Sebastian Herrmann: "Gefühlte Wahrheit: Wie Emotionen unser Weltbild formen"
Aufbau, Berliin 2019
268 Seiten, 18 Euro
Die Dummheit schlauer Menschen
07:20 Minuten
Was oft gesagt wird, scheint wahr zu sein. Schon in seiner Antrittsrede nutzte Trump die Kunst der Manipulation. Doch wer denkt, Intelligenz schütze vor Trugschlüssen, liegt falsch, zeigt Sebastian Herrmann in seinem klugen und unterhaltsamen Buch.
So ein Wahl-O-Mat ist ein fieses Instrument: Wie ein Skalpell dringt er in eine gut durchdachte Überzeugung ein und zerschneidet sie in ihre Bestandteile – in Wissen und Affekt, in Aufgeschnapptes und Gelesenes, Verstand, Emotion und flatternden Zeitgeist. Und sehr schnell ist der Wähler von den Inhalten der Parteiprogramme bei Wilhelm Wundt und Daniel Kahneman gelandet, bei Donald Trump und bei Stephen Colbert.
Der Late-Night-Talker aus dem amerikanischen Fernsehen nämlich brachte auf den Punkt, was Psychologen in dem Jahrhundert zwischen dem Vordenker Wundt und dem Nobelpreisträger Kahneman erforscht und ausformuliert haben: Worauf wir uns verlassen, um weit reichende Entscheidungen zu fällen, das sind nicht Inhalte oder Argumente. Den meisten Wählern genügen ein entschlossen auftretender Kandidat, ein kurzer Augenblick und gut geschürte Empörung.
Selbstversuch am Wahl-O-Mat
Sebastian Herrmann hat den Selbstversuch am Wahl-O-Maten gewagt und kam zu einem Ergebnis, das ihn in seinem Anspruch auf Schlüssigkeit und Logik der eigenen Überzeugungen doch eher verwirrte: einer Mischung aus FDP und den Linken.
"Aus emotionaler Sicht sträubte sich alles in mir, eine dieser Parteien zu wählen. Egal wie groß die inhaltlichen Überschneidungen sein mögen, da sperrt sich etwas, da will etwas nicht. Ganz offensichtlich spielen bei der Frage nach der zu wählenden Partei rationale Beweggründe eine kleinere Rolle, als einem eigentlich lieb sein sollte – schließlich empfindet man sich selbst als mündigen, halbwegs informierten Bürger."
"Aus emotionaler Sicht sträubte sich alles in mir, eine dieser Parteien zu wählen. Egal wie groß die inhaltlichen Überschneidungen sein mögen, da sperrt sich etwas, da will etwas nicht. Ganz offensichtlich spielen bei der Frage nach der zu wählenden Partei rationale Beweggründe eine kleinere Rolle, als einem eigentlich lieb sein sollte – schließlich empfindet man sich selbst als mündigen, halbwegs informierten Bürger."
Das ist die Ausgangssituation, und das ist die Tonlage, in der sich der Journalist durch die psychologische Fachliteratur arbeitet: locker, ohne falschen Respekt, aber auch ironisch gegen sich selbst. Anders wäre es kaum auszuhalten zwischen all den Vegetariern und streitenden Ehepaaren, den Moralaposteln und Schusswaffengegnern, der FDP und den Linken, die er als Objekte seiner Beobachtungen anführt – und nebenbei: Anders wäre einem im Zweifel eher weniger selbstironischen Leser auch kaum zu vermitteln, wie jämmerlich dünn doch unser aller Draht zur Welt der Tatsachen und ihrer rationalen Verknüpfungen ist.
Trumps manipulative Antrittsrede
Der 20. Januar 2017 zum Beispiel. Amtseinführung des neuen Präsidenten vor dem Kapitol in Washington – und gleich lieferte dieser Donald Trump eine Kostprobe, wie intuitiv und wie skrupellos er die Erkenntnisse der jüngeren Kognitionspsychologie zur Manipulation einsetzt: Es sei die größte Menschenmenge, die sich jemals zu einer solchen Feier an diesem Ort versammelt hätte. Das war natürlich Blödsinn. Jedes Foto von der Vereidigung seines Amtsvorgängers Barack Obama bewies das Gegenteil. Aber wer ein rechter Demagoge ist, den stören Tatsachen nun wirklich zuallerletzt.
"Wenn man es so ausdrücken will, programmierte Trump seine dreiste Behauptung in die neuronalen Schaltkreise seines Publikums. Dass dort dann kurz darauf praktisch ein Warnhinweis daneben gestellt wurde – Achtung, dreiste Lüge! –, wirkt nicht uneingeschränkt. Es kostet ein klitzekleines bisschen kognitiven Aufwand, sich diese Einordnung auch zu vergegenwärtigen."
Was oft gesagt wird, scheint wahr zu sein
Wer auf die Sparsamkeit seiner Mitmenschen im Einsatz ihrer intellektuellen Mittel setzt, der kann weit kommen. Der Mueller-Report etwa. Seine Veröffentlichung ist zu frisch, um in dem Buch erwähnt zu werden. Aber das Muster – der Umgang mit Tatsachen und die zynische Manipulation der Öffentlichkeit, ist dort haarklein beschrieben: eine grob verzerrte Information, ihre wie mit einem Knüppel eingehämmerte Wiederholung, dann mutwillige Verzögerung.
Als vier Wochen später endlich die Details herauskommen und ein völlig neues Bild von Verstrickung und Vertuschung ergeben, ist es zu spät. Die Falschinformation hat sich zur Wahrheit verfestigt. Wer sich dagegen stellt, muss bergauf kämpfen. Schlaue Taktik. Reine Psychologie.
"Der Kontext einer Nachricht und ihr exakter Inhalt verblassen schnell. Zurück bleibt ein diffuses Gefühl, etwas schon einmal gehört oder gelesen zu haben. Fühlt sich eine Aussage aber vertraut an, erzeugt alleine das eine Illusion von Wahrheit – unabhängig von ihrem Inhalt."
Eine gefährliche Ökonomie im Denken
Sebastian Herrmann ist Wissenschaftsjournalist. Es geht in seinem Buch also weniger um die Zumutungen einer Politik, die jede Vernunft und Moral hinter sich gelassen zu haben scheint. Es geht um die Mechanismen, die den krachenden, immer wieder verstörenden Erfolg einer solchen Politik sichern. Und um eine Wissenschaft, die diese Mechanismen erstaunlich klar und detailliert abbilden und analysieren kann.
Der nächste Schritt ist die Übersetzung. Herrmann zitiert und erläutert die Konzepte der kognitiven Psychologie und liefert Beispiele für eine manchmal schrullige, viel häufiger aber gefährliche Ökonomie im Denken. Für das Abkürzen und Verallgemeinern, das Verharren im Vertrauten und das Vertrauen in das, was eben da und verfügbar ist – weil Nachdenken erstens mühsam ist und zweitens alles durcheinander bringen kann.
Warum sonst gehen auch denkende, aufgeklärte Menschen Betrügern auf den Leim? Warum fordern sie, Dichter wie Ovid oder Mark Twain auf den Index zu setzen, oder fürchten sich umso hysterischer vor Fremden, je weniger von ihnen in der Nachbarschaft anzutreffen sind?
Sehr wahr und amüsant zu lesen
Der Autor aber kennt sich in der Psychologie aus. Die Fleißarbeit hat er seinen Lesern abgenommen. Was bleibt, ist amüsant zu lesen – und darüber hinaus sehr wahr:
"Auf der Suche nach Gegenargumenten hilft ein hoher Intellekt offenbar nicht. Menschen mit hoch entwickeltem analytischem Denken können dieses offenbar vor allem dazu einsetzen, wenn sie Bestätigung für ihre Ansichten suchen. Oder anders gesagt: Schlaue Menschen sind besonders gut darin, ihre irrationalen Überzeugungen anderen und sich selbst gegenüber zu verteidigen."
Es hilft alles nichts: Wer sich nicht zum Opfer fremder Pläne machen lassen will, muss selber nachdenken. Die Gefahren sind bekannt.