Angriff auf die Superhelden
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Superheldenfilme haben nichts mit Kino zu tun: Seit Regisseur Martin Scorsese Blockbuster-Filme aus dem Comic-Universum des Marvel-Verlags so aburteilte, hagelt es Kritik. Nun hat Scorsese in der „New York Times“ noch mal nachgelegt.
"Ich sehe sie nicht. Ich habe es versucht. Aber das ist kein Kino", sagte der Regisseur Martin Scorsese über Superheldenfilme aus der Marvel-Welt. Das war im Oktober, in einem Interview im Magazin "Empire". Seitdem wird in der Filmwelt darüber diskutiert und gestritten.
Viele haben sich für und gegen Scorsese geäußert: Francis Ford Coppola findet Superheldenfilme "abscheulich", ebenso der Regisseur Ken Loach. Gegenwind gab es dagegen unter anderem von "Thor"-Regisseur Taika Waititi. Er sagte über Superheldenfilme: "Natürlich ist es Kino! Es kommt ja im Kino."
Aber auch von Disney selbst und von Regisseur* James Gunn erntete Scorsese Kritik. Gunn twitterte: "Martin Scorsese ist einer meiner fünf beliebtesten lebenden Filmemacher. Ich war empört, als Leute über seinen Film ‚Die letzte Versuchung Christi‘ urteilten, ohne ihn gesehen zu haben. Ich bin traurig, dass er meine Filme jetzt auf die gleiche Weise beurteilt."
Superheldenfilme ohne Geheimnis und Offenbarungen
Nun hat Scorsese seine Sicht noch einmal in der "New York Times" dargelegt. Ein "absolut brillanter Text", meint unsere Filmkritikerin Susanne Burg: ein Feuerwerk an Argumenten, warum es sich doch lohnt, das Blockbusterwesen noch mal zu hinterfragen. Scorsese kämpfe in ihm dafür, dass auch die Kunst in der Unterhaltung weiterhin eine Zukunft hat.
Zu Beginn des Textes räumt Scorsese ein, seine Kritik an derartigen Filmen habe auch mit seiner Sozialisation und der Zeit, in der er aufgewachsen sei, zu tun:
"Ich weiß, dass ich, wenn ich jünger wäre, wenn ich später aufgewachsen wäre, von diesen Filmen begeistert gewesen wäre und vielleicht sogar selbst einen hätte machen wollen. Aber ich bin zu einer anderen Zeit groß geworden und habe ein Gespür für Filme entwickelt - was sie waren und was sie sein könnten. Und dies ist so weit vom Marvel-Universum entfernt wie die Erde von Alpha Centauri."
Was ihm bei Superheldenfilmen fehle, seien "Offenbarungen, Geheimnisse oder echte emotionale Abgründe", schreibt er weiter. Alles sei bereits absehbar: "Die Filme werden gemacht, um eine Reihe von Anforderungen zu erfüllen, und sie sind als Variationen über eine endliche Anzahl von Themen konzipiert." Zwar gelten sie namentlich als Fortsetzungen. Letztendlich seien sie "im Geiste" alle Remakes.
Filme als perfekte Produkte für den sofortigen Verzehr
In den vergangenen 20 Jahren, habe sich das Filmgeschäft in allen Bereichen geändert, schreibt Scorsese weiter. "Aber die bedrohlichste Veränderung geschah heimlich und im Schutz der Nacht: die allmähliche, aber stetige Eliminierung des Risikos."
Blockbuster seien heutzutage markt- und publikumsgetestet. "Perfekte Produkte, die für den sofortigen Verzehr hergestellt werden." Viele von ihnen würden von Teams talentierter Einzelpersonen gut gemacht. "Dennoch fehlt ihnen etwas Wesentliches für das Kino: die alles vereinigende Vision eines einzelnen Künstlers. Denn natürlich ist der einzelne Künstler der riskanteste Faktor von allen."
Eine "brutale" Entwicklung für junge Filmemacher
Für junge Filmemacher wäre diese Entwicklung "brutal und für die Kunst unwirtlich". Dies erfülle ihn mit "schrecklicher Traurigkeit". Aber auch Scorsese selbst hat mit den veränderten Marktbedingungen zu kämpfen: Sein neuster Film "The Irishman" wird bereits vor der Veröffentlichung von Kritikern gefeiert - als einer der besten und visionärsten Filme, die Scorsese je gemacht hat.
Hollywood hat er trotzdem nicht für das Projekt gewinnen können - stattdessen nur Netflix. Nun wird das Mafia-Epos kurz in einer Handvoll Städte im Kino zu sehen sein. Dann läuft er auf der Streamingplattform.
Disney verkündete dagegen gerade, dass er die Zahl der Marvel-Produktionen erhöhen wolle, von zwei pro Jahr auf drei bis vier.
(lkn)
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