Ankommen in Zeiten der Pandemie
07:24 Minuten
Ein neues Leben anfangen – fern der Heimat in Deutschland Fuß fassen: Für geflüchtete Menschen ist dies seit Ausbruch der Coronakrise noch schwieriger geworden. Viele fühlen sich nicht nur einsam, sondern auch von den Behörden allein gelassen.
Viele Menschen haben sich angesteckt, weil es keine guten Präventionsmaßnahmen gab. Damit sich Menschen nicht gegenseitig anstecken, müssen sie Abstand halten können. Das war ganz und gar nicht der Fall. Wir haben die gleiche Küche benutzt, saßen im gleichen Esszimmer, haben Wasser, Milch, heißes Wasser aus dem gleichen Hahn geholt. Wir sind auf die gleiche Toilette gegangen. Über 700 Menschen haben dort gelebt, das war verrückt", erinnert sich Agatha an März und April.
Vor einem Jahr war sie noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Bremen untergebracht und schlief mit sechs Menschen in einem Raum. Die Nigerianerin hatte große Angst sich anzustecken: "Wir haben angefangen, um Hilfe zu rufen, protestiert, im Internet, überall. Alle Frauen sind rausgegangen, um zu protestieren."
Mitte April wurde Agatha in einem Übergangsheim untergebracht. Jetzt teilt sie sich ihr Zimmer mit ihrem Sohn und einer anderen Mutter mit ihrem Kind. Küche und Badezimmer benutzen alle Bewohnerinnen des Übergangsheims gemeinsam.
Seit einem Jahr kein Deutschunterricht
Agatha ist 2019 aus Nigeria nach Deutschland geflohen und erzählt, wie das Coronavirus ihre ohnehin schwierige Situation verschärft hat. "Wenn es kein Corona gäbe, gäbe es vielleicht ein paar Dinge, die wir machen könnten, Orte zu denen wir gehen könnten, an denen wir Informationen bekämen", sagt sie.
So kommen zum Beispiel die Deutschlehrer einer bremischen Flüchtlingsinitiative nicht mehr in das Heim, seit einem Jahr hatte Agatha keinen Deutschunterricht mehr. Zusätzlich ist die Kommunikation mit den Behörden deutlich schwieriger geworden, berichtet auch Ali Issa.
Der 25-Jährige ist 2015 aus Syrien nach Deutschland geflohen.
"Jetzt muss man alles per E-Mail schicken, oder per Post schicken, Formulare ausfüllen, Formular aus dem Internet runterladen", erzählt er. "Die kriegen Post von der Ausländerbehörde, oder vom Jobcenter und da stehen 1000 Sachen auf Deutsch, die man nicht verstehen kann. Und wenn sie Hilfe brauchen und zur Behörde gehen und sagen: Können sie mir helfen, ich habe den Brief nicht verstanden, dann ist die Behörde zu."
Vieles dauert länger als vor Corona
Ali Issa hilft anderen Geflüchteten, sich in Deutschland zu Recht zu finden. Er übersetzt mit den anderen Helfern der Organisation Fluchtraum Bremen Briefe der Behörden, hilft bei den Anträgen. Aber vieles dauert länger als vor Corona und das kann große Auswirkungen auf das Leben der Geflüchteten haben.
Zum Beispiel: "Wegen der Wohnungssuche: Das ist sowieso schwer in Bremen", sagt er. "Wenn man eine Wohnung findet, dann kriegt man ein Mietangebot. Dann sagt der Vermieter: Zeig das Mietangebot dem Sozialamt oder dem Jobcenter. Und dann kannst du mir Bescheid sagen, ob du ein Okay kriegst, oder nicht."
Vor der Pandemie konnten die Geflüchteten mit ihren Unterlagen sofort zu ihren Betreuern oder zur Behörde gehen und alles Notwendige besprechen. Aber in der Coronazeit müsse man eine Mail oder einen Brief schreiben und warten. "Und dann kommt der Vermieter und sagt: ‚Na ja eine Woche kann ich nicht mehr warten.‘ ‚Nein, bitte ich möchte das.‘ Und so. Das hat vielen immer Probleme gemacht."
Viele Geflüchtete haben auch Sorge, ihre Dokumente in die Post zu legen, befürchten, dass sie dort verloren gehen.
"Man vermisst das Lachen, das Lächeln"
Hinzu kommt, dass der Kontakt zu Menschen, die bereits in Deutschland leben, erschwert wird. Es gibt weniger Berührungspunkte im Alltag. Das Bremen, das die Geflüchteten jetzt erleben, ist ein anderes, als das in dem Ali Issa vor sechs Jahren angekommen ist.
"Man vermisst das Lachen, das Lächeln der Menschen. Diese Situation Corona, Maske, Abstand, alles hat zu. Was kann man machen? Nichts! Und dann fühlt man sich traurig. Wenn die so sagen Abstand! Und ich kenne die Sprache nicht, ich kenne die Kultur nicht, ich kenne das Land nicht. Was meint er? Weil ich Ausländer bin - oder wegen Corona?"
Issa erzählt ihnen dann, wie es in Bremen vorher aussah, dass man ins Kino, ins Fitnessstudio, oder in die Bibliothek gehen konnte. Er sagt, die Langeweile in den Heimen mache viele traurig und krank. Auch die Arbeit der Flüchtlingshelfer ist schwerer geworden.
Insa Bertram leitet den Fluchtraum Bremen, die Organisation in der sich auch Issa engagiert. Am Anfang der Pandemie mussten sie manche Angebote ganz einstellen.
"Zum Beispiel haben wir ein Beratungscafé und ein Mädchentreff. Das ist so eine Mischung aus offener Jugendarbeit und Beratungsangebot, das wurde für ein paar Wochen geschlossen. Und die Beratung zu Asyl und Aufenthalt ebenfalls. Und wir haben dann versucht, Einzeltermine zu vereinbaren oder online zu unterstützen. Inzwischen haben die Angebote wieder geöffnet, aber es gibt eben Terminberatung und wir setzen weniger Freiwillige ein."
Online-Angebote keine echte Option
Das bedeutet, dass es auch hier länger dauert bis Menschen bei Hausaufgaben, Anträgen oder Briefen Hilfe bekommen. Ohnehin seien Online-Angebote für Geflüchtete keine echte Option, ihnen fehle die technische Ausrüstung oder die Ruhe, um sich in ihren Heimen auf den Deutschunterricht zu konzentrieren. Und es gibt keine Lehrer, die alles noch mal wiederholen können. So entstünden große Lücken. Darauf müsse nach der Pandemie reagiert werden.
"Wenn Deutschkurse länger ausgefallen sind, dann könnte man sagen, dass man den Personen Intensivsprachkurse ermöglicht, obwohl solche Sprachkurse teurer sind. Oder man könnte überlegen, ob Menschen in Ausbildung, die lange im Homeoffice sein mussten, dass die eine spezielle Förderung über Nachhilfe, oder Deutschtrainings bekommen."
Bertram erzählt, dass die Stimmung bei den Geflüchteten gedrückt ist, die Existenzängste größer als noch vor der Pandemie. Und viele fühlen sich nicht nur einsam, sondern auch von den Behörden allein gelassen.