"SEE history 2005. Der private Blick"

Von Volkhard App |
Es war die Stunde der Sammler und Stifter. In großem Tross zog diese umworbene Spezies zur Eröffnung durch die Kunsthalle, um das Resultat der eigenen Kuratorenarbeit zu begutachten, wie die aus dem Kieler Bestand gewählten Werke mit den eigenen Preziosen korrespondieren. Es mangelt nicht an Überraschungen: An einer Wand hängen ältere Porträts in dichter Folge, darunter Franz von Lenbachs Bismarck-Konterfei. Von der gegenüberliegenden Wand aber antwortet ein freches Bildergemenge Martin Kippenbergers - mit einem schweinsähnlichen Mao, einem jugendfrohen Peter Maffay, mit Konsalik, Harald Juhnke und Helmut Schmidt. "Bekannt durch Film, Funk, Fernsehen und Polizeinotrufsäulen", so heißt diese heftige Acrylserie von 1981.
In einem anderen Raum dagegen liegt hinter einem Paravent eine lebensechte Puppe in einem Krankenbett: die Hände sind verbunden, der Wachskopf zeigt eine entrückte Mimik. Worauf aber schaut dieser Patient? In Kiel blickt er erstmals auf ein großes Landschaftsgemälde von Gerhard Richter mit dem Titel "Abendstimmung". Der Wuppertaler Sammler Christian Boros hat diesen Dialog gestiftet und fällt im Übrigen dadurch auf, dass er die eigene Motivation mit dem lapidaren Satz umschreibt: "Ich kaufe Kunst, die ich nicht verstehe."

F.C. Gundlach, der Gründungsdirektor des Hamburger Hauses der Photographie, konfrontiert zwei Fotoserien: exzessive Bildsprache bei seiner eigenen, stillebenhafte Beschaulichkeit bei der zu Kiel gehörenden Fotofolge. Gundlachs Eindruck von der Inszenierung in der Kunsthalle:

"Ein großer Reiz. Ich betreue ja oft fünf oder sechs Ausstellungen desselben Künstlers in verschiedenen Teilen der Welt. Durch das ganz andere Ambiente wird aus demselben Fundus immer wieder eine völlig neue Schau. Das ist hier genauso."

Paul Maenz, der sich mit seiner Sammlung aus Weimar zurückzieht, hat Saalwände mit lieblichen Landschaftsansichten des 19. Jahrhunderts ausstaffiert. Weil auf diesen Gemälden aus dem Kieler Bestand aber nur wenige Menschen zu sehen sind, beauftragte Maenz den Berliner Künstler Markus Sixay mit der Schaffung einer großen Figur, die nun mitten in diesem Raum steht.

Es ist eine Ritterrüstung, die durch einen eingebauten Bandgenerator hörbar aktiv ist. Maenz:

"Erst war ich von der Idee ganz befremdet, denn woher kriegt man eine Ritterrüstung? Die kriegt man über e-bay, wie sich zeigte, aus der Konkursmasse eines Leipziger Ritterlokals. Es hat in diesem Raum jetzt alles eine Stimmigkeit, die mich selber überrascht. Was so burlesk begann, hat nun atmosphärische Dichte. Ich war immer der Ansicht, dass sich alte Kunst nur aus der Gegenwart betrachten lässt, von heute aus."

Das Schild freilich, Träger von Herzschrittmachern möchten sich dieser Rüstung fernhalten, übertrifft die Originalität des Objektes noch.
Nicht immer sind die Arrangements spektakulär - eher still wirkt ein Raum mit Zeichnungen Carl Spitzwegs und Adolph Menzels, und eher konventionell wird eine schöne Sammlung ex- und impressionistischer Bilder präsentiert von Emil Nolde bis zu Max Liebermann. Im Ganzen aber ist viel Bewegung in der Ausstellung, darum geht es ja auch - das Statische der eigenen Sammlung aufzulösen, die Sehgewohnheiten zu erschüttern. Dirk Luckow, seit drei Jahren Direktor der Kieler Kunsthalle:

"Mich hat die Aktualisierung des Museums interessiert. Ich wollte aufzeigen, dass es nicht nur einen Zugang zur Kunst gibt, sondern viele Blickwinkel. Die Vorgaben bestanden nur in der Einladung, mit unserer in 150 Jahren gewachsenen Sammlung zu arbeiten. Wer wollte, konnte eigene Werke hinzufügen."

Immer wieder hat die Werkauswahl programmatischen Zuschnitt - so will Sammler Ivo Wessel der konstruktivistischen Malerei mehr Aufmerksamkeit verschaffen:

"Es mein Statement zu dieser Malerei, die jetzt fast schon 100 Jahre überdauert hat. Und diese Zeit will ich in Kontrast setzen zum Beispiel zur Leipziger Schule, die meiner Meinung nach kein Jahrzehnt überdauern wird."

Die kunstsinnigen Sammler und Stifter genießen offensichtlich ihren Extraauftritt als Kuratoren - der Sammler, das zur Zeit wichtigste Subjekt der Kunstszene? Paul Maenz:

"Wir wissen ja alle, dass die öffentliche Hand krankt und das private Sammeln erheblich zugenommen hat, quantitativ und qualitativ, so dass der Zusammenschluss von Museen und privaten Sammlern nahe liegend ist. Zumal viele der internationalen und gerade auch deutschen Künstler ihre besten Werke in Privatsammlungen haben. So kann sie jedermann sehen."

... wie jetzt in der Kunsthalle. Wer sich zu vielen Exponaten gegenüberglaubt, kann ja im Saal des Sammlers Harald Falckenberg zum "Hilfeglöckchen" Werner Büttners greifen und damit kräftig bimmeln - es ist dort neben Goyas radiertem Kriegsgemetzel und weiteren schrillen Arbeiten Büttners postiert. Dass bei dieser Werkfülle ein Verzeichnis der Arbeiten und Künstler noch nicht vorliegt, ist allerdings ein Unding. Aber Modellcharakter könnte diese Kieler Art, Leben in die musealen Räume zu bringen, durchaus haben.