Warum Umfragen so oft danebenliegen
08:32 Minuten
Wieder einmal ist das Rennen ums Weiße Haus knapper als erwartet. Und bei knappen Entscheidungen fallen Prognosen in einem Land mit Mehrheitswahlrecht und einzelnen Bundesstaaten besonders schwer, sagt Statistik-Professor Björn Christensen.
Dass diese Wahl so knapp verläuft, hatte keine Prognose vorausgesehen. Überall war die Rede von eindeutigen Vorsprüngen für Joe Biden – von vier bis zu zehn Prozent in den Staaten, in denen ein knappes Rennen vorausgesagt wurde.
Zum Beispiel der Swing State Florida. Noch am Montag lag Biden dort in einer Prognose der internationalen Presseagentur Reuters um vier Prozentpunkte vorne. Die Realität sieht nun genau anders herum aus: Donald Trump hat diese vier Prozent mehr in Florida. Auch nationale Umfragen prognostizierten einen Vorsprung Bidens.
Trumps Parteikollege Mike Huckabee, selbst einmal mit Präsidentschaftsambitionen, will von Umfragen deshalb gar nichts mehr wissen, wie er heute bei Fox News sagte. Sie würden dazu führen, dass Wähler nicht mehr zur Wahl gehen, weil sie glauben, ihr Kandidat hätte keine Chance – oder eh schon gewonnen. Zudem hätten die Umfragen bereits 2016 gezeigt, wie falsch sie lägen.
Mit dieser Meinung ist er nicht alleine. Bettina Gaus von der "taz" sagte dazu: "Eigentlich kann sich dieser Berufsstand aus der Öffentlichkeit zurückziehen und verabschieden. Ich kann auch eine Kristallkugel nehmen und reingucken."
Die Menschen werden nachlässig
Auch Björn Christensen, Professor für Statistik und Mathematik an der Fachhochschule Kiel, findet die große Anzahl von Umfragen problematisch, weil Menschen in ihrer Wahlentscheidung immer häufiger auf die letzten Prognosen reagieren würden.
Die Menschen könnten wegen Umfragen vor der Wahl auch nachlässig werden – wie zum Beispiel bei der Brexit-Abstimmung: "Damals haben junge Leute im Nachgang gesagt: Hätten wir gewusst, dass das Ergebnis rauskommt, dass nämlich der Brexit kommt, dann wären wir doch zur Wahl gegangen."
Prognosen kritisch hinterfragen
Doch trotz der Kritik seien Demoskopen nicht überflüssig. In vielen Bundesstaaten der USA sei eingetreten, was sie vorausgesagt hätten. Zudem seien Prognosen in Ländern mit Mehrheitswahlrecht, in denen jeder einzelne Bundesstaat zählt, besonders schwierig zu treffen. Dort benötige man hohe, repräsentative Fallzahlen: "Und wenn wir dann knappe Entscheidungen haben, ist es statistisch kaum valide möglich vorherzusagen, wer die Mehrheit gewinnt – und dann ja auch alle Wahlmänner bekommt."
Einen Verzicht auf Umfragen hält er deshalb nicht für notwendig. Man müsse Prognosen jedoch "kritisch hinterfragen".
Wenn bestimmte Fehlermuster in den Umfragen auftreten und sich wiederholen, könne man diese zu korrigieren versuchen, sagt Christensen. Aber auch das sei nur eingeschränkt möglich: "Die Welt ändert sich eben. Auch das Umfeld ändert sich. Und dann wirklich das verlässliche System zu haben, ist unglaublich schwer." Auch mehr Daten hätten offenbar bisher nicht zu genaueren Prognosen geführt.
(sed)