Schwul-Lesbisches Chorfestival "Nordakkord"

Die Zauberflöten singen nicht mehr für die Emanzipation

Gegen Homophobie und Transphobie: Regenbogenfahne in Berlin
Gegen Homophobie und Transphobie: Regenbogenfahne © dpa / picture alliance / Gregor Fischer
Von Kerstin Poppendieck |
Es war eine kleine musikalische Revolution, als sich die ersten Schwulen-Chöre in den 70er-Jahren formierten - inzwischen gibt es eine aktive schwul-lesbische Chorszene. Beim Festival Nordakkord in Leipzig trafen sich etwa 13 Chöre. Damals sangen die Chöre aus emanzipatorischen Gründen - heute aus Spaß.
Stefan Greving: "Hallo, ich bin Stefan Greving und sing bei den Zauberflöten aus Köln und bin von der Stimmlage erster Tenor. Die Zauberflöten haben sich vor über 20 Jahren gegründet und sind aus einer Coming-Out-Gruppe entstanden und daraus ist dieser semiprofessionelle Chor geworden, der wir heute sind. Es macht Spaß, in einem schwulen Chor zu singen, weil wir anderes Repertoire haben, wir nehmen unsere Eigenheiten selbst auf die Schippe, auch in unserem Programm. Und deshalb machen wir, glaub ich, andere Chorliteratur als ein klassischer Männerchor das zum Beispiel machen würde."
Zusammen mit knapp 30 anderen Männern steht Stefan Greving auf der Bühne im Haus Leipzig. Alle tragen braune Wildlederhosen und blaue Hemden. Sie singen Lieder wie "Nimm mich mit" von 2Raumwohnung, "Du hast den Farbfilm vergessen" von Nina Hagen oder "Tipitipitipso" von Caterina Valente.
Standing Ovations gab es für ihre Version von Lady Gaga´s "Bad Romance". Die Zauberflöten aus Köln sind einer von 13 Chören, die beim 3. Schwullesbischen Chorfestival Nordakkord auftreten. Neben Leipzig hatte sich auch Köln um die Austragung des Festivals beworben, aber am Ende gab es die meisten Stimmen doch für Leipzig.
Greving: "Weil wir gedacht haben, so können wir schwule Kultur auch in den Osten bringen. Es gibt hier nicht so viele Chöre wie im Westen von Deutschland. Und wenn man so ein Stückchen Akzeptanz in die allgemeine Bevölkerung bringen kann, ist das ne super Idee."
Sie nennen sich die Rosa Cavaliere, Vielhomonie, Die QuerChorallen oder Homophon und zeigen damit schon durch ihren Chornamen, dass Humor für sie wichtig ist. Nachdem sich in den 1970er Jahren die ersten schwulen Chöre in den USA gegründet hatten, dauerte es nur noch wenige Jahre, bis sich auch in Deutschland die ersten schwulen Sänger zusammengeschlossen haben. Bei einem solchen Chor mitzusingen kam damals einem Coming-Out gleich.
Einziger schwule Chor in Ostdeutschland: die Tollkirschen
Einen einzigen schwulen Chor gibt es in ganz Ostdeutschland – die Leipziger Tollkirschen. Allein in Köln gibt es dagegen neun. Nordakkord heißt das Festival, weil es das Pendant zum schwullesbischen Chorfestival Quertakte ist, bei dem Chöre aus Süddeutschland mitmachen. Beim diesjährigen Nordakkord waren schwullesbische Chöre aus dem Rhein-Ruhrgebiet, Berlin, Köln, Hamburg, Hannover, Münster und Leipzig dabei. Peter Bosse war der Projektleiter des Festivals und hat selbst acht Jahre bei den Leipziger Tollkirschen gesungen.
Peter Bosse: "Es ist nicht wichtig, ein Schwul-Lesbisches Chorfestival zu haben, glaub ich, sondern es ist wichtig, schwul-lesbische Chöre zu haben. Wir stellen bei ganz vielen Auftritten, auch in nicht-schwul-lesbischen Zusammenhängen, fest, dass Leute überrascht sind, wie positiv wir wirken. Das Leute herzhaft lachen können, wo sie vielleicht erst skeptisch waren. Klischees vielleicht überzeichnet bedient werden und das dann auch witzig ist, oder eben überhaupt gar nicht bedient werden, weil man einfach nur ein guter Chor ist und gute Musik macht."
Beim Nordakkord Festival ist es spannend zu beobachten, wie unterschiedlich die dreizehn Chöre des Festivals sind. Da gibt es Männerchöre, die jede Menge schwule Klischees bedienen – äußerlich mit Federboa und Glitzerohrringen aber auch durch ihre Titelauswahl mit Liedern von Abba und Marianne Rosenberg. Und dann gibt es Chöre, bei denen das schwul- oder lesbisch-Sein überhaupt keine Rolle spielt – jedenfalls nicht für den Zuschauer erkenntlich. Andere Chöre bezeichnen sich wiederum als schullesbisch, aber mitsingen kann jeder, der sich mit dem Repertoire und den anderen Chormitgliedern wohlfühlt – wie bei den Leipziger "Tollkirschen".
Der emanzipatorische Aspekt nicht mehr im Mittelpunkt
Das Haus Leipzig ist an allen drei Festival-Tagen sehr gut besucht. Neben den Konzerten am Abend treten die Chöre tagsüber in den Passagen der Leipziger Innenstadt auf. Auch einen Flashmob gibt es im Hauptbahnhof, der Passanten zum Mitsingen animiert, frei nach dem Motto "Singen verbindet", egal ob homo- oder heterosexuell bzw egal ob Ost- oder Westdeutsche. Denn auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung war das für manche Chöre immer noch ein Thema.
Auftritt "Tollkirschen": "Die Temperaturen haben ja viel mit uns gemeinsam. Über 30 und heiß. Zu DDR-Zeiten gab´s ja da ein wirksames Mittel gegen, ne. Erinnert ihr euch noch? FKK. Ausziehen. Nee, nicht ausziehen. Mensch Jungs, wir haben Westbesuch." (Lachen)
Der emanzipatorische Aspekt und das Zugehörigkeitsgefühl von damals stehen bei den schwullesbischen Chören heute nicht mehr so sehr im Mittelpunkt. Beim Nordakkord Festival in Leipzig ging es mehr darum, gemeinsam Spaß beim Singen zu haben und mitunter auch gleich eine Revue auf die Bühne zu bringen. Der Showaspekt war oftmals genauso wichtig wie der Gesang. Und es wurde viel gelacht – gerne auch über sich.
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