Science-Fiction-Actionfilm

Tilda Swinton als Hofnarr

Schauspielerin Tilda Swinton (l) und der südkoreanische Regisseur Bong Joon Ho während eines Foto-Shootings bei der Premiere von "Snowpiercer" während des 39. Deauville American Film Festivals.
Schauspielerin Tilda Swinton (l) und der südkoreanische Regisseur Bong Joon Ho während eines Foto-Shootings bei der Premiere von "Snowpiercer" während des 39. Deauville American Film Festivals © picture alliance / dpa / Etienne Laurent
Moderation: Susanne Burg |
Eine Art Gefängnis wollte Bong Joon Ho in seinem Film zeigen. Er bewegt sich in einem Zug von Waggon zu Waggon in unterschiedlichen Welten: In einem Abteil kämpfen Menschen gegen Soldaten, im Schulwaggon werden die Kinder gedrillt.
Hören oder lesen Sie zunächst eine Rezension von Anke Leweke!
Susanne Burg: Bong Joon Ho, der Film beruht auf einer Comic-Vorlage: "Schneekreuzer“. Die Bilder sind gezeichnet von Jean-Marc Rochette und strahlen häufig so eine unglaubliche beklemmende Enge aus. Nun ist Film ja bewegtes Bild – aber was von der Ästhetik der Graphic Novel wollten Sie auch in den Film übertragen?
Bong Joon Ho: Der Zug ist ja im Film tatsächlich in Bewegung, und zusätzlich prescht die Hauptfigur nach vorne zur Zugspitze. Es ist also eine Bewegung in der Bewegung, ein doppeltes Voranpreschen. Das Gefühl, sich nach vorne sich zu bewegen, nach vorne zu preschen, das wollte ich ausdrücklich darstellen. Das ist der Kern, die grundlegende Stimmung des Films. Gleichzeitig sollte das Szenario ein ironisches Gefühl schaffen dafür, dass man sich eingesperrt fühlt. Ich wollte den Zug also als eine Art bewegtes Gefängnis zeigen.
Burg: Film kann ja auch noch mal ganz anders mit Raum arbeiten. Zugwaggons sind alle gleich groß, aber je weiter man im Film nach vorne kommt, desto großzügiger erscheinen sie. Was haben Sie sich vorher überlegt, wie Sie mit Raum umgehen – bei einem Zug, der unglaubliche 650 Meter lang ist, der unglaublich viele Waggons hat, also bei dem man nicht einfach von einem auf den anderen Waggon mal den als größer und luxuriöser erscheinen lassen kann?
Joon Ho: Jedes Abteil hat ein unterschiedliches Setdesign und die Dekorationen verändern sich nach dem Abteil, dennoch beibt die Gestalt eines Abteils, also seine Struktur identisch, ein enges schmales Rechteck. Um diese sich wiederholende Abfolge zu überwinden, habe ich an zwei Möglichkeiten gedacht: Zum einen an die Bewegung – so sollten sich die Figuren und die Kamera bewegen, um die Langeweile des starren Raumes zu bewältigen –, zum anderen dachte ich an die verschiedenen Charaktere. Jede Figur ist ein Spektakel für sich. Auch das sollte die starre Abfolge der Wechsel von Wagen zu Wagen aufheben.
Burg: Die Figuren, weil Sie die erwähnen, die sind häufig sehr stark überzeichnet, am deutlichsten wohl Tilda Swinton mit ihrer großen Brille, unbeholfen auch in all ihrer Herrschsucht und in all ihrem Despotismus. In Ihren anderen Filmen greifen Sie auch immer wieder auf das Mittel der Satire zurück. Warum?
Margaret Thatcher: "Ein schlimmer Charakter mit grotesker Niedlichkeit
Joon Ho: Ja, das stimmt. So habe ich es auch mit Tilda Swinton abgesprochen. Ihre Rolle ist eine Comicfigur wenn Sie so wollen, und wir hatten dieses Bild von einem Hofnarren im Kopf, einer Clownsfigur. Ihre Verkleidung ist der Wahnsinn. Ihr Gesicht ist schon ein Spektakel für sich. Deswegen haben wir der Figur auch eine solche starke Maske verpasst: Die Nase haben wir vergrößert, sie trägt Brille und Perücke und ein künstliches Gebiss. Wir wollten durch diese Mischung in der Verkleidung einen schlimmen Politiker darstellen. Wir haben ein bisschen an Margaret Thatcher gedacht – das soll jetzt aber nicht heißen, dass sie eine schlechte Politikerin war, eher ein schlimmer Charakter mit einer grotesken Niedlichkeit.
Burg: Wenn ich an diese Waggons denke, die zeichnen ja unterschiedliche Lebensräume, und welche sind mir am meisten in Erinnerung geblieben? Das sind vor allem der mit dem Gewächshaus, ein Klassenzimmer, in dem die Kinder indoktriniert werden und ein Waggon, in dem wilde Partys stattfinden. In dem Stück vorher war von den Auswüchsen der Gesellschaft die Rede. Welche Auswüchse wollten Sie zeigen? Das, was ich jetzt in Erinnerung habe, sind Dekadenz, Indoktrination. Um welche Auswüchse ging es Ihnen?
Joon Ho: Wichtig war es mir, die Unterschiede zwischen den Abteilen zu zeigen. Zum Beispiel haben Sie gesagt, dass die Szene des Gewächshauses beeindruckend ist. Aber in einem Waggon, der etwas weiter entfernt ist, werden Proteinblöcke hergestellt, also die Nahrung für die Menschen im letzten Waggon. Das Material für die Proteinblöcke ist ja schockierend. Ich will gar nicht verraten, was das für ein Material ist. Was ich sagen will: Ich denke, gerade diese Koexistenz der unterschiedlichen Waggons zeigt die Ironie des ganzen Systems und seine dunkle Seite. So unterschiedliche Sachen wie Paradies und Hölle leben direkt nebeneinander. Aus diesem Kontrast entsteht in diesem Film durchaus eine kritische Botschaft über die Gesellschaft von heute.
Burg: Der südkoreanische Filmemacher Bong Joon Ho ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über seinen neuen Film „Snowpiercer“, der nun auch bei uns in die Kinos kommt. Der Film ist ja in der Zukunft angesiedelt. Regiert wird in dem Zug alles andere als demokratisch. Als die Menschen im hinteren Zugteil aufbegehren, stellt sich ihnen das Militär in den Weg. Im Schulwaggon werden die Kinder gedrillt, indoktriniert. Es gibt also deutliche Zeichen einer Diktatur. Nun kann man den Film auf verschiedenen Ebenen sehen: als Actionfilm, als Science-Fiction-Dystopie. Wie stark haben die Koreaner – dort war der Film ja sehr, sehr erfolgreich – darin auch eine Anspielung auf das Militärregime gesehen, das bis Ende der 80er-Jahre geherrscht hat?
Fehlende Vergangenheitsbewältigung in Südkorea
Joon Ho: Die Leute in meinem Alter haben die Militärdiktatur bis Ende der 80er-Jahre miterlebt, zwar ist sie etwas später, in den 90ern, zu Ende gegangen, aber jeder kann sich noch daran erinnern. Wir haben lange Geschichte des Protestes gegen die Diktatur. Die Actionszene, wo die Menschen im letzten Waggon mit Soldaten kämpfen, kann auf einer Seite als ein Science-Fiction-Element interpretiert werden, aber andererseits ist es für die Koreaner eine Erinnerung an die 70er- und 80er-Jahre. Aber ich denke, dass die Diktatur und die Unterdrückung eines Systems nicht nur in Korea, sondern international gedacht und verstanden werden kann.
Burg: Klar, Diktatur haben verschiedene Länder erlebt. Wenn wir aber noch mal einen Augenblick bei Südkorea bleiben: Ich habe vor einigen Jahren gelesen, dass Südkorea sich nicht sehr stark mit seiner eigenen Vergangenheit – eben auch der Zeit der Militärdiktatur – auseinandersetzt, aber dass das Fehlen der Aufarbeitung durchaus ein geheimes Thema im Kino ist. Welche Rolle kommt Ihrer Meinung nach dem koreanischen Kino in Bezug auf eben diese Aufarbeitung zu und wie stark interessiert Sie das Thema?
Joon Ho: Wenn man sich die Geschichte ansieht, dann hat Südkorea ja auch eine lange Kolonialgeschichte durch die Japaner. Die haben wir auch nicht aufgearbeitet. Und auch nach der Militärdiktatur hat keine Vergangenheitsbewältigung stattgefunden. Man kann die Auswirkungen davon noch in unserer heutigen Gesellschaft sehen. Unsere politischen Zustände sind noch extrem chaotisch.
Es hört sich vielleicht makaber an, aber man sagt auch, dass die Kunstschaffenden, die Kreativen letztendlich aus diesen unruhigen gesellschaftlichen Zuständen ihre Inspiration beziehen. Es gibt mittlerweile auch Filmemacher, die sich mit dem Thema Vergangenheitsbewältigung beschäftigen. Ich weiß von einem Film, der von den Kollaborationen mit den Japanern erzählt. Und ich weiß von einem Film, der heißt "Der Verteidiger“, der handelt von dem Präsidenten Roh Moo-hyun. Er war ein demokratischer und sehr beliebter Präsident. Es geht aber auch um die Militärdiktatur in den 80ern. Der Film ist vor kurzem in Südkorea angelaufen und war ein großer Erfolg. Ich selber interessiere mich auch sehr für dieses Thema, aber ich habe noch keine festen Pläne für ein Werk in diese Richtung.
Kürzungen für US-Version des Films abgelehnt
Burg: Dieser Film ist ja eine koreanisch-französisch-amerikanische Koproduktion, verkauft in 167 Länder, unglaublich erfolgreich bereits in Südkorea, in Frankreich. Nun soll er auch in den USA anlaufen. Und es gab Streit mit Harvey Weinstein: Er wollte den Film um 20 Minuten kürzen, leicht umschneiden. Das Ganze zog sich dann eine Weile hin und mancher Regisseur wäre wohl eingeknickt und hätte gesagt: Okay, in Gottes Namen, kürzen Sie. Warum war das für Sie so ausgeschlossen?
Joon Ho: Tatsächlich war es so, dass ich auch an der Kürzung beteiligt war. Aber das Ergebnis war extrem unbefriedigend. Ich wäre wahrscheinlich einverstanden gewesen, wenn der Film nach der Kürzung ein besserer gewesen wäre. Aber das war nicht der Fall. Die Charaktere waren nach der Kürzung sehr merkwürdig verzerrt und man konnte sie sich nicht mehr richtig erklären. Es ist also so, als würde man zu einer Kunstausstellung gehen und man würde einige Bilder weglassen. Das geht nicht. Und ich denke, es ist eine natürliche und gute Entwicklung, dass in allen Ländern die gleiche Version gezeigt wird. Ein Film ist wie ein Buch eines Autors. Ein Film trägt die Handschrift des Regisseurs, und ich bin froh, dass es nun so ausgegangen ist.
Burg: Südkorea hatte lange Zeit eine Quote, die festlegte, wie viele koreanische Filme im Land gezeigt werden mussten. Das sollte die heimische Kinoindustrie fördern. Sehr erfolgreich war es auch, es gab eine sogenannte koreanische Neue Welle. 2006 wurde dann die Quote auf Druck der Amerikaner gelockert. Wie beurteilen Sie aus heutiger Sicht diese Entwicklung? Welche Folgen hatte das für die koreanische Filmindustrie?
Joon Ho: Als die Quote gelockert wurde, haben sich sehr viele Kinofreunde engagiert, um den südkoreanischen Markt zu schützen, weil sie den Zusammenbruch des koreanischen Films befürchtet haben. Und tatsächlich ist der koreanische Film noch immer sehr beliebt und hat einen großen Marktanteil, einen Marktanteil von 50 bis 60 Prozent. Pro Jahr werden 100 bis 150 Langfilme gedreht. Dass es der koreanischen Filmindustrie noch immer so gut geht, hängt auch mit dem Engagement der Kinoleute von damals zusammen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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