"Stöpsel auf die Flasche kriegen"
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer attackiert die Kanzlerin, sein Kollege aus Sachsen sieht die Grenze der Aufnahmefähigkeit erreicht - die Debatte um die Flüchtlinge wird schärfer.
Bundeskanzlerin Angela Merkel will nach Deutschland geflüchteten Frauen Mut machen. Viele hätten Schreckliches erlebt und seien traumatisiert, sagte Merkel in ihrer wöchentlichen Videobotschaft:
"Neben dem, dass wir natürlich versuchen, Möglichkeiten zu geben, die Traumatisierungen zu überwinden, kann ich den Frauen nur raten: Sprache lernen. Wer Deutsch kann, kann sich in unserer Gesellschaft viel besser einbringen. Und dann einfach Kontakte suchen und sich nicht einigeln nur in der Bekanntengemeinschaft leben und arbeiten, sondern einfach auch versuchen, rauszukommen."
Dieser Rat passt zur Situation und zum Bild, dass die CDU-Politikerin in den letzten Tagen mit Blick auf die steigende Zahl an Flüchtlingen vermitteln möchte, die nach Deutschland kommen: Wir schaffen das, so die Botschaft. Doch dies wird neuerdings besonders offen und scharf von der bayrischen Schwesterpartei CSU in Frage gestellt.
"Es war ein Fehler."
So das knappe Statement, das der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer am Freitag in mehrere Fernsehkameras sagte – und damit auf Merkels Entscheidung anspielte, Flüchtlinge aus Ungarn unregistriert nach Deutschland einreisen zu lassen.
Im Nachrichtenmagazin "Spiegel" wird Seehofer deutlicher: "Das war ein Fehler, der uns noch lange beschäftigen wird. Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel auf die Flasche zu kriegen", so Seehofer.
Auch Seehofers Parteikollege, der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, hatte zuvor gegenüber der "Passauer Neuen Presse" den Kurs der Bundesregierung scharf angegriffen und von einer "beispiellosen politischen Fehlleistung" gesprochen.
Eine Sichtweise, die bei SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann für Kopfschütteln sorgt:
"Die CSU war immer dagegen, Deutschland als Einwanderungsland einzustufen. Sie ist in Teilen populistisch. Und diese Kritik, die jetzt geäußert wird von Herrn Friedrich und anderen Teilen der CSU, die ist wohlfeil."
Rassismus-Vorwurf von der Linken
Der Bundesvorsitzender Der Partei Die Linke, Bernd Riexinger wirft der CSU vor, Zitat "Rassismus endgültig zur Chefsache zu machen". Seehofer mache klar, dass er sich mit einem strammen Rechtskurs profilieren wolle, so Riexinger.
Im "Spiegel" hatte Seehofer zudem angekündigt, den umstrittenen ungarischen Regierungschef Viktor Orbán zur nächsten CSU-Klausurtagung einzuladen, um gemeinsam nach einer Lösung der Flüchtlingskrise zu suchen.
Orbán droht damit, Flüchtlinge abzuschieben. Sie sollten "dorthin, wo sie herkommen", so Orban gegenüber der "Bild"-Zeitung. Diese Drohung weist SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel zurück: Orban sei an europäisches Recht gehalten und könne nicht einfach die Flüchtlinge in so schlechten Verhältnissen lassen und zurückschieben, sagte Gabriel.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, stellt derweil die Prognose von Bundesaußenminister Steinmeier in Frage, wonach an diesem Wochenende 40.000 Flüchtlinge in Deutschland erwartet würden:
"Ja, das muss man jetzt sehen, ob sich diese Zahl bewahrheitet. Es sind sehr viele jetzt unterwegs, das ist gar keine Frage."
... sagte die SPD-Politikerin im rbb-Inforadio.
Schutzbedürftig oder nicht?
800.000 Flüchtlinge werden in diesem Jahr in Deutschland erwartet. Das sei sehr schwer zu bewerkstelligen, meint der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich:
"Wir stoßen schon an unsere Grenze. Und wenn es so länger anhält, wird es kaum zu schaffen sein. Ich habe oft jetzt in den letzten Tagen mit den Hilfskräften sprechen können, die sind am Ende ihrer Kräfte."
... so Tillich im Deutschlandfunk. Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt, sieht derweil keinen Bedarf, die Prognose von 800.000 Flüchtlingen, nach oben zu korrigieren. Eine Obergrenze oder eine Grenze der Belastbarkeit sehe er in der Bundesrepublik nicht, so Schmidt im Deutschlandradio Kultur:
"Wir können nicht sagen, weil wir jetzt belastet sind, nehmen wir jetzt die letzte Familie aus einer Bürgerkriegssituation nicht auf. Das ist nicht unsere humanitäre Auffassung, Inhalt unseres Wertesystems. Insofern kann es das nicht geben. Was wir aber unterscheiden müssen, ist: Ist derjenige, der zu uns kommt, tatsächlich schutzbedürftig oder ist er nicht schutzbedürftig? Diese Trennung müssen wir machen."