Schwindschleim und Rapunzelhaar
In der neuen Erzählwelt der Cornelia Funke bekriegen sich die Menschen und die Goyl, Wesen mit Haut und Herz aus Stein. Die schwelgende Schilderung surrealer Bauten und perfider Kampftechniken ist dabei ein wenig beliebig und bunt zusammengewürfelt geraten.
Cornelia Funke ist neben Joanne K. Rowling eine der international erfolgreichsten Fantasy-Autorinnen. Wobei sie diesem Trend nie hinterher gelaufen ist, sondern ihn selbst mit ihren Kinderbüchern über Drachen und Kobolde, Gnome und Monster zehn Jahre vor Harry Potter mit begründet hat. "Drachenreiter" (1997) und "Herr der Diebe" (2000) legten den Grundstein zu ihrem Erfolg, ihre Tinten-Trilogie macht sie zur weltweit bekannten Bestseller-Autorin. Doch Cornelia Funke verkaufte nicht nur hohe Auflagen und teure Filmrechte, sondern wurde auch von der literarischen Kritik begeistert gefeiert. Heute erscheint der erste Band einer neuen Reihe: "Reckless. Steinernes Fleisch". ("Gefunden und erzählt von Cornelia Funke und Lionel Wigram")
Der gute, alte Spiegel ist das Tor zur neuen Erzählwelt der Cornelia Funke. Hier bekriegen sich seit Jahrhunderten die Menschen und die Goyl, menschenähnliche Wesen mit Haut und Herz aus Stein. Leben die lichtscheuen Goyl unter ihrem König und der Bösen Fee in unterirdischen Höhlen und Burgen, so die Menschen in mittelalterlich düsteren Städten. Doch die Technik ist, dem Genre der Urban Fantasy gemäß, schon in die archaische Spiegelwelt mit ihren unzähligen Phantasiegestalten eingedrungen: Züge rollen durch das Zauberland und Industrieanlagen verpesten die magische Luft.
Cornelia Funkes Geschichte vom "Steinernen Fleisch" ist ebenso komplex wie ihre Spiegelwelt selbst. Zwei vaterlose Brüder sind aus der realen Welt in die Spiegelwelt geraten, Will, der jüngere, wurde verletzt und versteinert langsam, Jacob, der ältere, will ihn retten. Er gerät zwischen die Fronten von Menschen und Goyl, muss unzählige Kämpfe, Mutproben und Abenteuer bestehen, Zauberwesen und Feen besiegen. Nach einem dramatischen Finale bekommt Jacob Wills Leben geschenkt – um den Preis, selbst nur noch ein Jahr leben zu dürfen.
Spielte die Tintenwelt-Trilogie in der Welt der Bücher, so spielt "Reckless" in der Welt der Märchen. Motive und Elemente nicht nur der Grimmschen Märchen bestimmen die Handlung: Loreley und Daphne bedrohen den Helden, Goldkugel und Rapunzelhaar helfen in der Not. Während seine beiden Begleiterinnen Fuchs und Clara sich oft auf weibliches Stillsitzen beschränken, zieht Jacob genretypisch aus, das Fürchten zu lernen, die Böse Fee zu besiegen, den Bruder zu retten und vielleicht auch noch den Vater zu finden.
Cornelia Funkes Phantasie kennt keine Grenzen. Sie schwelgt in der Schilderung surrealer Bauten, perfider Kampftechniken, herrlicher Paläste und versteinernden Fleisches. Zauberwesen und Zauberkräfte jagen die Handlung vorwärts, schleimige und schöne, blutige und blumige Erfindungen schmücken das Geschehen. Man sieht den Film in ihrem Kopf schon förmlich vor sich.
Trotzdem bleibt der Eindruck einer postmodernen Konstruktion. Erzählwelten und Genres, fantastische Einfälle und Versatzstücke erscheinen bunt zusammen gewürfelt. Funkes bekannter Erzählschwung verzettelt sich in Abenteuern und Rettungsaktionen, die manchmal wie beliebig herbeigezaubert werden. Ihre Figuren wirken leblos, obwohl sie sehr große Gefühle vor sich her tragen, und selbst der Schluss überzeugt nicht, weil er einer Laune der Bösen Fee geschuldet ist.
Cornelia Funkes Sprache schließlich, immer eher konventionell als innovativ, raunt in "Reckless" besonders geheimnisvoll. Biegsam schmiegt sie sich um Gefühle und Geschöpfe, schwimmt in verführerischen Floskeln und ertrinkt metaphernreich in bedeutungsschwangerem Pathos. Ist "Reckless" auch weitaus intelligenter geschrieben als die meisten Romane der immer noch anhaltenden Fantasy-Mode, so kommt der Erzählfluss doch zu geschwollen daher. Aber weitere Bände werden ja folgen, und da kann alles wieder gut werden – wie im Märchen.
Besprochen von Sylvia Schwab
Cornelia Funke: Reckless. Steinernes Fleisch
Cecilie Dressler Verlag, Hamburg 2010
350 Seiten, 19,95 Euro
Der gute, alte Spiegel ist das Tor zur neuen Erzählwelt der Cornelia Funke. Hier bekriegen sich seit Jahrhunderten die Menschen und die Goyl, menschenähnliche Wesen mit Haut und Herz aus Stein. Leben die lichtscheuen Goyl unter ihrem König und der Bösen Fee in unterirdischen Höhlen und Burgen, so die Menschen in mittelalterlich düsteren Städten. Doch die Technik ist, dem Genre der Urban Fantasy gemäß, schon in die archaische Spiegelwelt mit ihren unzähligen Phantasiegestalten eingedrungen: Züge rollen durch das Zauberland und Industrieanlagen verpesten die magische Luft.
Cornelia Funkes Geschichte vom "Steinernen Fleisch" ist ebenso komplex wie ihre Spiegelwelt selbst. Zwei vaterlose Brüder sind aus der realen Welt in die Spiegelwelt geraten, Will, der jüngere, wurde verletzt und versteinert langsam, Jacob, der ältere, will ihn retten. Er gerät zwischen die Fronten von Menschen und Goyl, muss unzählige Kämpfe, Mutproben und Abenteuer bestehen, Zauberwesen und Feen besiegen. Nach einem dramatischen Finale bekommt Jacob Wills Leben geschenkt – um den Preis, selbst nur noch ein Jahr leben zu dürfen.
Spielte die Tintenwelt-Trilogie in der Welt der Bücher, so spielt "Reckless" in der Welt der Märchen. Motive und Elemente nicht nur der Grimmschen Märchen bestimmen die Handlung: Loreley und Daphne bedrohen den Helden, Goldkugel und Rapunzelhaar helfen in der Not. Während seine beiden Begleiterinnen Fuchs und Clara sich oft auf weibliches Stillsitzen beschränken, zieht Jacob genretypisch aus, das Fürchten zu lernen, die Böse Fee zu besiegen, den Bruder zu retten und vielleicht auch noch den Vater zu finden.
Cornelia Funkes Phantasie kennt keine Grenzen. Sie schwelgt in der Schilderung surrealer Bauten, perfider Kampftechniken, herrlicher Paläste und versteinernden Fleisches. Zauberwesen und Zauberkräfte jagen die Handlung vorwärts, schleimige und schöne, blutige und blumige Erfindungen schmücken das Geschehen. Man sieht den Film in ihrem Kopf schon förmlich vor sich.
Trotzdem bleibt der Eindruck einer postmodernen Konstruktion. Erzählwelten und Genres, fantastische Einfälle und Versatzstücke erscheinen bunt zusammen gewürfelt. Funkes bekannter Erzählschwung verzettelt sich in Abenteuern und Rettungsaktionen, die manchmal wie beliebig herbeigezaubert werden. Ihre Figuren wirken leblos, obwohl sie sehr große Gefühle vor sich her tragen, und selbst der Schluss überzeugt nicht, weil er einer Laune der Bösen Fee geschuldet ist.
Cornelia Funkes Sprache schließlich, immer eher konventionell als innovativ, raunt in "Reckless" besonders geheimnisvoll. Biegsam schmiegt sie sich um Gefühle und Geschöpfe, schwimmt in verführerischen Floskeln und ertrinkt metaphernreich in bedeutungsschwangerem Pathos. Ist "Reckless" auch weitaus intelligenter geschrieben als die meisten Romane der immer noch anhaltenden Fantasy-Mode, so kommt der Erzählfluss doch zu geschwollen daher. Aber weitere Bände werden ja folgen, und da kann alles wieder gut werden – wie im Märchen.
Besprochen von Sylvia Schwab
Cornelia Funke: Reckless. Steinernes Fleisch
Cecilie Dressler Verlag, Hamburg 2010
350 Seiten, 19,95 Euro