Schwermetall in Wacken

Von Knut Benzner |
Am jedem ersten Wochenende im August ist es mit der idyllischen Ruhe im schleswig-holsteinischen Wacken vorbei. Denn rund 40.000 Menschen fallen in das Dorf ein, um an einem der größten Heay-Metal-Festvials der Welt teilzunehmen. Und nicht nur die Fans der lauten und brachialen Musik freuen sich auf die Open-Air-Veranstaltung, sondern auch die Dorfbewohner haben Gefallen an dem Trouble gefunden.
Wacken.

""Nach Wacken? Vorbei am Gesindehof Mehlbeck, und dann kommt der Schweinehof, und dann sind Se auch fast schon da.""

Zwölf Kilometer nordwestlich von Itzehoe, Kreis Steinburg, 1148 erstmals nachweislich erwähnt. Relikte aus germanischer Vorzeit, wie ein Hünengrab, deuten auf eine ältere Ansiedlung hin. Der bedeutendste Fund? Drei Gürtelschnallen aus der Bronzezeit.

"Tun Sie mir nix?"

Um Gottes Willen. Habe ich etwa lange Haare? Bin ich volltätowiert?

"Nee wirklich."

Am Ortsrand. Drei Jugendliche. Einer der drei, Marius, ist Heavy-Metal-Fan.

"Na ja, schon, ja. Schon, ja."

Und wohnt in Wacken.

"Ja ich wohn’ hier. Ja, ich geh’ zur Schule hier, Hauptschule Wacken."

Marius war letztes Jahr zum ersten Mal dabei. Mit 13.
Vincent nicht.

"Nee, ich eigentlich nicht, also ich war zwar auf’m Gelände und so, aber auf Konzerte gehe ich nicht, ich bin nicht Heavy-Metal-Fan, nicht unbedingt."

Bleibt Kevin:

"Nö, ich war auch nur so auf’m Gelände, hab’ eigentlich keine gehört, nur da rum geguckt und so."

Wo ist das Festival-Gelände denn ganz genau?

"Ja, das ist, ja hier runter halt, Hauptstraße, unten an den Feldern."

Wenn das Festival ist, ist auf jeden Fall immer schwer was los in Wacken.

"Ja, ganz schön, dann ist es ganz schön voll, die Leute sind auch ganz schön nett und ganz gut drauf, ist ganz okay. Ist endlich mal was los. Ja, auf jeden Fall. So ist auch was los, aber, also wenn im Sommer, dann kommen auch ganz schön viele, dann ist richtig Rock'n'Roll angesagt, also Metal hören ist richtig cool dann."

Die drei sind gerade unterwegs zum Supermarkt.
Wissen sie, wer in dem Haus wohnt, vor dem wir gerade stehen?

"Der Bürgermeister."

Der Bürgermeister von Wacken.

"Schönen guten Tach, ... komm’ Sie rein."

Wacken.
Trommelfelltorturen, Teufelssymbole und 120.000 Liter Bier.

Axel Kunkel ist seit acht Jahren Bürgermeister der Gemeinde Wacken.

"Und wir sind die Gemeinde mit dem ... wahrscheinlich größten Heavy-Metal-Konzert auf der Welt."

Das "Konzert", von dem der Bürgermeister spricht, ist kein Konzert im eigentlichen Sinne. Dieses "Konzert" ist ein Festival, am ersten verlängerten Wochenende im August, seit 17 Jahren. Dass es das größte seiner Art ist ... damit hat Axel Kunkel Recht.

"Ich denke so etwas über 80.000 werden wohl kommen."

Da hinten auf die Wiese. Oder: Auf die Wiesen. Auf 150 ha. Wacken selbst hat 700 davon.
150 ha sind circa 150 Fußballfelder.

"Ja, bisschen mehr, das sind eher 200 Fußballfelder. Ein Fußballfeld hat 6000 Quadratmeter in etwa, also es ist schon ein bisschen mehr."

Na so ganz grob: Hundert mal hundert.

"Ja, passt auch."

Kunkel spielt Fußball.

"Ja, ich spiele Fußball, seit meinem zehnten Lebensjahr, hier in Wacken, und jetzt im Moment in der Altliga des TSV Wacken."

Der TSV Wacken:

"Ja, Turnsportverein Wacken, das ist der örtliche Verein hier, mit ungefähr 1050 Mitgliedern, ein Breitensportverein, der alles, fast alles anbietet hier."

1050 Mitglieder bei 1870 Einwohnern.
Kunkel, Bauingenieur, ist 46, verheiratet und hat zwei Kinder.
Kunkel ist in der CDU, und man kann nicht unbedingt behaupten, dass seine Partei auf kulturpolitischem Gebiet Unterstützer oder Verfechter eben dieses Kulturgutes, dieser Strömung der Musik, der Heavy-Metal-Musik, wäre.

"Nein ganz bestimmt nicht, aber ich glaub’, das wär’ auch nicht die SPD, der dieser Verfechter wäre. Aber das ist einfach hier gewachsen durch die Veranstalter, die hier aus Wacken kommen."

Gekommen sind. Einer wohnt inzwischen in Hamburg, der andere in Dörpstedt. Den aus Hamburg lernen wir noch kennen.
1990. Die beiden Wackener, der eine ebenfalls im TSV, der andere Gitarrist in der in jenem Jahr auftretenden Band Skyline, hatten die Idee eines Heavy Metal-Festivals. Sechs Bands für zwölf Mark. 800 Besucher. Zehn Festivals später: Eintritt 79 Mark, 82 Bands, 25.000 Besucher. Eintritt heute: 79 Euro. Plus Servicepauschale, 20 Euro. Camping und Müllkosten; Parken; freier Eintritt im Schwimmbad; Zelt am Auto; Platzreservierung ab 150 Personen; Festivalaufkleber usw. usf. Full Metal Service, wie die Veranstalter das nennen.

Und die Festival-Besucher: Am besten beschrieben mit zwei Begriffen, die bereits auftauchten – langhaarig und volltätowiert. Zudem gepierct, gestiefelt und gekatert.

Der Bürgermeister:

"Ja, das trifft auf einige zu, aber, wie immer im Leben, nicht auf alle. Es sind viele langhaarige, tätowierte, schwarz angezogen sowieso, weil das die Metal-Szene eben ist, aber es sind auch andere dabei, die Berufe haben wie viele andere, Banker haben wir kennengelernt, die sich, ich dag’ mal, verkleiden, die kommen hier an mit ihren Fahrzeugen und schmeißen sich in ihre schwarze Kluft rein und feiern hier eben vier Tage."

Ausschreitungen? Nein. Manchmal pinkelt einer in den Vorharten eines Anwohners, ab und an springt irgendjemand von irgendeinem Dach, hier und da brennende Zelte, Sonnenbrände sowieso, Sonnenstiche?, klar, Herzinfarkte. Randale? Bei jedem Bundesligaspiel mehr.
Was die Besucher wollen?

"Was die wollen, ist einfach eine Woche mal, auf deutsch gesagt, die Sau rauslassen, ordentlich saufen und schöne laute Musik hören. Und das für eine Woche, und dann kommen die in einem Jahr wieder alle, und wir haben hier noch überhaupt keine Probleme mit denen gehabt."

Eine Woche deshalb, da die meisten Besucher bereits ein paar Tage früher anreisen.
Egal wie: Saufen werden sie.

"Auf jeden Fall. Hier sind Umsätze ohne Ende, also Bierumsätze, da träumen nur andere von."

Durch die örtliche Gastronomie.

"Ja, der örtliche Gastronom hat den Ausschank hier im Biergarten, selbstverständlich gibt’s andere Bierpils-Betreiber sach ich mal, aber da issn Biergarten mit 2000 Sitzplätzen, den einzigen Sitzplätzen überhaupt auf dem ganzen Gelände, und wenn das Wetter n bisschen mitspielt, dann sind da gewaltige Umsätze nachweisbar."

Wacken.

Ein Friedhof, eine Kirche, zwei Banken, eine Hauptstrasse.

Im Landgasthof "Zur Post", gegenüber vom Tierarzt.

Der örtliche Gastronom, der Betreiber des Biergartens, Torsten Arp:

"Man kann eigentlich davon ausgehen, dass jeder Festival-Besucher n Bier bei uns trinkt."

Im Biergarten.

"Genau."

Oder in der Gaststätte?

"Im Biergarten unten auf’m Festival. Und hier oben liegt der Hauptumsatz nicht beim, nicht beim Bier sondern eher bei alkoholfreien Erfrischungsgetränken am Tag und dann eben auch bei warmen Speisen."

Zimmer hat er nicht.

"Leider nich’, nee."

Arp freut sich dennoch auf 2007.

"Ich freue mich wie jedes Jahr riesig aufs Open Air."

Irgendwie freut sich jeder.
An der Theke in der "Post" sitzen ein paar Männer, die auch trinken. Rolf Teschke ist der, der das Bier im Landgasthof ausschenkt.

"Das Aussehen is’ ja nich’ so, ... aber ganz nett, freundlich und ehrlich, ist mein Eindruck immer gewesen. Ich hab’ man ein’ vor zwei Jahren zehn Euro geliehen, die hat er mir letztes Jahr wieder gebracht. Von Ostdeutschland jemand. Ehrlich ja."

Die Gäste:

"Meinetwegen könnte das zwei Mal im Jahr statt finden, is’ so, es ist wirklich schön. ... auch wenn die Feuerwehrkapelle spielt, dann sind die ja auch da zugange ..."

Die Feuerwehrkapelle?

Die Feuerwehrkapelle. Der Musikzug der Feuerwehr. Die Firefighters.

"... die Schwarzen, und amüsieren sich toll, ob es regnet oder sonst was, die machen da Polonaise vor dieser kleinen Bühne da von dieser Dorffeuerwehr, wunderbar."

Denn seit einigen Jahren tritt auch die Feuerwehrkapelle auf.

"Alle verdienen dabei, alle können mit helfen."

Letztlich hilft und verdient das ganze Dorf.

"Also dat Fest wollen wir einfach nich’ mehr missen."

Die Männer knobeln gerade. Wer verdient hier?

"Ja, das ist immer so `ne Sache, meistens der Kröger, der gewinnt Geld dadurch, aber das sind alles Spezialisten hier, das ist so’n Spiel, da muss man Abitur zu haben."

Wacken.
Eine Apotheke, ein Edeka, ein Schlecker.
Warum kommt man nach Wacken?

"Wegen Schlecker? Oder wegen, nein. Wegen Wacken Open Air."

Innerhalb der drei, vier Tage ist der Laden leer.

"Jaha stimmt. Hauptsächlich Getränke, Kekse, Toilettenartikel, alles, ja, was man denn nicht nur für drei Tage, denn die meisten reisen ja recht viel früher an eben, zum täglichen Leben benötigt."

Waschmittel?

"Weniger. Eher zum Duschen. Deodorant."

Ein Friesenhäuschen, noch ein Friesenhäuschen, eine Tankstelle, ein Trecker, der Computer- und Elektronikfachmann hat dicht gemacht, Vorgärten, zwei Bushaltestellen, ein Kind ...

... das Wacken Open Air Office, also das Festival-Büro – dann ist die Hauptstraße auch schon wieder vorbei.
Die Hauptstraße ist der Weg zum Festivalgelände.

"Jo, wir tun sehr viel für’n sozialen Bereich und gerade natürlich für die Kindergärten und Schulen machen wir natürlich viel, sind natürlich auch, sage ich mal in Anführungszeichen, Kunden und Fans von morgen und äh das finden wir gut, weil wir eben auch Kinder haben und machen da natürlich ne Menge, wenn’s eben geht, ne. Also ob nun eben Kindergarten oder Schwimmbad oder Schule, alles, was eben geht."

Holger Hübner, 40, einer der beiden Veranstalter, aus Besdorf, der Nachbargemeinde, in Wacken zur Schule gegangen.
Hübner ist Heavy-Metal-Fan. Endlich einer in dieser Gegend – abgesehen von dem Jugendlichen von vorhin.

"Ich bin Heavy-Metal-Fan, ja."

Er trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Harley Davidson".

"Bin aber kein Motorradfahrer, hehehe."

Harley und Heavy Metal gehören dennoch zusammen womöglich?

"Nein, nich’ unbedingt, nee. Also Harley Davidson ist Rock'n'Roll und Heavy Metal ist doch n bisschen härter eben, also ist nicht zwingend jetzt, also es ist ..."

Lieblingsband?

"Oh gibt’s verschiedene, ne. Jo, super, danke schön ..."

Der Kaffee kommt.

"...ja Lieblingsband, ja querbeet, von Metallica, Gund'n'Roses, ACDC, denn denen, die in Wacken spielen, Saxon, Iron Maiden, also querbeet, von Heavy Metal gibt’s ja verschiedene Stilrichtungen und äh da sind eben in diversen Richtungen zuhause, also nicht, ist ja sehr vielschichtig, Heavy Metal."

Heavy Metal.

"Gut für Deutschland, gut für Europa, ja."

Gut für Wacken.

"Gut für Wacken, sowieso."

Wacken.

"Wir haben den Lärm, je nach Windrichtung, dann auch drei Tage lang, bis Nachts um drei, und wenn der Wind günstig steht, so wie in den letzten drei Jahren, dann kriegen das die Gemeinden Gribbum und Holsten-Niendorf, und wenn der Wind aus der anderen Richtung kommt, dann haben wir hier bis Nachts um drei richtig Krach im Haus."

Axel Kunkel. Der Bürgermeister.
Es riecht nach Obst.
Kann es sein, dass seine Frau Pflaumenkuchen gemacht hat?

"Wir haben Johannisbeeren gepflückt und eben hier noch mal Grütze gekocht, ja. Das ist eben so, wenn man `n kleinen Garten hat."

Pflaumen gibt’s später, ne.

"Pflaumen gibt’s später, Pflaumen kommen erst im August, ja."

Also jetzt, zum Festival.

"Ja, richtig, aber meistens auch erst nach dem Festival."

Vielleicht haben wenigstens die Angst. Vor dem, was kommt.

"Ja was gibt’s noch?"

Seine Scheiben sind übrigens doppelt verglast.

"Also ich glaub’, das war’s auch. Kleine Vereine noch, ´n Skatclub, ja, ich glaub’, das war’s."

Gut. Gäste aus ganz Deutschland, aus Skandinavien, aus Peru, aus Indonesien, aus Australien, aus Osteuropa und Japan auch.

"Also das Dorf ist hinterher sauberer als vorher."

Eine Eröffnungsrede hält er, er ist schließlich immer da, eine Eröffnungsrede hält der Bürgermeister nicht.

"Nein, ganz und gar nicht. Das kommt auch gar nicht an, das will auch keiner hören. Viele sprechen mich an, wenn sie merken irgendwo dass ich hier der Bürgermeister bin, weil ich auch von Bekannten hier auf dem Gelände da angesprochen werde, aber offizielle Worte überhaupt nicht. Ich war einmal zur Eröffnung da, das war aber Zufall, also die Massen dann durch die ersten Tore durch durften, das ist dann donnerstags um 17 Uhr, ... das habe ich von der Plattform gesehen, aber offizielle Worte will kein Mensch hören. Das muss auch nicht sein."