Klima-, Küsten- und Artenschutz

Der vielseitige Nutzen von Seegraswiesen

06:54 Minuten
Seegras und eine sehr gut getarnte Schlangennadel auf dem Meeresboden.
Seegraswiesen sind auch Hotspots der Biodiversität und leisten einen Beitrag zum Küstenschutz. © picture alliance / WILDLIFE / W. Fiedler
Von Tomma Schröder |
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Gesunde Ökosysteme sind wichtige CO2-Senken. Das gilt auch für die Seegraswiesen in der Ostsee, die allerdings stark unter den steigenden Wassertemperaturen leiden. Forschende aus Kiel arbeiten an einer Lösung.
Es ist der Tag, für den der Orkan Zeynep in Norddeutschland angekündigt ist. Doch während draußen schon Wind und Regen über die graue Kieler Förde peitschen, ist es im Keller des Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung angenehm hell und ruhig.
100-Watt-LEDs hängen hier über sechs kleinen Becken, in denen Wasser munter vor sich hin gluckert und lange, dünne Halme von einer sanften Welle immer hin- und hergeschaukelt werden.
Der Geomar-Biologe Thorsten Reusch zieht eine weiße, flache Plastikbox aus dem Becken hoch. Sie ist mit Sediment vom Ostseeboden gefüllt und mit vielen grünen Seegrasbüscheln bewachsen.
Aber da ist auch noch deutlich mehr. „Dann sind diese Boxen mittlerweile ein ganz kleines Ökosystem geworden“, erzählt er. „Hier haben sich Wattwürmer angesiedelt, die diese wilden Haufen hier bilden. Man sieht hier ganz viele kleine Krebschen rumhuschen und Schnecken sitzen da drauf. Also, genau, wie es sein soll.“

Hotspots der Biodiversität

Seegraswiesen sind wahre Hotspots der Biodiversität – im Labor genauso wie in Nord- und Ostsee. Der Hering etwa klebt mit Vorliebe seine Eier an die Blätter und auch viele andere Fische laichen hier. Doch Zahl und Ausmaß dieser Unterwasseroasen und Fischkindergärten sind in der Vergangenheit stark zurückgegangen.

Historisch gesehen waren sie sehr viel weiter verbreitet. Da haben wir leider aus den deutschen Küstengebieten der Ostsee keine guten Daten, aber aus dem angrenzenden Dänemark. Die Dänen wissen, dass sie etwa zwei Drittel ihrer Wiesen verloren haben seit Beginn der Industrialisierung und der intensiven Landwirtschaft.

Thorsten Reusch

Für die deutschen Meeresgebiete geht Thorsten Reusch von einem ähnlichen Ausmaß aus. Grund für den Rückgang sind vor allem die Nährstoffeinträge vom Land. Hinzu kommt der Klimawandel. Bei einer Wassertemperatur von über 25 Grad kann das Seegras nur schwer überleben.

Etwa zwei Drittel der Seegraswiesen verschwunden

Dabei könnten ausgedehnte Seegraswiesen – zumindest in unseren gemäßigten Breiten – auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
„Sie sammeln CO2 im Wurzelwerk und im Sediment an, etwa analog zu den Hochmooren: Einfach durch die eigene Biomasse“, erklärt er. „Und dann zusätzlich noch, weil da organische Partikel absinken, die sich dann auch noch in dieser abgestorbenen Wurzelmasse sammeln. Das Potenzial ist so etwa 10 bis 20 Kilogramm CO2 gebunden auf dem Quadratmeter.“
Das ist zwar weniger als beim Moor, aber deutlich mehr, als etwa ein Quadratmeter Wald speichern würde.

Seegraswiesen besiedeln in der deutschen Ostsee eine Fläche von 285 Quadratkilometer und können dort 29 bis 56 Kilotonnen CO2 pro Jahr festsetzen. Derzeit sind 3 bis 12 Megatonnen organischer Kohlenstoff in Sedimenten mit einer Tiefe von 25 bis 100 Zentimetern gespeichert. Das entspricht 11,5 bis 46 Megatonnen CO2.

Und es bleiben noch viele weitere Leistungen des Seegrases.

Beitrag zum Küstenschutz

Neben der hohen Biodiversität ist das auch der Küstenschutz. Gerade im Hinblick auf steigende Meeresspiegel oder auf Stürme wie den gerade aufziehenden Orkan Zeynep, können Seegraswiesen wichtig sein.

Das Seegras fängt zum einen durch das Blätterdach die Wellenenergie ab. So ein bisschen in der Jiu-Jitsu-Taktik können sie wirklich als biologische Lösung die Wellen über eine längere Strecke ziemlich weit beruhigen. Und natürlich halten auch die Rhizome, also diese Ausläufer, zusammen mit den Wurzeln das Sediment fest gegen Erosion durch Wellen.

Thorsten Reusch

Küstenschutz, Klimaschutz, Schutz der Artenvielfalt – für intakte Meere und Küsten sind Seegraswiesen essenziell. Weil sich die Wasserqualität in den letzten Jahrzehnten durchaus wieder verbessert hat, versuchen Reusch und sein Team daher Seegraswiesen wieder neu anzupflanzen.
„Die einfachste Technik ist es, mit Tauchern tatsächlich Stecklinge zu setzen. Im Großen und Ganzen hat sich das im Oktober, als wir das letzte Mal dort waren, sehr gut dargestellt“, erzählt er. „Die haben sich enorm multipliziert – in der Kieler Förde ungefähr verzehnfacht und in der Außenschlei ungefähr vervierfacht.“

Erwärmung des Meeres gefährdet Neuansiedlung

Immerhin 2000 Quadratmeter Seegraswiese konnten die Forscher auf diese Weise schaffen. Und das soll erst der Anfang sein. Ob die Wiederansiedlung der Unterwasseroasen aber auch auf längere Sicht gelingt, könnte auch von den zukünftigen Wassertemperaturen abhängen und davon, wie gut sich Seegras an steigende Temperaturen anpassen kann.
In seinen Tanks im Geomar-Labor hat Thorsten Reusch hier bereits Zukunftsszenarien simuliert. „Im Sommer haben wir immer der Hälfte der Pflanzen eine richtig gemeine, 26 Grad heiße Hitzewelle für drei Wochen gegeben. Und die Fragestellung war: Können sie sich daran anpassen? Im letzten Jahr 2021 haben wir dann allen Pflanzen die Hitzewelle gegeben.“
Die Hoffnung der Biologen war, dass die Pflanzen, die schon vorher eine Hitzewelle durchgemacht hatten, beim zweiten Mal bereits etwas besser damit zurechtkommen.
„Leider sieht das nicht so aus. Sie haben alle weiterhin gleichermaßen gelitten, mit weniger Wachstum, weniger Fotosynthese und einer gewissen Mortalität, also Sterblichkeit von etwa einem Viertel der Sprossen“, erzählt er.

Hilft die Migration resistenterer Genotypen?

Anders sieht das bei Verwandten des Seegrases aus der Adria aus.

Die können locker 28 bis 30 Grad wegstecken. Wir haben da die sehr interessante Situation, dass wir Ökotypen der gleichen Art haben, die schon vorangepasst sind an die Temperaturen, die wir hier in zehn, 20, 30 Jahren in der Ostsee annehmen zu haben, in sommerlichen Hitzewellen.

Das ist also eigentlich eine ideale Voraussetzung, um etwas auszuprobieren, was in der biologischen Forschung gerade ‚assisted migration‘ genannt wird, also gezielt bestimmte, lokal angepasste Genotypen sich reinzuholen, die unter den antizipierten Klimaänderungen noch gut wachsen.

Thorsten Reusch

Das ist aber bisher noch Zukunftsmusik. Zum einen sind die rechtlichen Hürden für solche Eingriffe ins Ökosystem sehr hoch. Zum anderen sind, zumindest in diesen Tagen, Hitzewellen nicht das größte Problem der Seegras-Forscher.
„Wir haben ein bisschen Angst, dass der jetzt aufziehende Sturm uns das alles kaputtschlägt“, sagt Thorsten Reusch. „Wenn wir Niedrigwasser in Kombination mit diesem starken Südwestorkan kriegen, dann kann es sein, dass alles in dieser Nacht zerstört wird. Also Daumendrücken.“

Wird "Marine Gardening" ein neuer Trend?

Im schlimmsten Fall hätte der Sturm das noch junge Seegras in flachen Gebieten wieder herausreißen und die mühsame Arbeit der Taucher zunichtemachen können. Doch das Daumendrücken habe geholfen, schreibt Thorsten Reusch einige Tage später erleichtert.
Sobald es die Temperaturen zulassen, wird er mit seinem Team wieder ausfahren und weitere Pflanzen ansiedeln. In Zukunft will die Helmholtz-Klima-Initiative auch Bürger zur Zusammenarbeit aufrufen.
Wer tauchen kann, soll eingeladen werden, unter Wasser mitzugärtnern. Nach Urban Gardening könnte Marine Gardening dann ein ganz neuer Trend werden.

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