Modetrend

Secondhand fürs gute Gewissen

Ein Mann, der bunte Kleidung aus den 1980er bis 1990er Jahren trägt, steckt ein altes Mobiltelefon in seine Gürteltasche, das den neuesten Stand von Stil und Technologie für diese Zeit repräsentiert.
Leon Igel meint: Vintage-Fans stellen ihr nachhaltiges Konsumverhalten offensiv zur Schau. Wer sich in uralte Kleider hüllt, räumt jeden Zweifel beiseite, dass die Klamotte neu gekauft sein könnte. © Getty Images / RyanJLane
Ein Standpunkt von Leon Igel · 14.06.2022
Klamotten kaufen macht Laune, aber auch ein schlechtes Gewissen: Denn die Modeindustrie verursacht jede Menge CO2. Dass deshalb gebrauchte Vintage-Mode bei jungen Menschen angesagt ist, findet der Student Leon Igel allerdings nicht überzeugend.
Auch Weltveränderer haben es nicht leicht. Ganz besonders, wenn sie das kritisierte System eigentlich angenehm finden, aber leider über dessen Schattenseiten wissen. Sie plagt das schlechte Gewissen und darum handeln sie.
Das Ergebnis ist oft ein halb garer Kompromiss. Was als subversiv erdacht wird, verkommt zur moralisch fleißig aufgeladenen Selbstbestätigung. Das lässt sich aktuell bei der sogenannten Vintage-Mode beobachten.

Marktanteil von gebrauchter Mode steigt

Das Geschäft mit gebrauchten Kleidern läuft. Laut einer Umfrage des Secondhand-Anbieters Momox kaufen zwei Drittel aller Deutschen inzwischen gebrauchte Mode. Tendenz steigend. Die Unternehmensberatung KPMG schätzt, dass Secondhand bis 2030 einen Marktanteil von 20 Prozent im Fashion-Handel ausmachen könnte.

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Das Versprechen von Secondhand ist strahlend: Du kannst so viel kaufen, wie du willst, ohne der Umwelt zu schaden! Shoppen ohne schlechtes Gewissen? Ja, hallo! Da leuchten die Augen der Menschen im Kapitalismus. Kaufen ist Lifestyle, im Konsumrausch, erzählt sich der moderne Mensch. Insbesondere für junge Leute in der Großstadt gehört es heute dazu, sich möglichst nachhaltig zu inszenieren.
Und hier kommt die Vintage-Mode ins Spiel, denn sie ist ganz anders als die aktuelle Mode. Andere Farben und Schnitte, mindestens 20 Jahre alt. Diese Kleidungsstücke sind besonders nachhaltig, sagen die Vintage-Fans. Dagegen lässt sich wenig einwenden, es entlarvt aber die Mechanismen dieses Trends.

Altkleider für die Selbstinszenierung

Vintage-Fans stellen ihr nachhaltiges Konsumverhalten offensiv zur Schau. Wer sich in uralte Kleider hüllt, räumt jeden Zweifel beiseite, dass die Klamotte neu gekauft sein könnte. Vintage erscheint so als primär moralischer Trend. Die Ästhetik wird zum Nebenprodukt.
Klar, Vintage ist schrill und bunt, aber eben nur, damit sie andere auf jeden Fall auch als alt und nachhaltig erkennen. Diese Ästhetik des Alten als das moralisch Gute produziert derweil so einige Stilblüten. Bei den Vintage-Fans ist ein Wettrennen um die geilsten Altkleider ausgebrochen.
So hängt im Vintage-Laden das Torero-Rüschen-Hemd neben dem Blümchen-Schneeanzug aus den 70ern und der Ostfriesennerz konkurriert mit der Windjacke vom „Neuenkirchener Sport-Club“. Nun braucht es schon einige Chuzpe, sich der Inszenierung als Ökoapostel wegen stolz mit der fremden Vereinsjacke zu kleiden. Aber noch deutlicher macht die Jacke das Geschäft, das hinter dem Vintage-Hype steht.
Über Altkleider-Container gelangen Großhändler an die Ware. Früher ging ein Großteil davon nach Afrika oder auf den Müll, heutzutage wird sie an Vintage-Händler verkauft. Und so wartet am Ende die norddeutsche Fußballjacke darauf, in Mannheim für 35 Euro gekauft zu werden. So kann der junge Städter mit dem Teil aus der Mottenkiste so richtig auffallen und sich daran ergötzen, wie nachhaltig er doch lebt.

Auch Vintage-Fans frönen dem Konsum

Solange sie und er nicht dauernd neue Vintage-Kleider für ihre Selbstinszenierung kaufen, macht der Griff in den Container sogar Sinn. Aber man muss es betonen: Vintage funktioniert nicht anders als der Fashion-Markt. Die wachsende Nachfrage lässt die Preise steigen und ein Trend jagt den nächsten. Das Motto ist klar: Kaufe dich glücklich und dafür knalle bitte die Schränke voll!
Vintage hat sich des utopischen Potenzials von Secondhand entledigt. Es geht hier nicht um günstige Preise, soziale Verträglichkeit oder um die Idee, sich frei von gesellschaftlichen Trends einzukleiden. Der Vintage-Laden frönt dem Konsum und überführt den Fashion-Handel in den Öko-Kapitalismus. So subversiv, wie die Menschen im durchgestylten Altkleider-Outfit gerne denken, ist das nicht.

Leon Igel, Jahrgang 1995, stammt aus einem Dorf bei Fulda. Er studiert Germanistik und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und schreibt neben dem Studium als freiberuflicher Journalist, unter anderem für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.

Porträtaufnahme von Leon Igel
© Anna Logue
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