Vergifteter Wahlkampf mit Hakenkreuz und Ausländerhass
Die Schweizer stimmen am Sonntag über zwei Projekte ab: Es geht um die Abschiebung krimineller Ausländer und den Gotthard-Tunnel. In beiden Kampagnen dominieren verletzende Polemik und schrille Töne.
Die schwarzen Schafe sind wieder da – und jetzt auch das Hakenkreuz. Der Wahlkampf zur Volksabstimmung über die sogenannte Durchsetzungsinitiative wird immer hitziger und gehässiger. Wer Anfang der Woche durch den Zürcher Hauptbahnhof schlenderte, staunte nicht schlecht. Auf einer riesigen Anzeigetafel prangte ein Schweizer Kreuz in Form eines Hakenkreuzes. Dazu der Text: "Nein zur Zwei-Klassen-Justiz, 1933 Deutschland, 1948 Südafrika, 2016 Schweiz. Nein zur Durchsetzungsinitiative".
Ein elektronisches Werbeplakat also, mit dem die Gegner der SVP-Initiative zum Angriff bliesen, um das eigene Wählerpotential zu mobilisieren und jene Initiative zu Fall zu bringen, die eine Ausschaffung aller kriminellen Ausländer fordert. Eine umstrittene Aktion, die unter den Pendlern im Hauptbahnhof etliche rote Köpfe auslöste. Reißerisch, Angstmacherei, so die Kommentare:
"Schwachsinn! – Polemik! – Das geht gar nicht."
Fiktive Trauer um Tunnel-Opfer
Auch beim Kampf um den Bau einer zweiten Gotthardröhre, der ebenfalls am kommenden Sonntag entschieden wird, sind schrille Töne zu hören. Eine Großmutter trauert um ihren Enkel, gestorben im nicht sanierten Gotthard-Straßentunnel, so eine Werbung der Befürworter der zweiten Röhre. Die Gegner des Ausbaus konterten mit dem Plakat "Transithölle Schweiz", das einen vierspurigen LKW-Stau durch den Gotthard zeigt.
Für den Schweizer "Werbefachmann des Jahres" Curdin Janett schießen die Kontrahenten übers Ziel hinaus:
"Ich denke, es geht nicht. Der Mahnfinger und das Drohen funktioniert grundsätzlich schlecht bis gar nicht in der Kommunikation. Aber Angstmacherei auf diesem Niveau für eine Abstimmungsvorlage halte ich für höchst bedenklich. Da wo es herablassend und verletzend wird, ich glaube, da müsste ein Schlussstrich gezogen werden."
Das Hakenkreuz als Schweizer Kreuz sorgte für Proteste, die Schweizer Bahn musste sich sagen lassen, die Landesflagge werde verschandelt, in den Dreck gezogen, die Kampagne sei extrem und abwertend. Als BDP-Parteipräsident Martin Landolt das Schweizer Kreuz als Nazisymbol per Twitter verschickte, erntete er einen Shitstorm und einen Parteiaustritt. Die Zürcher "Sonntagszeitung" beklagt eine apokalyptische Rhetorik: Die Schweiz sei in den Fängen von Nazis, Orks und Mordor, die Empörungsspirale drehe sich immer fulminanter.
Mobilisierung durch Provokation
Gewiss, die Themen Durchsetzungsinitiative und zweite Gotthardröhre polarisieren. Nach Einschätzung von Parteienforscher Claude Longchamps geht es den Parteien gar nicht um Überzeugungsarbeit, sondern primär um die Mobilisierung der eigenen Anhänger, da nur fünf Prozent der Wähler unentschieden sind:
"Deshalb wird auf beiden Seiten recht grundsätzlich auf den Putz gehauen. Es geht nicht um den Swing Voter, es geht nicht um die letzten Unentschiedenen, die dann ausmachen, ob es 50 plus oder 50 minus ist. Sondern es geht darum, wer mobilisiert besser? Und die Mobilisierung, das macht man mit Provokation, mit Emotion und mit Grundsatzdebatten und auch mit Negativ-Kampagne gegenüber dem Gegner. Und das ist sicher das, was wir in den letzten drei bis vier Wochen erlebt haben."
Die Abstimmungsschlacht geht also bis zum Sonntag weiter. "Mehr Schutz für unsere Frauen und Töchter", fordert die SVP in einem Flyer, "ausländische Mörder, Einbrecher und Vergewaltiger" – symbolisiert als schwarze Schafe – zwingend ausschaffen.
"Nein zur unmenschlichen SVP-Initiative", heißt es in einem Aufruf der Gegner. Der Publizist Daniel Binswanger spricht bereits vom nationalkonservativen Krieg gegen die Grundrechtsgarantien im Land.
Entschieden ist übrigens so gut wie nichts: Drei der vier Vorlagen werden laut Umfragen ganz knapp ausfallen. Es wird also spannend.