Schwierige Nachbarschaft

Von Irmela Spelsberg |
Im Berliner Martin-Gropius-Bau ist eine Ausstellung mit rund 800 Exponaten zu sehen, die zeigt, wie viel Polen und Deutsche verbindet - obwohl die Nachbarschaft immer wieder durch Gewalt, Krieg, Teilung und Vertreibung belastet wurde.
Eigentlich hatte sie’s ursprünglich eher scherzhaft gemeint, Anda Rottenberg, Chefkuratorin der Millenniumsschau - aber dann nahm man sie in Warschau und Berlin beim Wort:

"Ich sagte, wenn wir je eine deutsch-polnische Ausstellung machen, dann sollte die 1000 Jahre umspannen.”"

Und zeigen, wie alles begann und wie fruchtbar über viele Jahrhunderte diese Nachbarschaft war, gleichsam eine "Europäische Union avant la lettre", wo Künstler und Gelehrte frei hin- und herreisten, mal diesem, mal jenem Souverän dienten:

""Diese offene europäische Art zu denken, zu der wir nun zurückkehren, bringt unsre beiden Gesellschaften einander nahe und lässt sie freundlich miteinander umgehen."

Wie es der römisch-deutsche Kaiser Otto III. mit dem polnischen Fürsten Boleslaw tat, als er ihn im Jahr 1000 in Gnesen besuchte und ihn am Grab des Pruzzenmissionars Adalbert zum "Bundesgenossen im Reich" erhob.

Ein Treffen, das nicht nur die staatliche und kirchliche Eigenständigkeit Polens begründete, sondern auch als Auftakt der tausendjährigen deutsch-polnischen Nachbarschaft gilt. Von dieser Begegnung kündet in der Ausstellung die mittelalterliche Kopie der figurenreichen Bronzetüren des Doms zu Gnesen, die an die Bernwardstür des Hildesheimer Doms anknüpfen und Szenen aus dem Leben des Heiligen Adalbert zeigen.

Der Kölner Dom entlieh das kleine goldgerahmte Tafelgemälde von Richeza, der im Dom bestatteten aus dem Rheinland stammenden Nichte des Kaisers, die dann – mit Boleslaws Sohn Mieszko verheiratet – später zur Königin Polens wird. Sie wirkte ebenso segensreich wie Hedwig von Andechs, Gemahlin des schlesischen Piasten Heinrichs I., die mit ihm zusammen das Zisterzienserinnen-Kloster Trebnitz gründete und heiliggesprochen wurde.

Ihre Vita in farbenprächtiger Miniaturmalerie auf einem Lindenholz-Triptychon entstammt einer Breslauer Kirche, und aus dem städtischen Archiv kommt die Gründungsurkunde von Breslau, ausgestellt am 16. Dezember 1261 und vom sächsisch-magdeburgischen Recht kündend, das ab dem 13. Jahrhundert einer Fülle weiterer Stadtgründungen in Polen zur Richtschnur dienen sollte. Das Krakau und Veit Stoß gewidmete Ausstellungskapitel prunkt mit sämtlichen Zeichnungen und Drucken von des Künstlers Hand, vereint aber auch Skulpturen aus seinen beiden Wirkungsstätten Krakau und Nürnberg.

Dem Ausstellungsparcours folgend wird der Besucher unverhoffte Entdeckungen machen: Unscheinbare schwarze Hölzer sind nichts Geringeres als die Druckstöcke für die Illustration der ersten Lutherbibel, nach Wittenberg wurden sie zunächst in Prag zur Bebilderung der tschechischen und schließlich in Krakau der ersten polnischen Bibelübersetzung weiterverwendet, allerdings für die Katholiken diesmal von allen antipäpstlichen Elementen bereinigt – ein hübsches Apercu zum Kapitel "Reformation und Multikonfessionalität in Mitteleuropa". Andächtig steht man vor den astronomischen Fachbüchern des aus Thorn stammenden Studiosus Nikolaus Kopernikus, zusammengebundenen Inkunabeln, an die er seine eigenen handschriftlichen Himmelsbeobachtungen angefügt hat - im Polnisch-Schwedischen Krieg 1626-29 gelangten sie als Beute nach Uppsala.

Imposant sind die goldgerahmten raumhohen Portraits polnischer Könige, die ihre Bedeutung als Mäzene der Künste und Garanten städtischer Eigenständigkeit widerspiegeln. So hatte sich Danzig vom Deutschen Orden abgewandt und unter den Schutz Kasimirs des Vierten Jagiello gestellt – Grundlage für das Goldene Zeitalter der Hansestadt.

Von dieser Kulturblüte zeugen qualitätvolle Gemälde, die es mit ihren niederländischen Vorbildern aufnehmen können - so das des Bartholomäus Strobel, das er von Martin Opitz anfertigt. Dass der nicht nur der Wegbereiter der deutschen Literatursprache war sondern auch Diplomat und Sekretär von König Wladyslaw IV., das ist eines der vielen Aha-Erlebnisse, die diese Ausstellung bereithält. Aber auch polnische Adlige standen in diplomatischen Diensten bei den Preußenkönigen - so Fürst Anton

Radziwill, der Goethes "Faust" vertonte sowie Athanasius Graf Raczynski, der Förderer deutscher Künstler im 19. Jahrhundert und ihr erster Chronist. Sein Bruder Edward setzte sich für das von Christian Daniel Rauch 1835-41 geschaffene Denkmal der ersten Piasten ein, das heute noch in der Goldenen Kapelle im Posener Dom, in verkleinerter Version aber auch in der Berliner Ausstellung zu sehen ist.

Das 19. Jahrhundert kannte neben der Tragödie der Teilungen Polens also durchaus eine kulturelle Symbiose , wovon auch die deutsche Polenbegeisterung, die Solidarität mit den vor den zaristischen Truppen gen Westen fliehenden Aufständischen zeugt, sowie später die große Zahl angehender Maler und Architekten aus Polen, die an deutschen Hochschulen und Akademien studieren.

Der Aufbruchsstimmung der Zwischenkriegszeit mit wiedergewonnener Staatlichkeit und dem Aufstieg der polnischen Avantgarde, der in Lodz eines der ersten Museen moderner Kunst gewidmet wird, folgt mit Zweitem Weltkrieg und Besatzungszeit der Absturz des deutsch-polnischen Miteinanders - auf bewegende Weise gegenwärtig in Werken von Zeitzeugen wie der in Auschwitz internierten Alina Szapocznikow, in Berlin im Dialog mit Arbeiten deutscher Künstler wie Jochen Gerz und Anselm Kiefer zu erleben.

Die Weihestätte polnischen Selbstverständnisses, zugleich aber ein Ort, wo angejahrte nationale Mythen dekonstruiert werden – das ist der Lichthof des Martin-Gropius-Baus. Dort wird ein Lieblings-Feindbild, das vom Kreuzritter als Inbegriff aller späteren Germanisierungsbestrebungen, aufgebaut und zugleich demontiert.

Der von Konrad von Masowien zur Pruzzenmissionierung herbeigerufene, dann sich zum Staat im Staate entwickelnde und schließlich vom polnisch-litauischen Heer in der Schlacht bei Tannenberg besiegte Deutsche Orden huldigt 1525 dem polnischen König. Das lieferte Matejko Stoff für zwei riesige Historienbilder: Die preußische Huldigung prangt inmitten des Lichthofs, das Schlachtengemälde wurde aus konservatorischen Gründen von einer gleichformatigen Stickerei ersetzt, einer Fleißarbeit und Verbeugung vor Matejkos nationaler Ikone, die aber ihrerseits von einem Gegenwartskünstler konterkariert wird, von Edward Krasinski mit seiner Foto-Installation.

Anda Rottenberg: "Geschaffen in den 90er-Jahren zeigt sie das Foto des Gemäldes, in dem sich eine Tür öffnet und die Gestalt des Künstlers freigibt inmitten des Schlachtengetümmels. Auf diese Art distanziert er sich von Matejkos Bild und der Tannenberg-Legende insgesamt."

Und symbolisiert eine neue Generation, die geschichtsbewusst und dennoch vor allem der Zukunft und einem deutsch-polnischen Zusammenleben in Europa zugewandt ist.