Science-Fiction

Am Wochenende nach der Apokalypse

Colson Whitehead gelingt der Science-Fiction-Kick: die mythische Überhöhung des Alltäglich-Banalen.
Colson Whitehead gelingt der Science-Fiction-Kick: die mythische Überhöhung des Alltäglich-Banalen. © picture alliance / dpa / Maximilian Schönherr
Von Hans von Trotha |
Das Zombie-Genre funktioniert im Film unglaublich gut. In der Literatur fügt der Amerikaner Colin Whitehead mit "Zone One" dem ritualisierten Untotengeknusper eine neue Geschichte hinzu. Es ist eine Kombination aus Science-Fiction und Zombie-Roman, in dem alle Katastrophenszenarien vorkommen, die uns beunruhigen.
Ein Wochenende nach der Apokalypse. Freitag, Samstag, Sonntag sind die Kapitel überschrieben. Wir begleiten einen jungen Mann durch das südliche Manhattan, die Zone One, Keimzelle einer neuen Zivilisation nach erfolgtem Weltuntergang. Er ist Sweeper, das sind in kleinen Trupps agierende Männer und Frauen, die die vorab notdürftig dekontaminierte Stadt Block für Block von sogenannten Skels befreien, Untoten, die von der infolge der Katastrophe ausgebrochenen Seuche infiziert sind, die den Verstand löscht und neu formatiert. Skels sind ansteckend, wenn sie beißen. Und sie beißen gern. Der Auftrag lautet: "Ausschalten, einsacken, wegpacken. Noch Fragen?"
Mythen sind der Pop von früher. Die Gleichung gilt auch umgekehrt: Die Mythen von heute sind weitgehend Hervorbringungen der Popkultur. Und Science-Fiction ist immer auch in die Zukunft projizierte Mythenbildung. Das Genre lebt davon, dass das Geschehen mit Details aus unserer alltäglichen Erfahrungswelt und aus den großen Geschichten der Vergangenheit unterfüttert ist.
Kombination aus Science-Fiction und Zombie-Roman
Colson Whitehead, eine der gewichtigen Stimmen der zeitgenössischen amerikanischen Literatur, hat mit "Zone One" eine Kombination aus Science-Fiction und Zombie-Roman vorgelegt. In popkultureller Manier zitiert er alle gängigen Katastrophenszenarien, die uns gemeinhin beunruhigen: draufgängerische Einsatzkommandos, wie wir sie von Afghanistan-Bildern kennen; der atomare Fall Out, gegen den ein Poncho schützen soll; die Ansteckungsangst der ersten Aids-Jahre; Nine Eleven natürlich; aber auch das Erstarren im plötzlichen Tod im alten Pompeji ("Eine Frau im Bademantel löffelte Kaffee in eine schwedische Maschine und war an Ort und Stelle erstarrt"). Hinzu kommt der populäre Mythos von den Zombies, die den Überlebenden das Leben schwer machen.
Colson Whitehead besucht den Bücherfrühling auf der Leipziger Buchmesse
Colson Whitehead besucht den Bücherfrühling auf der Leipziger Buchmesse© Deutschlandradio - Bettina Straub
All das speist sich bei Whitehead aus dem Science-Fiction-Kick: der mythischen Überhöhung des Alltäglich-Banalen. Liebe, Freundschaft, Schmerz, Hoffnung, Krankheit, Hunger, Trauer, Sex – das ist es, was den Menschen umtreibt, und zwar vor, während und nach der Katastrophe. Die Zukunft wird glaubhaft, weil sie sich aus ganz banalen Handlungen zusammensetzt: das Exekutieren von Zombies, das Verpacken in Leichensäcken und die logistische Frage der Entsorgung (nicht aus dem Fenster werfen, die Säcke platzen!).
Keine eigentliche Handlung
Erzählt wird das in einer kunstvoll komplexen Sprache. Und da wird Whiteheads Begabung und Stärke, das Fundament des literarischen Ranges auch dieses Romans, bisweilen zu seinem Handicap: Die artistisch gedrechselte Wortkunst wirkt tönern, überzüchtet, wenn sie zu weit weg ist von dem, was gerade gedacht oder beschrieben wird - eine Handlung im eigentlichen Sinne gibt es kaum, eher einen breiten Bewusstseinsstrom aus Gedanken, Digressionen und Rückblenden. Wo aber, und das gilt für weite Strecken des Textes, das Gewebe aus Mythos, Trash und Alltäglichkeit mit den starken Bildern der Whiteheadschen Hochsprache ein stimmiges Ganzes bilden, ist das Experiment einer hochliterarischen Zombie Science Fiction ganz schön beeindruckend.

Colson Whitehead: Zone One
Roman. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl
Carl Hanser Verlag, München 2014
302 Seiten, 19,90 Euro

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