Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Zuletzt erschien sein Buch "Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung" im Hanser Verlag.
Die Strategien der Pseudoskeptiker
Zweifel säen, um zu verunsichern und zu diffamieren - so arbeiten Pseudo-Skeptiker. Zu denen gehören Bernhard Pörksen zufolge nicht nur obskure Verschwörungstheoretiker, sondern auch Politiker wie Seehofer und Trump.
Eigentlich ist der Zweifel des Skeptikers etwas Wunderbares. Denn er zweifelt, um die Welt besser zu verstehen, die Verhältnisse genauer zu ergründen. Der Pseudoskeptiker hingegen zweifelt, um Gegner zu diffamieren, die Gesellschaft zu verunsichern und Ansichten abzuwehren, die ihm missfallen. Vielleicht wird 2018 – im Rückblick betrachtet – einmal das Jahr der Pseudoskepsis genannt werden, das Jahr der entfesselten Zweifler in der deutschen Politik. Da tobt ein Innenminister über Monate hinweg mit immer neuen Attacken auf die Bundeskanzlerin durch die Öffentlichkeit. Und als er von Journalisten nach seinem so offenkundig zerrütteten Verhältnis zu Angela Merkel befragt wird, behauptet er: Es gebe "immer mehr Falschmeldungen." Und weiter: "Wir müssen nicht nach Russland schauen. Die meisten Fake News werden in Deutschland produziert, von Medien wie von Politikern."
Der Fall Maaßen
Ein paar Monate später löst dann der Verfassungsschutzpräsident eine Regierungskrise aus, weil er die Echtheit eines Videos anzweifelt, das zeigt, wie Migranten in Chemnitz gejagt werden. Er äußert – ohne Belege, ohne Prüfung – die Vermutung, das Video sei womöglich eine gezielte Falschinformation. Und eben dieser Verfassungsschutzpräsident behauptet schließlich im Oktober, rechtsextreme Hetzjagden in Chemnitz seien von Medien und Politikern erfunden worden. Auch er, Hans-Georg Maaßen sein Name, zeigt sich als Prototyp des Pseudoskeptikers, der mit großer Geste und dem pauschalen Verdacht einfach nur diskreditieren will.
Der wahren Skepsis geht es ums Detail
Der wirkliche Skeptiker hingegen ist detailversessen, präzise, demütig, weil er weiß, dass alle falsch liegen könnten, auch er selbst. Der Pseudoskeptiker hingegen kennt die Wahrheit, er muss sie eben deshalb gar nicht genauer untersuchen. Und er arbeitet hart daran, das Manipulationsgeraune zur Waffe im Glaubenskampf umzuschmieden, frei nach dem Motto: Wenn niemand mehr so genau weiß, was stimmt und das Gefühl der Desinformation beherrschend geworden ist, dann wirkt die eigene Meinung als scheinbar gleichberechtigter Debattenbeitrag.
Trump und Fake News
Spätestens an dieser Stelle muss man sich für einen Moment von den Niederungen deutscher Politik lösen und einmal kurz den amerikanischen Präsidenten erwähnen. Noch bevor er in die Politik wechselte und jede missliebige Realität als Fake News etikettierte, noch bevor er Präsident wurde, um als Amtsinhaber – so die "Washington Post" in einer kürzlich veröffentlichten Statistik – durchschnittlich 8,3 Mal pro Tag die Unwahrheit zu sagen, saß er eines Tages in einem Studio von CNN. Das war 2012. Barack Obama sei nicht auf Hawaii, sondern in Kenia geboren, so seine Behauptung. Der Moderator ließ darauf hin einen Zeitungsausschnitt einblenden: Obamas Geburtsanzeige in einer hawaiianischen Lokalzeitung – eigentlich eine lupenreine Widerlegung. Trumps Reaktion: "Sie haben Ihre Meinung, das ist wunderschön, ich habe meine Meinung, das ist auch wunderschön."
Was sich hier in einer einzigen Mini-Szene zeigt, ist der Triumph der Pseudoskepsis – der diffamierende Totalzweifel bei gleichzeitiger Umdeutung von Gegenbeweisen zur bloßen Meinung. Alles ist Interpretation, so die Devise. Und es gibt keinen Punkt, von dem aus sich die Wahrheitsfrage noch irgendwie entscheiden ließe.
Wir brauchen eine präzise Debatte
Was kann man da tun? Es wäre falsch, in das Vokabular der Resignation zu verfallen und von einem postfaktischen Zeitalter zu sprechen, denn dann bleibt nur noch die Flucht in den Fatalismus, die apokalyptische Rede vom Ende von Rationalität und Wahrheit. Auf die Bereitschaft zum Streit und zur präzisen Debatte über Methoden und Maßstäbe käme es hingegen an. Und zu einem umfassenden Bild gehört auch: Hans-Georg Maaßen musste in diesen Tagen sein Amt aufgeben. Pseudoskepsis ist, zumindest hierzulande, politisch kein Erfolgs- und Karriererezept. Das ist die gute Nachricht in einem allmählich zu Ende gehenden Jahr.