Fröhliche Musik trotz harter Zeiten
Pessach beginnt mit dem Seder-Abend. Bei dem feiern jüdische Familien die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei vor rund 3300 Jahren. Zur Lesung aus der Pessach-Haggada gibt es Wein, ein rituelles Mahl – und klassische Lieder, wie die von Paul Dessau. Ein Blick auf den Seder-Plattenteller.
Den Seder-Abend nicht zu feiern, ist, als wolle man sich vom Judentum ausschließen – so heißt es. Es erstaunt also nicht, dass Pessach von nahezu allen Juden dieser Welt gefeiert wird. Das siebentägige Fest beginnt mit dem Seder-Abend, an dem Juden des Auszugs aus Ägypten vor rund 3300 Jahren gedenken. An diesem Abend sollen sich Juden so fühlen, als seien sie es selbst, die sich vom ägyptischen Joch befreien. Und da die Juden seinerzeit auf der Flucht aus Mizrajim nur ungesäuertes Brot, also Mazze, zu essen hatten, ist das auch heute noch so: Chamez, also Gesäuertes, ist an den sieben Pessach-Tagen verboten.
Sprecher: „Erwäge diesen Tag, da ihr gingt aus Mizrajim, aus der Sklavenheimat, dass mit Allmachtsgewalt Haschem Euch führte von hier – darum soll nicht Choméz gegessen werden. Mazzáus nur soll man essen die sieben Tage und nicht Dir gesehen werden Gesäuertes und nicht Dir gesehen werden Sauerteig in all Deinem Besitzkreise. Und Du erzählst dann Deinem Sohne an jenem Tage und sprichst: deshalb geschieht’s! Haschem wirkte für mich, als ich auszog aus Mizrajim.“
Der Ablauf des Seder-Abends ist nicht festgeschrieben
So schreibt Rabbiner Samson Raphael Hirsch in seiner „Haggada für Pessach“. Bei ihm finden wir auch die Reihenfolge der religiösen Handlungen, die zum Seder gehören. Und natürlich auch die Details, wie der Seder-Teller zu bestücken ist.
Sprecher: „Die zum Seder notwendigen Gegenstände werden so geordnet, dass sie dem Hausherren bequem zur Hand sind. Zunächst also Petersilie oder Sellerie oder sonst eine Erdfrucht, die nicht zur Maror geeignet ist, daneben ein Gefäß mit Salzwasser oder Essig. Dann Maror wie Lattich oder Meerrettich oder Charosset. Zuletzt das gebratene Ei und die Sero’a.“
Begriffe wie Sero’á, Marór oder Charósset werden den wenigsten Nichtjuden geläufig sein. Maror zum Beispiel ist ein Bitterkraut, also zumeist Meerrettich oder ein anderes bitteres Gemüse, das die Bitterkeit der Sklaverei symbolisiert. Charosset dagegen ist eine süße Mischung aus Apfel-, Feigen- oder Dattelstücken sowie Nüssen oder Mandeln, die mit Rotwein zerknetet und mit Zimt und Ingwer bestreut wird. Diese Masse symbolisiert den Lehm, aus dem die Juden in Sklavenarbeit Ziegelsteine herstellen mussten. Doch während diese festen Zutaten zu jeder Seder dazugehören, so ist der Ablauf des Abends nicht einheitlich festgeschrieben. Das zumindest meint Max Doehlemann, der vor kurzem einen egalitären Minjan in Berlin gegründet hat.
„Ich würde es jetzt nicht so verbissen sehen, dass man um jeden Preis den kompletten Text durcharbeiten muss. Es ist natürlich gut, wenn man ihn kennt und ihn einmal durchgearbeitet hat und ungefähr weiß, um was es geht, aber ansonsten ist es auch einfach schön, wenn man sich mit den Freunden und Gästen unterhalten kann und nicht einfach nur die Haggada durcharbeitet.“
Pessach-Lieder entstanden selbst in Kurdistan
Begleitet wird die Speisefolge von vier Gläsern Wein, Gebeten und Segenssprüchen. Allmählich geht die Schilderung der schmachvollen Vergangenheit über in das Lob des Allmächtigen für die erwiesenen Wohltaten. So steht es auch in der Hirsch-Haggada:
Sprecher: „Darum sind wir verpflichtet zu danken und Gott zu lieben, zu rühmen, zu preisen, zu erheben, zu verherrlichen, zu benedeien, zu erhöhen und höchste Verehrung zu erweisen, dem, der unsern Vätern, und uns alle diese Wunder getan. Er hat uns herausgeführt aus der Knechtschaft zur Freiheit, aus Betrübnis zur Freude, aus der Trauer zum Festtag, aus Finsternis zu lichter Helle, aus Sklaverei zur Erlösung! Ihm lasset uns ein Hallelujah singen!“
Dieses „Hallelujah singen“ haben viele Musiker ganz wörtlich genommen und die Lieder der Pessach-Haggada auf ihre Weise interpretiert. Und weil Juden in vielen Teilen dieser Erde nicht nur gewohnt, sondern auch musiziert haben, so kann es keinesfalls erstaunen, dass es selbst in Kurdistan Pessach-Lieder gegeben hat. Das weiß auch Max Doehlemann, der sich auch als Jazz-Pianist einen Namen gemacht hat:
„Da gibt es ja auch ganz unterschiedliche Arten, das zu zelebrieren, diese Haggada. Wobei manche Melodien überregional gesungen werden, zum Beispiel dieses „Kadesh Urchatz“, dieses .....(Doehlemann singt die ersten drei Verse) wobei ich es auch gerade mit so einem kurdisch-jüdischen Menschen aufgenommen habe. Die singen das zum Beispiel genauso. Die intonieren das zwar ein bisschen orientalisch, aber die Melodie ist gleich.“
Dieser „kurdisch-jüdische Mensch“ ist ein Kantor, der nach Israel ausgewandert ist. Er heißt Yaniv Ovadia und begleitet seinen Gesang auf einer türkischen Laute mit dem Namen Baglama. Ovadia spielt auch beim Jazz Piyyut Project von Max Doehlemann mit, der die selbe Melodie auch im Jazztrio spielt – allerdings in einer anderen Tonart.
Kritisches Lied von Chava Alberstein vom Rundfunk boykottiert
Der Seder-Abend wurde schon von vielen Musikern in Noten gesetzt. Am weitesten ist vermutlich der kanadische Hip-Hopper DJ Socalled mit seiner „Socalled Seder“ gegangen. Anhand von 12 Songs kann man den gesamten Abend nachvollziehen. Dazu zählt auch „Yahu“, eine Interpretation des Pessach-Songs „Eliayahu Hanavi“, dessen Titel auch auf den Sänger Matisyahu verweist.
Auf der „Socalled Seder“ darf natürlich – wie bei jeder Seder – auch der Song „Chad Gadja“ nicht fehlen, der den Abend beendet. Dieses „kleine Lämmchen“, das für ein paar Münzen auf dem Markt gekauft wird, steht für die Hoffnung des jüdischen Volkes auf Erlösung.
Eine ganz andere, eher klassische Pessach-Vertonung stammt hingegen von Paul Dessau. Sie heißt „Haggadah shel Pessach“. Der jüdische Komponist hat sie 1934 im Pariser Exil nach einem Libretto von Max Brod komponiert.
„Chad Gadja“ oder auch „Kleines Lamm“ haben schon viele gesungen. Ein Treppenwitz der Musikgeschichte ist allerdings, dass auch Angelo Branduardi dieses Pessach-Lied interpretiert hat – wenngleich bei dem italienischen Barden aus dem Lämmchen ein Mäuschen wurde (*). Doch während Branduardi mit „Alla fiera dell’est“ einen Welterfolg feierte, hatte die israelische Sängerin Chava Alberstein nicht den erhofften Erfolg. Ihr „Chad Gadja“ wurde nämlich vom israelischen Rundfunk boykottiert: Zu kritisch in Zeiten der Zweiten Intifada!
Chava Albersteins Version ist – wie man heutzutage so schön sagt – „voll Achtziger“. Damit gemeint sind nicht nur dieser unüberhörbare Disco-Sound und die penetranten Elektro-Drums, sondern vor allem dieser asynchron hüpfende Takt – woran übrigens nicht das verstaubte Vinyl schuld ist. Dennoch zählt Chava Alberstein zu den größten Songwriterinnen Israels – vielleicht gerade wegen ihrer unangepassten Haltung. Den heutigen Seder-Abend wird sie sich – wie die meisten Juden – jedenfalls nicht entgehen lassen.