Seelsorge mit Effizienz oder Effizienz mit Seelsorge?

Von Christine Schön |
Das Mitte der 90er-Jahre eingesetzte Fusionsfieber in der Wirtschaft hat zehn Jahre später auch die christlichen Kirchen erreicht, vor allem die in Ostdeutschland. Seit der Wende hat sich zum Beispiel im Bistum Magdeburg die Zahl der Katholiken halbiert - von 200.000 auf 100.000. Doch die von vielen Gemeindemitgliedern zunächst skeptisch betrachtete Fusionswelle birgt auch Chancen.
Magnus Koschig: "Wir dürfen uns nichts vormachen: Der Prozess, den wir jetzt durchmachen, ist auch ein Prozess der Trauer. Ist auch ein Prozess des Loslassens. Weil wir akzeptieren müssen, dass wir vielleicht auch die eine oder andere Gemeinde schließen müssen. Und das ist schmerzlich. Und den Leuten die Chance geben, dass sie trauern dürfen. Und nicht schönreden. Und zu den weichen Faktoren gehört für mich auch das positive Gefühl, dass wir dann auch Momente schaffen, wo wir uns mit Recht feiern. Oder wie ich dann manchmal salopp sage: Großer Gott, wir loben uns, Herr wir preisen unsere Stärke, auch das muss mal sein."

Pfarrer Magnus Koschig hat die Aufgabe, sechs bisher eigenständige und sehr unterschiedliche Gemeinden zur neuen Pfarrei Halle-Nord zusammenzuführen. Dazu gehört die große Gemeinde Heilig-Kreuz in der Innenstadt von Halle mit mehr als 1000 Katholiken ebenso wie die kleine Saalkreisgemeinde Löbejün, in der durchschnittlich 20 Menschen den Gottesdienst besuchen. Gelernt hat Pfarrer Koschig, dass für den Erfolg einer Fusion meist die weichen Faktoren ausschlaggebend sind. In Kirche wie in Wirtschaft.

Ewald Seliger: "Meine Befürchtungen waren sicherlich zunächst, dass mit einem solchen Verbund eine Dominanz, die irgendwo besteht, genutzt wird, um anderen etwas überzustülpen. Zu sagen, so bei uns ging es schon immer so und es ging gut, jetzt seid ihr eingeladen, das genauso zu machen. Das war die Hauptbefürchtung."

Ewald Seliger, heute Vorsitzender des Gemeindeverbundsrates, war zu Anfang skeptisch. Kein Wunder, ist doch selten von erfolgreichen Fusionen zu hören. Laut Studien scheitern zwei Drittel der Fusionen in der Wirtschaft. Um gewappnet zu sein, ließ sich Pfarrer Koschig zum Organisationsentwickler ausbilden.

An dem Fusionsprozess in Halle-Nord ist die Jungakademikerin aus der Großgemeinde genauso beteiligt wie der 70-jährige Handwerker vom Dorf. Um allen gerecht zu werden, schaute Pfarrer Koschig sehr genau auf den Prozess der Wiedervereinigung – ebenfalls eine Fusion von Ungleichen, die im Osten oft als Übernahme empfunden wurde.

Magnus Koschig: "Sie müssen das jetzt alles so machen, wie es im Westen sowieso war, weil der Westen hatte ja gewonnen. Stimmt so nicht, aber gefühlsmäßig war es bei vielen so. Deswegen hatten wir beschlossen, dass also jede Gemeinde zwei Stimmen hat, egal wie groß sie ist. Also Heilig-Kreuz mit seinen vielen Gottesdienstbesuchern hatte auch bloß zwei Stimmen gehabt wie Löbejün mit seinen 30 Gottesdienstbesuchern am Sonntag.""

Johannes Hohaus: "Ich war nicht so begeistert, als ich hörte, wir wollen ganz groß Kirchweihfest feiern, ich denk, was sollen wir 20 Leute denn alles machen? Kaffee kochen, Kuchen backen und Stühle rücken und wer soll den Chor denn gestalten, wer soll die Messfeier mit ausgestalten und das muss man sagen, das hat sehr gut geklappt, der Gemeindeverbund hat uns doll unterstützt, es waren viele Gäste da und es war ein ganz gelungenes Kirchweihfest."

Ohne den Verbund wäre das Fest zum 50-jährigen Gemeindejubiläum in Löbejün nicht möglich gewesen. Johannes Wohlrab von Heilig Kreuz feierte mit. Er findet, dass auch die großen Gemeinden profitieren.

Johannes Wohlrab: "Der Chor ist dort aufgetreten, Jugendgruppen haben sich dort präsentiert, so dass das Gemeindeleben dort quasi auch die großen Gemeinden inspiriert hat und als wir dann dort dieses Gemeindefest erlebt haben in dieser persönlichen familiären Atmosphäre, mit Leuten, die schon in dieser Gemeinde geboren worden waren, dann merkt man schon, dass diese starke Identität, die diese Menschen mit ihrer Kirche, mit ihren Pfarrern und mit ihren Gemeindemitgliedern haben in dieser Intensität vielen Mitgliedern in den großen Gemeinden völlig abhanden gekommen ist."

Im Verbund können sich die Gläubigen das Beste für sich raussuchen. Ein Familiengottesdienst mit Rap-Einlagen in Heilig Kreuz oder ein besinnlicher Gottesdienst in der Dorfkirche. Aber nicht alles ist eitel Sonnenschein. Pfarrer Koschig ist Manager eines flächenmäßig sehr großen Verbundes und zugleich Seelsorger. Das geht nicht immer zusammen.

Magnus Koschig: "Ich lebe hier in einem relativ kleinen Teil des Gemeindegebietes und habe aber für mich den Anspruch, Pfarrer des gesamten Verbundes zu sein. Und merke, ich kann’s nicht. Und diese Begrenztheit zu akzeptieren und loszulassen, auch ne eigene Vorstellung loszulassen und ein eigenes Ideal loszulassen, das ist nicht ganz einfach. Und das ist das, was mich dann zerruppt, wo ich manchmal sage, ich kann ja die Leute verstehen, dass sie sagen, wir haben keinen Pfarrer mehr."

Brunhilde Ernst: "Nicht warten auf das, dass jemand kommt, wie das früher war. Dass der Pfarrer kommt und macht nen Hausbesuch. Das geht nicht mehr. Das muss auf breite Schultern, die Gemeindemitglieder müssen das übernehmen."
Der Verbund fordert seine Mitglieder. Brunhilde Ernsts Eltern bauten die Kirche in Löbejün mit auf. Deshalb ist es für sie eine besondere Verpflichtung, ihre Gemeinde zu erhalten. Sie kümmert sich mit ihrem Mann um das Gebäude, bereitet den Seniorennachmittag vor und ist Ansprechpartnerin für die Gemeindemitglieder, auch wenn jemand krank oder einsam ist.
Brunhilde Ernst: "Es ist schon so ein Stückchen Seelsorge für den anderen. Aber das ist ja eigentlich das eigentliche Christ-Sein. Für den anderen da zu sein."

Johannes Hohaus: "Wichtig ist eben, dass jeder versucht, mit seinen Möglichkeiten beizutragen. Und dann haben wir schon den besten Weg eingeschlagen und überleben."

Frau Ernst und Herr Hohaus leben vor, was Pfarrer Koschig sich für die Zukunft der katholischen Kirche wünscht. Er möchte, dass Kirche lebendig ist, nicht weil es einen Hauptamtlichen gibt, sondern weil Menschen in ihrem Ort ihren Glauben leben und ihn damit verkünden.

Magnus Koschig: "Mein Ideal wäre, dass, wenn ich auf die Karte gucke, dass ich sage, in jedem Dorf gibt es einen der sagt, ich bin katholische Kirche von Merbitz, ich bin katholische Kirche von Dösel oder wie die ganzen Dörfer heißen. Manchmal muss ich selber auf der Karte gucken, weil ich sie nicht kenne. Meine Vision ist nach wie vor, die Kirche, wie man so schön sagt, im Dorf zu lassen."