gefühlen auf den Hochbetrieb in den Gassen. Einerseits ist da die Freude des Einzelhandels: Nie lief das Geschäft so gut wie heute. Andererseits: Wer als Einheimischer einen Parkplatz sucht und keinen findet, wer wegen der vielen Kunden aus der Schweizer Nachbarschaft eine gefühlte Ewigkeit an der Supermarktkasse warten muss, reagiert schon mal leicht gereizt. Helga Stottmeister, die in der Region Konstanz wohnt, wirkt angespannt.
"Jetzt werden wir noch mehr überschwemmt. Wir werden keine Parkplätze mehr haben. Wir kommen nicht mehr in unsere Stadt. Also ich begrüße das nicht sehr. Wir haben unsere Stadt gar nicht mehr für uns. Die Schweizer sind die Hauptgruppe, die hier die Stadt überschwemmen − auf jeden Fall. Ich sehe hier den Zustand manchmal schon sehr bedenklich."
Ein Tsunami für die Wirtschaft
Dabei fiel die Entscheidung, die den Einkaufsboom ausgelöst hat, gerade mal eine Fahrstunde von Konstanz entfernt. In einem altehrwürdigen Gebäude an der Züricher Börsenstraße hat die Schweizerische Nationalbank ihren Sitz. Das Gebäude mit seiner schmucken neoklassizistischen Fassade wirkt wie ein Symbol der Beständigkeit in einer schnelllebigen Zeit. Deshalb denken sich jene Schweizer Wirtschaftsjournalisten auch nicht viel dabei, als sie Mitte Januar zu einer Pressekonferenz geladen werden. Beiges Sakko, Brille, die kurzen Haare nach hinten gekämmt – der Mann, der da zu sprechen beginnt, tut dies in einer bestimmten, aber unaufgeregten Art. Dabei ist das, was der knapp über 50-jährige Schweizerische Nationalbankpräsident Thomas Jordan zu sagen hat, nicht weniger als ein Paukenschlag:
"Die Schweizerische Nationalbank hat beschlossen, den Mindestkurs von 1,20 Franken pro Euro aufzuheben und ihn nicht mehr mit Devisenkäufen durchzusetzen."
"Herr Haijek von Swatch spricht von einem Tsunami für die Wirtschaft."
"Die Aktien- und Devisenmärkte reagierten schnell und massiv."
Jetzt ist es vorbei mit der Ruhe in der Schweiz. In Sekundenschnelle hacken die Journalisten ihre Meldungen in die Laptops; im Schweizer Radio ist wenig später von den ersten Auswirkungen die Rede. Nach über drei Jahren stoppt die Schweizerische Nationalbank die Stützungskäufe für ihre eigene Währung, gibt die Koppelung des Franken an den Euro auf – mit Folgen, die im Schweizer Radio nicht ohne Grund als "Tsunami" beschrieben werden. Aktienkurse stürzen ab, der Franken gewinnt an Stärke, wird von einem Augenblick zum anderen im Verhältnis eins zu eins mit dem Euro gehandelt – Entwicklungen, die so keiner vorausgesehen hat. Auch nicht diejenigen, die in solchen Wirtschaftsfragen als die Profis schlechthin gelten.
Bernd Aumann zum Beispiel. Im "Chief Investment Office" der Schweizerischen Großbank UBS in Zürich sitzt er mit blütenweißem Hemd vor einem Rechner und betrachtet konzentriert geheimnisvoll anmutende Kurven. Der Ökonom ist in guter Gesellschaft, seine Kollegen im Großraumbüro starren ebenfalls auf ihre Bildschirme. Der schlanke Mittdreißiger stammt aus dem württembergischen Allgäu, lebt aber seit Jahren in der Schweiz – und ist auf gutem Weg, eine erfolgreiche Banker-Karriere zu starten. Von dem Entscheid der Schweizerischen Nationalbank und der Aufwertung des Franken wurde er kalt erwischt.
"Die Aufhebung des Mindestkurses war sehr überraschend, für alle. Es gab Anfang des Jahres eine Umfrage. Da haben 22 Ökonomen gesagt, dass der Mindestkurs 2015 halten wird, man ist davon ausgegangen, dass die SNB, die Schweizerische Nationalbank, wirklich unbegrenzt Devisen kaufen will, um die Frankenaufwertung zu verhindern. Allerdings hatte sie Bedenken, dass die Risiken der Intervention zu groß werden."
Finanzanalyst Bernd Aumann bittet in einen ruhigen Besprechungsraum. Er kann sich noch gut daran erinnern an jene Zeit vor drei Jahren auf dem Höhepunkt der Eurokrise. Viele Anleger aus aller Welt legen damals ihr Vermögen in dem als sicher geltenden Schweizer Franken an; dem Euro trauen sie nicht mehr. Folge: Der Wert des Franken stieg Tag für Tag, mit hässlichen Begleiterscheinungen für die Schweiz. Ferien bei den Eidgenossen wurden unermesslich teuer; die Exportprodukte vom Käse bis zu Industriewaren ebenfalls. Die Schweizerische Nationalbank zieht die Reißleine – und investiert bis Januar 2015 jährlich dreistellige Milliardenbeträge in so genannte „Stützungskäufe". Damit verhinderte sie, dass der Franken gar zu stark und die Schweiz für Ausländer gar zu teuer wurden. Jetzt, mit der Kursfreigabe für den Franken, erfolgt die überraschende "Rolle rückwärts". Bernd Aumüller nickt verständnisvoll: Wenigstens im Nachhinein kann er die Entscheidung der Nationalbank verstehen:
"Es war absehbar, dass der Euro immer schwächer wird, dass die europäische Zentralbank immer mehr Euro drucken wird und die Aufwertung auf den Franken zunehmen muss. Und in der Vergangenheit musste die Zentralbank sehr viel intervenieren und sah kein Ende in Sicht, nachdem die Europäische Zentralbank so viel Euro aufgekauft hat."
Bernd Aumüller achtet auf korrekte Formulierungen und benutzt das Fachvokabular der Bankanalysten. Die Quintessenz seiner Rede: Die Europäische Union ist schuld an der Frankenaufwertung mit all ihren Auswirkungen. Das, sagt UBS-Ökonom Bernd Aumüller sehr bestimmt, bekomme er auch als Banker hautnah mit: Immer dann, wenn es kriselt in der EU, rufen Anleger an, wollen ihr Geld in Franken anlegen. Im Ökonomen-Deutsch hört sich das so an:
"Wenn die Risikoeinschätzung der Anleger zunimmt, suchen sie sichere Anlagen: der Staatsanleihenkauf der EZB, die Neuwahlen in Griechenland, die wirtschaftliche Krise in Russland, all das hat die Frankenstärke beflügelt."
Bernd Aumüller wirkt selbstbewusst, ohne Überheblichkeit. Nur wenn die Rede auf die Auswirkungen der Frankenaufwertung auf die Schweiz kommt, scheint auch er ein wenig ratlos.
"Wir glauben, dass die Schweizer Wirtschaft hart getroffen ist durch diese Frankenaufwertung. Wir haben unsere Wachstumsprognosen für die Schweizer Wirtschaft sehr stark nach unten korrigiert. Wir haben jetzt auf 0,5 Prozent herunter korrigiert."
Welche Branchen in der Schweiz derzeit überhaupt noch das Potential haben zu wachsen, ist ein Rätsel. Der Tourismus jedenfalls tut sich schwer damit.
Ein Tellergericht für 40 oder 50 Franken
Es ist bitter kalter an der Rothornbahn. Dazu ein eisiger Wind. Diejenigen, die sich an der Mittelstation im Ostschweizer Wintersportgebiet Lenzerheide die Skier anschnallen, müssen sich einmummeln: Ski-Helm, Schal, den Anorak bis ins Gesicht zugeknöpft – so machen sich zwei Männer, Anfang 60, zur Abfahrt bereit.
"Ich komme aus Wiesbaden. Und das Dilemma war, dass das nicht vorhersehbar war, dass das so dramatisch ansteigen würde. Aber ich hab's nichts übers Herz gebracht, abzusagen."
"Wir hatten das Quartier ja schon vor einem Jahr gebucht. Und wir konnten das ja nicht mehr absagen. Wenn man jetzt essen geht, ist jetzt alles unbezahlbar. Also hier so ein Tellergericht 40, 50 Franken – das ist unbezahlbar."
Ein Tellergericht für 50 Franken bedeutet: Die Mahlzeit kostet gerade mal 50 Euro. Und so sind es denn zumeist die Schweizer selbst, die es sich beim Einkehrschwung im nahegelegenen Bergrestaurant Scharmoin gut gehen lassen.
"Also Alaska-Wildlachs kostet 29,50. Rindsfilet 250 Gramm 55 Franken. Und Kalbsbratwurst 28,50 Franken."
Umgerechnet knapp 30 Euro für eine Kalbsbratwurst – den St. Galler Pascal Brüdisauer ficht das nicht an. Schließlich verdient der sportliche Endzwanziger sein Geld in seinem Heimatland, der Schweiz. Zwar hätte er die Chance gehabt, zum Skifahren nach Vorarlberg in die österreichische Nachbarschaft zu gehen – da ist alles halb so teuer. Doch darüber hat Pascal Brüdisauer nicht eine einzige Sekunde nachgedacht.
"Ja wir wollen doch die Schweizer unterstützen. Wir verdienen das Geld in der Schweiz und geben es auch hier aus, wenn möglich."
Wie zur Bekräftigung nimmt der junge Schweizer einen tiefen Schluck aus seiner fünf Franken teuren Apfelschorle, zeigt auf die Tageskarte an seiner poppig-grellen Ski-Jacke: 69 Franken. Diese Preise gelten natürlich auch für die, die ihr Geld nicht in Franken verdienen. Und das bereitet jener Frau Sorgen, die als guter Geist des Bergrestaurants gilt: Service-Chefin Heidi Hirsch. Schier rastlos eilt sie von einem Eck zum anderen, verschwindet mal in der Küche, dann hinter dem Tresen. Die Service-Chefin, Mitte 30, kam vor sieben Jahren aus Stuttgart in die Schweiz, um dort als Hotelfachfrau zu arbeiten. Jetzt, nach der Frankenaufwertung, hegt sie große Befürchtungen:
"Der Schwabe an sich, der kommt dann erst mal nicht in die Schweiz, wenn es 20 Prozent teurer ist. Das ist schlecht: Weil jetzt gehen die Schweizer nach Deutschland in die Ferien, nach Österreich. Die Österreicher, die Deutschen kommen jetzt nicht mehr in die Schweiz. Ich glaube, das dauert jetzt noch so ein bisschen, ein bis zwei Monate, dass die Gäste immer weniger werden."
Dem stimmt auch Dani Meier zu, Chef im "Scharmoin". Der junge, drahtige Typ strahlt noch einen Rest typisch schweizerischer Ruhe aus, aber auch bei ihm macht sich Nervosität breit: jetzt, wo alles so teuer ist, werden die Gäste ausbleiben – und zwar nicht nur die aus Deutschland und den anderen EU-Ländern.
"Für die Schweizer ist es jetzt attraktiv, in Österreich Urlaub zu machen. Es ist bei mir jetzt noch keine Panik ausgebrochen. Aber die Auswirkungen werden wir noch zu spüren bekommen."
Wie aber darauf reagieren? Dani Meier blickt ein wenig nachdenklich über den Tisch. Ganz sicher weiß er nur, wie er nicht reagieren wird:
"Grundsätzlich wird der Preis nicht gesenkt. Weil sonst bin ich in zwei, drei Jahren nicht mehr da. Das kann auch nicht das Ziel sein. Die Marge, die Spanne bei uns lässt das gar nicht zu. Also ich fahre keinen Porsche, mein Auto ist zehn Jahre alt. Das nur nebenbei bemerkt."
Einen Tisch weiter haben Schweizer Skitouristen die Diskussionen mitbekommen. Der starke Franken und seine Auswirkungen – das beschäftigt auch sie. Es könnte ungemütlich werden für die Schweizer.
Ein Mindestlohn von 3300 Euro
Unten, im Tal des Skigebietes Lenzerheide, bringt Ueli Schumacher, Inhaber des mondänen Hotels Alpin, schon mal persönlich seinen Gästen einen "Café Creme". Der allerdings ist über Nacht für diejenigen, die in Euro bezahlen, ordentlich teuer geworden:
"Das war 3,60 in Euro. Und jetzt sind es statt 3,60 in Euro 4,80."
Strickjacke, schütteres Haar, bedächtige Gestik: Ueli Schumacher haftet etwas Väterliches an, wenn er mit seinen Gästen spricht. Viele kommen schon seit Jahren zu ihm. Er kennt sie nicht nur persönlich, er kennt häufig auch deren Familiengeschichte, deren Wehwechen, deren Befindlichkeiten. Doch selbst wenn er es wollte: An der Preisschraube drehen kann auch er langfristig nicht.
"Das ist klar: Wir zahlen unsere Lieferanten, unsere Mitarbeiter, wir zahlen sie alle im guten harten Schweizer Franken. Ich kann jetzt nicht mit den Löhnen runter. Ich kann jetzt nicht die Preise drücken bei den Lieferanten. Der arme, der das Ganze bezahlt, ist der Wirt."
Und der Wirt zahlt ohnehin schon viel – deutlich mehr als beispielsweise Gastronomen im benachbarten Deutschland oder Österreich. Weil die Löhne entsprechend hoch sind.
"Wir haben unsere Mindestlöhne. Und der Mindestlohn liegt in der Berggastronomie, in den Bergen, bei 3408 Schweizer Franken. Das wären umgerechnet ungefähr dann 3300 Euro."
3300 Euro Mindestlohn, das lässt für Preisnachlässe kaum Spielraum. Dennoch setzen dem Wirt manche Gäste seit der Frankenaufwertung sprichwörtlich die Pistole auf die Brust. Ueli Schumacher erinnert sich an jenen Tag Mitte Januar, als er zur Mittagszeit die Nachricht von der Frankenaufwertung zum ersten Mal gehört hat.
"Fast wie eine Art Weltuntergangsstimmung hatten wir bei uns: Erstens war es schlechtes Wetter. Dann kam die Hiobsbotschaft vom Eurokursverfall. Das war wirklich ein schlechter Tag. Drei, vier Stunden später haben schon die ersten Gäste angerufen. Ich habe im März eine Gruppe von Senioren aus Österreich, die zum Skifahren kommen. Und denen habe ich im Herbst letzten Jahres gesagt, was das in Euro kostet für das ganze Wochenende. Und die haben angerufen und gesagt: Sie kommen nicht, wenn ich den Eurokurs nicht einhalten kann. Und ein paar Tage hat auch eine Familie angerufen und gesagt: Sie überlegen sich, nicht zu kommen, wenn ich ihnen nicht 15 Prozent Rabatt gewähren würde."
Bei solchen Aussichten wird selbst ein ansonsten in sich ruhender Typ wie Ueli Schumacher nervös. Er wird bestätigt durch die ungewöhnlich hektische Betriebsamkeit seiner Lobbyorganisation, dem Tourismusverband Ferienregion Lenzerheide.
Gäste wollen "am Preis etwas machen"
Im Gespräch mit seiner Mitarbeiterin diskutiert Tourismusdirektor Bruno Fläcklin, Mitte 30, wie das bekannte Ostschweizer Wintersportgebiet trotz des harten Frankenkurses auch in Zukunft erfolgreich um Feriengäste werben kann – ein schwieriger Job. Fläcklin knöpft sein Trachtensakko zu:
"Es gab Stornierungen. Aber es gab wenige Stornierungen. Also wir gehen jetzt im Moment gemäß einer Umfrage von zehn bis zwölf Stornierungen über das gesamte Feriengebiet aus. Es gibt die zweite Stufe – Gäste, die eben nachgefragt haben, ob man am Preis etwas machen kann, Gäste, die jetzt gebucht haben und einfach wissen wollen, ob man am Preis was machen kann. Und dann gibt es noch die dritte Stufe: Das sind die Gäste aus der Schweiz, die sich Gedanken machen, ob sie nicht im Ausland ihre Ferien machen sollen."
Fast so häufig wie ein Börsenmanager muss Fläcklin in diesen Tagen zum Telefon greifen: Die Frankenaufwertung und all seine Folgen für den Schweizer Wintertourismus – da gerät ein Mann in seiner Position unweigerlich unter Druck. Und damit in Stress. Das wird auch so bleiben. Denn die Probleme werden nicht kleiner, sondern im Gegenteil eher größer, glaubt Fläcklin:
"Ich denke, dass sicher die Nachfrage nachlassen wird auf den Sommer und auf den nächsten Winter aus der Schweiz und aus dem Ausland. Und deshalb müssen wir versuchen, mit unserem Produkt zu überzeugen."
Rabatte und Dumping-Preise als Lockmittel für Gäste aus den EU-Ländern kommen auch für Tourismusdirektor Fläcklin nicht infrage. Denn dies treibe langfristig viele Hotel- und Gastronomiebetriebe in den Ruin. Fläcklin glaubt, dass Schweizer Wintersportgebiete wie die Lenzerheide zukünftig vielmehr mit den Pfunden wuchern müssen, die schon da sind: Im Reisepreis enthaltene Zusatzangebote, die andere Bergregionen so nicht vorhalten.
"Wenn wir unser Skiticket anschauen, die Tageskarte kostet 69 Franken. Da ist integriert der öffentliche Verkehr. Da ist integriert der Gratissportbus im ganzen Skisportgebiet. Da ist integriert Gratis-W-Lan im ganzen Skigebiet. An über 74 Positionen kann man Gratis-Wireless haben. Wir haben in neue Bahnanlagen investiert. Alles hat man zu wenig kommuniziert. Und die Gäste sind sich dessen auch zu wenig bewusst."
Zahlen müssen die Kunden am Ende aber trotzdem. Und das ist der Knackpunkt, der den Schweizern derzeit den Schlaf raubt.
"Viele Firmen werden sich schütteln"
Riesig muten die Fabrikhallen des Unternehmens Burckhardt-Compression in Winterthur an: Die stählerne, 20 Tonnen schwere Kurbelwelle sieht für den Laien aus wie der stählerne Knochen eines Riesen-Dinosauriers. Aus solchen Teilen entstehen Riesen-Apparaturen mit allerlei Rohren und Ventilen dran – gigantische Kompressionsanlagen, mit denen Gase verflüssigt werden. Blitzsaubere Fabrikhallen, in denen rund 500 Mitarbeiter arbeiten – das Winterthurer Industrieunternehmen belehrt all diejenigen eines Besseren, die geglaubt haben, die Schweizer Wirtschaft bestehe nur aus Bergtourismus und Banken.
"Der Exportanteil unseres Unternehmens ist 99,6 Prozent. Das heißt, wir sind mehr oder weniger komplett auf den Export angewiesen. Wenn man es vom Exportanteil anschaut, ist es gut ein Drittel, das in den Euroraum geht. Diese Franken-Stärke ist ein Problem für uns, auch die Aufhebung des Mindestkurses. Wir werden zusätzliche Optionen einleiten müssen, damit das Unternehmen erfolgreich bleibt."
Valentin Vogt ist als Verwaltungsratspräsident Herr im Hause Burckhardt Compression. Der Mittfünziger in grauem Geschäftsanzug pflegt einen sehr persönlichen, kollegialen Umgang mit seinen Mitarbeitern. Die meisten kennt er beim Namen. Nach der Frankenaufwertung haben er und sein Team ein und dasselbe Interesse: Das Unternehmen muss wettbewerbsfähig bleiben.
"Man kann Verschiedenes machen. Wir sind ja Unternehmen. Das heißt: Wir müssen etwas unternehmen und nicht nur klagen. Das heißt: Wir werden probieren, effizienter zu werden, mehr noch zu automatisieren. Wir werden die Sachen, die wir zukaufen, vermehrt im Ausland zukaufen und einfach weniger in der Schweiz, damit wir unsere Kosten weiter optimieren können."
Valentin Vogt macht einen zuversichtlichen Eindruck. Trotz des starken Franken – sein Unternehmen werde die Probleme in den Griff bekommen. Da ist sich Vogt sicher. Allerdings: Der Manager mit jahrzehntelanger Berufserfahrung hat neben dem Posten des Verwaltungsratspräsidenten noch ein zweites Amt: Er ist Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. Wenn Vogt in dieser Funktion auf andere Betriebe schaut, wird er deutlich nachdenklicher.
"Ich sag es einfach so: Wenn sich der Kurs bei 1,10 einpendelt, dann werden sich viele Firmen schütteln. Manche werden das nicht überleben. Und wenn das sich bei einer Parität einpendelt, dann gibt es ein riesiges Problem in diesem Land. Es wird Strukturanpassungen bei 1,10 geben und größere Strukturanpassungen bei einem Verhältnis eins zu eins, ja."
Strukturanpassungen – das heißt im Klartext: Stellenabbau, Firmenpleiten – im Wirtschaftswunderland Schweiz bisher undenkbar. Die Schuldigen daran sieht Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt aber nicht in der Schweiz, sondern in den Schaltzentralen der Europäischen Union. Denn mit den Bankern stimmt er in der Analyse überein: Die Stärke des Schweizer Franken ist eine Folge der Schwäche des Euro:
"Das Problem ist ja der Druck, der entstanden ist, dass im EU-Raum die Strukturanpassungen nicht gemacht werden. Und mir macht das schon Sorgen, dass die strukturellen Probleme in diesen EU-Ländern nicht gelöst werden, sondern man probiert jetzt, mit Geld diese Probleme wegzuschwemmen. Und das ist definitiv nicht die Lösung."
Aber auch die Schweiz existiert nicht im luftleeren Raum und muss sich den Entwicklungen – ob gut oder schlecht – irgendwie anpassen. Mit der Schweizer Geruhsamkeit ist es jedenfalls vorbei. Aber nicht für alle.
Grenzgänger im Glück: Gehaltserhöhung!
Endlich Feierabend! In einem schmucken Einfamilienhaus in Oberndorf, einem kleinen Weiler bei Konstanz, treffen sich Thomas Schwartz und Alexander Gepp, beide Mitte 30, zum Bier nach der Arbeit. Sie sind die Gewinner der Franken-Aufwertung. Denn beide sind so genannte "Grenzgänger": Sie wohnen auf deutscher Seite, pendeln aber jeden Tag zur Arbeit in die nahegelegene Schweiz. Will heißen: Dem hohen Schweizer Gehalt stehen die niedrigeren deutschen Lebenshaltungskosten gegenüber.
"Als Grenzgänger freut man sich natürlich. Da sind schon viele auf mich zugekommen und haben gesagt: Das ist jetzt ein schöner Zuverdienst für Dich jetzt. Für mich selbst ist das natürlich erst einmal eine gute Sache. Als Grenzgänger kann man jetzt erst einmal freudig sein, sozusagen."
"Bei mir war die erste Reaktion: Kann ich nicht glauben. Aber: Die 20 Prozent, die man mehr hat, die muss man auch irgendwann einmal beim Fiskus wieder abgeben als Grenzgänger, weil man zahlt ja in der Schweiz Steuern und in der Deutschland auch."
Trotzdem: die beiden haben deutlich mehr Netto vom Brutto auf dem deutschen Euro-Konto. Aber ganz geht die Krise nicht an den beiden vorbei.
"Bei uns in der Firma wird ja schon darüber diskutiert, was man mit den Preisen macht. Man wird schon darum gebeten, Preisnachlässe zu geben nach außen hin. Und was man auch merkt: Unsere ganzen Zulieferanten, die ja zu 95 Prozent Schweizer Zulieferanten-Firmen sind, also wir arbeiten im Maschinenbau, also diese Zulieferanten haben schon Bedenken, ob man sie weiter halten kann. Und deshalb bekomme ich mit, dass sie schon weiter von sich aus zehn bis 15 Prozent Preisnachlass anbieten, um weiter bestehen zu können als Zulieferant."
Thomas Schwartz hält einen Augenblick inne, blickt nachdenklich auf die halbleere Bierflasche vor ihm. Wenn der starke Frankenkurs weiter so anhält, befürchtet er, könnte auch er die Auswirkungen zu spüren bekommen.
"Ich bin als Fachkraft gefragt in der Schweiz: Also das wird jetzt kein Problem sein mit dem Arbeitsplatz letztendlich. Wie die Gehaltsentwicklung weitergehen wird, das ist vielleicht schon in Frage gestellt. Weil irgendwie müssen die Schweizer die Kosten ja einsparen können."
Wie zur Bestätigung hebt Alexander Gepp auf der Bank gegenüber den Finger:
"Bei mir ist es halt so: In den nächsten zwei, drei, fünf Jahren wird das mit den Lohnsteigerungen halt sehr zurückhaltend sein. Aber da ich ja in einer Firma bin, in der relativ viele Ausländer arbeiten, mach' ich mir da relativ wenig Gedanken, weil ich ja auch eine Fachkraft bin spezifisch für die Schweiz."
Spekulationen. So richtig weiß eben keiner derzeit, wie es weitergeht. Wenn der Franken weiter so stark bleibt und die Schweiz zu einem Land macht, in dem vieles teuer und manches unerschwinglich wird, dann ändert sich alles.
Aber in welche Richtung? So viel Unsicherheit sind Schweizer nicht gewohnt. Deshalb bedeutet der "harte Franken" für viele, dass sie sich auf harte Zeiten einstellen müssen.
Thomas Wagner: "Ich bin ja tatsächlich am Bodensee aufgewachsen, meine Eltern hatten viele Bekannte in der Schweiz und es war üblich, dass man in die Schweiz einkaufen gegangen ist. Nudeln, Schokolade, das war unheimlich lecker und unheimlich billig. Nun fährt aus Deutschland keiner mehr in die Schweiz, die Schweizer überfluten die Bodenseeregion und das fasziniert einen, der hier groß geworden ist, wie sich die Dinge so verkehren, wirtschaftlich, politisch, aber auch in der Begegnung der Menschen."
Thomas Wagner
Thomas Wagner© privat
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