Schwimmende Müllschlucker

Der schwierige Kampf gegen den Plastikmüll

07:38 Minuten
Ein Fließband befördert auf dem Klang River in Malaysia Müll ins Innere des Interceptors.
Die technischen Methoden von Ocean Cleanup sind noch nicht ausgereift. © The Ocean Cleanup
Von Dirk Asendorpf |
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Das Unternehmen Ocean Cleanup möchte Ozeane und Flüsse von Plastik befreien - mithilfe schwimmender Müllschlucker. Rund 50 Millionen Euro hat es dafür schon gesammelt. Bislang klappt das allerdings kaum.
Boyan Slat weiß, wie man im Internet für Begeisterung sorgt. In einer auf Youtube übertragenen Großveranstaltung enthüllte der Niederländer Ende Oktober 2019 mit großem Pomp den sogenannten Interceptor, eine Art schwimmendes Fließband im Gigaliner-Format. Es soll den Plastikmüll aus Flüssen einsammeln bevor er ins Meer gelangen kann. In der werbegewaltigen Präsentation schluckte der Interceptor Tausende Badeentchen aus der Strömung eines Wasserbeckens.
Rund 50 Millionen Euro hat Slat bereits eingesammelt – neben Kleinstbeträgen per Crowdfunding vor allem Großspenden von Milliardären und Unternehmen. Inzwischen belegt Ocean Cleanup vier Fabriketagen in der Nähe des Rotterdamer Hauptbahnhofs. 90 Festangestellte arbeiten hier, dazu Dutzende Freiwillige, Studierende und Praktikanten.

Testbetrieb in Indonesien und Malaysia

Nicht weit entfernt, im Rotterdamer Museumshafen, wartet Interceptor Nummer vier auf seine Auslieferung in die Dominikanische Republik. Die ersten beiden Plastikschlucker laufen seit Ende vergangenen Jahres in Indonesien und Malaysia im Testbetrieb, in Vietnam wartet der dritte Interceptor auf die behördliche Zulassung. Papierkrieg ist eine der Hauptaufgaben von Chris Worp, dem Manager der Stiftung.
"Wie soll ich erklären, was das ist? Ist es ein Schiff? Nein, kein Schiff. Ich muss es aber als irgendwas klassifizieren, damit es importiert werden kann. Das ist eine der täglichen Herausforderungen, die wir meistern müssen."
Stolz präsentiert Worp die nagelneue Technik des Interceptors. Schwimmende Barrieren sollen den Plastikmüll ins Maul des Müllschluckers treiben. Dessen Förderband verfrachtet den Abfall in Container, die dann mit Barkassen ans Ufer gebracht werden. Solarstrom liefert die nötige Energie.
Gesteuert wird all das von einem Computer, per Internet ist er stets mit der Zentrale in Rotterdam verbunden.
"Hier ist der Hauptbildschirm. Darauf kann man den Zustand des gesamten Systems sehen, ob irgendwelche Probleme erkannt wurden. Wenn die Müllbehälter voll sind, verschickt es eine SMS, damit sie abgeholt und geleert werden."

Erste Erfahrungen in Indonesien sind ernüchternd

Die ersten Exemplare des Interceptors haben je 700.000 Euro gekostet, mit Beginn der Serienproduktion soll der Preis deutlich sinken. Bis zu 50 Tonnen Müll könne ein Interceptor am Tag beseitigen, verspricht Ocean Cleanup.
Die ersten Erfahrungen in Indonesien sind jedoch ernüchternd. Weniger als zwei Tonnen waren es dort, und zwei Drittel davon gar kein Plastik, sondern vor allem Wasserpflanzen. So berichtete es die Lokalpresse unter Berufung auf Ocean Cleanup und dessen Sponsor Danone.
Aus ökologischen Gründen ist das problematisch. Die Biomasse auf der Oberfläche von Flüssen ist ein wichtiger Lebensraum, erklärt der Biologe Lars Gutow vom Bremerhavener Alfred Wegener Institut.
"Man muss immer berücksichtigen, dass die Meeresgebiete vor den Flussmündungen – diese Systeme sind darauf eingestellt, dass sie eben auch Material aus dem Inland über die Flüsse, biologisches Material, erhalten. Und dieses Material wird dann eben auch herausgefiltert. Wir haben noch keine Ahnung über die Kollateralschäden dieses Vorgehens, und wir wissen auch nicht, wie effizient dieses Verfahren am Ende wirklich sein wird."
Klar ist: Zwischen einem Viertel und der Hälfte des Plastiks, das neu ins Meer gelangt, kommt aus der Mündung von nur zehn Flüssen, zwei davon in Afrika der Rest in Asien. Zu diesem Ergebnis sind verschiedene Hochrechnungen gekommen. Allerdings schwimmt nur ein Teil des Mülls an der Oberfläche, der Rest treibt in tieferem Wasser oder ist als Mikroplastik zu klein, um vom Interceptor aufgefangen zu werden. Chris Worp ist trotzdem überzeugt, dass die schwimmenden Müllschlucker zur Erfolgsgeschichte werden. Tausend Flüsse will Ocean Cleanup in den kommenden fünf Jahren damit ausstatten.

Suche nach lokalen Partnern

"Wir sind sehr ehrgeizig, angetrieben von der Dringlichkeit des Problems. Das wird einiges kosten. Aber wenn man bedenkt, dass der Plastikmüll jedes Jahr einen geschätzten Schaden zwischen drei und 19 Milliarden verursacht, dann können wir diese Tausend Flüsse doch für sehr viel weniger Geld säubern."
Eine seiner Hauptaufgaben ist jetzt die Suche nach lokalen Partnern, die sich vor Ort um einen Interceptor kümmern. Um ihnen die Sache schmackhaft zu machen, hat er dem Müllschlucker ein modisches Design in knallblauer Farbe verpasst.
"Zunächst mal ist alles funktional. Aber einige Elemente haben wir so gestaltet, dass der Interceptor ansprechender wirkt. Die Leute mögen doch attraktive Technik. Wenn wir etwas wirklich gut Aussehendes in einen sehr dreckigen Wasserlauf setzen, dann sieht so ein Fluss doch schon gleich viel besser aus."
Ganz neu ist die Idee allerdings nicht. Im Hafen von Baltimore ist schon seit sechs Jahren ein Plastiksammler im Einsatz, der dem Interceptor ähnelt: Mr. Trash Wheel. Außerdem säubern Hunderte Organisationen weltweit Strände und Küsten. Auch asiatische Behörden sind nicht untätig. Um Überschwemmungen zu verhindern, fischen Arbeitstrupps mit einfachem Gerät allein in Indonesiens Hauptstadt Jakarta jeden Tag 250 Tonnen Müll aus Kanälen und Flüssen.

Test der Umweltverträglichkeit steht noch aus

Noch wichtiger sind schärfere Gesetze und strengere Kontrollen an Land. Denn ohne ein gut funktionierendes Abfallmanagement bleibt die Müllsammlung im Wasser eine Sisyphusarbeit.
"Boyan Slat bezeichnet sich ja auch nicht als Wissenschaftler, wo immer er eingeblendet wird, steht drunter CEO, also Geschäftsführer von Ocean Cleanup. Es geht hier um ein Produkt, um eine Marke, und die verkauft er sehr gut. Das ist natürlich auch ein Thema, das viele Menschen sehr betroffen macht. Und das greift er auf und bietet eben einen Lösungsansatz an", sagt Lars Gutow.
Wie die meisten Meeresbiologen hat auch Lars Gutow große Sympathie für das Engagement des jungen Ocean-Cleanup-Gründers. Ob dessen Konzept, Plastikmüll mit großer und teurer Technik zu bekämpfen, dem Problem wirklich angemessen ist, müsse sich aber erst noch zeigen.
"Es steht natürlich wirklich noch ein rigoroser Test der Umweltverträglichkeit aus und das müsste wirklich auch durch unabhängige Wissenschaftler durchgeführt werden und nicht von Ocean Cleanup, die beobachten, was dort vor sich geht. Aber es wäre wünschenswert, wenn das auch noch von unabhängiger Stelle untersucht würde."
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