Schwule Kunst und ihre Kritiker

Von Thomas Migge |
Im Mailänder Palazzo della Ragione ist zurzeit die Ausstellung "Kunst und Homosexualität" mit ungefähr 150 Werken aus rund 100 Jahren zu sehen. Mit dabei sind Zeichnungen von Picasso, Gemälde von Lucien Freud, Andy Warhol und anderen Künstlern. Kritik an der Kunstschau gab es vor allem von der katholischen Kirche.
"Nun, wir sind davon überzeugt, dass das, was dort geschieht, ein wirklich schlimmer Skandal ist. Es ist doch wohl ein Unding, dass keine 200 Meter vom Mailänder Dom entfernt so ein Schmutz gezeigt und als Kunst angepriesen wird. Da wird der Glaube in den Schmutz gezogen. Da muss man als Christ Position beziehen und sich einmischen."

Und das tut auch der Mailänder Geistliche Don Matteo Waldin. Als Mitglied der sogenannten katholischen Antidiffamations-Liga - einer Organisation konservativer Katholiken, die immer dann aktiv wird, wenn das Ansehen der Kirche und die Reinheit des Glaubens in Gefahr sind - plant er eine Klage gegen die Organisatoren einer Ausstellung im Palazzo Reale, in der Innenstadt von Mailand.

Grund des erzkatholischen Zorns ist eine Kunstschau, die eigentlich nur "Schwule" heißen sollte. Dann aber entschied sich Vittorio Sgarbi, ehemaliger Vizekulturminister Italiens und jetzt Kulturassessor in Mailand, für den etwas weniger provozierenden Ausstellungstitel "Kunst und Homosexualität". Eine Kunstschau mit rund 150 Werken aus rund 100 Jahren. Zu sehen sind Klassiker homosexuell inspirierter Kunst. Darunter die berühmten Fotografien des Deutschen von Gloeden, der im sizilianischen Taormina hübsche Knaben nackt ablichtete, eindeutige Zeichnungen von Picasso, Gemälde von Lucien Freud, Andy Warhol und anderen Künstlern.

Kurator der Ausstellung ist Vittorio Sgarbi: "Ich bin ein Polemiker. Ich bin jemand, der ein bestimmtes Verhalten an den Tag legt. Ich gehe die Dinge wie ein Künstler an und weniger wie ein Kunstkritiker, das erlaubt es mir auch zu provozieren. Ich bin kein Vermittler zwischen zwei Positionen und auch kein Politiker."

Als Kurator der inzwischen heftig in den italienischen Medien und von der katholischen Bischofskonferenz kritisierten Mailänder Kunstschau scheute sich der Polemiker Sgarbi nicht, auch zwei Werke auszustellen, die vor allem den Zorn der aufgebrachten Bürger auf sich ziehen.

Zum einen handelt es sich um eine Fotografie von einem Paparazzo, der Silvio Sircana zeigt, den Pressesprecher von Regierungschef Romano Prodi, der während einer Nacht in Rom in einer nur schwach beleuchteten Straße einen Strichjungen anspricht.

Das Foto von der Künstlergruppe Coniglio Viola, Rosa Kaninchen, zeigt aber nicht den Strichjungen, sondern Jesus Christus. Das zweite Kunstwerk, das im Zentrum der Kritik steht, betrifft Papst Benedikt XVI. Es handelt sich um eine Skulptur von Paolo Schmidlin aus dem Jahr 2006. Sie zeigt einen alten Mann, der nur mit einem Damenmieder und mit einem weißen Seidenhemdchen bekleidet ist, das die schlaff herunterhängenden Brüste freigibt. Das Gesicht der Skulptur ist ein Porträt von Josef Ratzinger.

Jetzt ist von himmelschreiender Blasphemie die Rede und von religiöser Beleidigung. Mailands rechte Bürgermeisterin Letizia Moratti hat nach Eröffnung der Ausstellung und der Welle des Protestes umgehend entschieden, dass Minderjährige die Kunstschau nicht besichtigen dürfen. Diese Entscheidung führte zur heftiger Kritik italienischer Schwulenverbände, die Signora Moratti vorschlagen, doch Bürgermeisterin von Teheran zu werden, wo Zensur an der Tagesordnung sei.

Aber auch Ausstellungskurator Vittorio Sgarbi reagiert auf die Proteste - und
zieht, so die Tageszeitung "Corriere della sera", "seinen Schwanz ein":

"Hier in diesem Land regiert die Ignoranz und ich dachte nun wirklich nicht, dass diese Objekte soviel Ärger provozieren würden. Ich sehe mich also gezwungen, einzuschreiten, als Kurator, um die Wogen ein wenig zu glätten. Deshalb können diese beiden Kunstwerke nicht mehr gezeigt werden. Das ist ein echtes institutionelles Problem."

Und deshalb schreitet Sgarbi als Kulturassesor und Kurator direkt ein. Er kaufte die Skulptur des Papstes und stellte sie in seinem Büro auf - damit wäre ein Objekt des Skandals entfernt. Das Foto mit Jesus Christus als Strichjungen warf er, unglaublich aber wahr, kurzerhand in den Müll und begründete diese ungewöhnliche Entscheidung damit, dass es "sowieso künstlerisch nur wenig Wert hatte". Gleichzeitig hob Sgarbi das Verbot des Ausstellungsbesuchs für Minderjähre auf - und legte sich auf diese Weise mit seiner direkten Vorgesetzten, der Bürgermeisterin an.

Jetzt sind alle gegen Sgarbi: die Schwulenverbände, die ihm vorwerfen, vor der Kirche einen Kotau zu machen, die rechten Parteien, die es unglaublich finden, dass in einer mitte-rechts-regierten Stadt überhaupt so eine Ausstellung organisiert wurde und die katholische Kirche, die von einem, so "l¹Avvenire", die Tageszeitung der Bischofskonferenz, "gefährlichen Affront gegen den Glauben der Mehrheit der Italiener" spricht. Ganz besonders radikale Katholiken wollen es nicht nur beim Protestieren belassen. Sie drohen bereits, in anonymen Briefen an die Stadtverwaltung und den Kulturassessor, mit gezielten Anschlägen auf die Kunstwerke in der Ausstellung. "Wie frei darf Kunst in Italien sein?", fragt Literaturnobelpreisträger Dario Fo, einer der ersten Ausstellungsbesucher.

"Hier regiert immer noch die Kirche", schimpft Fo, "denn in keinem anderen Land hätte es soviel Gerede um diese Objekte gegeben wie hier bei uns".