Ehe-Romane für alle
Der Bundestag hat sich nach langem hin und her für die “Ehe für alle“ entschieden. In der Literatur war man da nicht so zimperlich: Es gibt bereits viele Romane, die schwule und lesbische Paarbeziehungen auf außergewöhnliche Weise beschreiben.
Literatur hat einen langen Atem und braucht diesen auch, um mehr zu sein als lediglich Tageskommentar. Es wäre also verfehlt, nach dem Bundestagsvotum für eine "Ehe für alle" jetzt sogleich nach dem "großen schwul-lesbischen Ehe-Roman" zu rufen. Eher schon könnte die parlamentarische Mehrheitsentscheidung auch dazu genutzt zu werden, an all jene Bücher zu erinnern, in denen schwule oder lesbische Paarbeziehungen thematisiert wurden, als dies gesellschaftlich noch nicht anerkannt war.
Nicht immer nämlich konnte in den nachfolgenden Jahrhunderten die emotionale und erotische Anziehungskraft zwischen zwei Männern so unverklausuliert beschrieben werden wie in jenen Bibelpassagen, die sich auf die Liebe zwischen David und Yonathan beziehen. Wie gut jedenfalls, dass zumindest ab dem 20. Jahrhundert dann keine verschwiemelte Rede mehr sein musste von "besten Seelenfreunden/Freundinnen", auch wenn sich Patricia Highsmith im Jahre 1952 noch genötigt sah, ihren Roman "Salz und sein Preis" unter Pseudonym zu veröffentlichen. Die geschilderte Beziehung zwischen der mondänen Carol und dem Ladenmädchen Therese aber scheitert nicht an gesellschaftlichen Konventionen und hat ein unvermutetes Happy End.
Dank den angelsächsischen Pionieren
Ganz anders James Baldwins 1956 erschienener, in Paris spielender Roman "Giovannis Zimmer", in welchem die Liebe zwischen einem amerikanischen Expat und einem italienischen Kellner nur von kurzer Dauer ist. In seinen anderen Romanen wie etwa "Wie lange ist der Zug schon fort" und "Eine andere Welt" erzählt der Afroamerikaner Baldwin in mitreißender Jazz-Sprache jedoch auch von den Möglichkeiten des Gelingens, von Begehren und Empathie, das stärker ist als soziale oder Hautfarben-Unterschiede.
Wenn in der bundesdeutschen Gegenwartsliteratur - ob nun bei Hans Pleschinski, Alain Claude Sulzer oder in Joachim Helfers Roman "Cohn & König" - die Subtilität und natürliche Fragilität von Paarbeziehungen thematisiert wird, ohne in banale Gesellschaftsschelte abzurutschen, ist deshalb auch diesen angelsächsischen Pionieren Dank zu sagen: James Baldwin, Edmund White, Michael Cunningham oder Armistad Maupin mit seinen hinreißenden "Stadtgeschichten" aus San Francisco. Und nicht zu vergessen die Frauen: Rita Mae Brown und Alice Walker (in ihrem später von Steven Spielberg verfilmten Roman "Die Farbe Lila") haben lesbische Liebe auf eine solch intensive Weise thematisiert, dass man sich dringend Vergleichbares in der deutschsprachigen Literatur wünschte.
Keine Adjektive für die sexuelle Präferenz
Vor allem aber gilt: Literatur diesen Ranges braucht keine Adjektive, die auf die sexuelle Präferenz ihrer Verfasser hinweisen. (Wer nämlich würde schon von "heterosexuellen Romanciers" sprechen?) Gleichzeitig könnte die Mehrheitsgesellschaft bei der Lektüre die schöne Entdeckung machen, dass zum Modell der sexuellen Treueschwüre und nachfolgenden Scheidungsbanalitäten - die Germanistin Hannelore Schlaffer bezeichnet es gewitzt als "serielle Monogamie" - auch Alternativen existieren: Eine lebenslange emotionale Treue, die der Abenteuerlust der Libido dennoch keine Fesseln anlegt. Wie das funktioniert oder schief geht - davon legen inzwischen unzählige Bücher literarisch Zeugnis ab. Und auch das ist verdammt gut so.
Marko Martin, geb. 1970, Schriftsteller und Publizist in Berlin, thematisiert in seinen Erzählungen immer wieder schwules (Paar-)Leben in diversen Ländern und Konstellationen. In der von Hans Magnus Enzensberger gegründeten Anderen Bibliothek erschienen die Bände "Schlafende Hunde" (2009) und "Die Nacht von San Salvador"(2013). 2016 erschien im Hamburger Männerschwarm Verlag der Erzählband "Umsteigen in Baylon".