Seelsorge, Neuigkeiten und Andachten im Netz
Vor 15 Jahren ist die evangelische Kirche mit ekd.de ins Netz gegangen. Doch der Homepage ekd.de merkt man den institutionellen Charakter an. Um mehr Menschen online für die Sache der Kirche zu gewinnen, hat die Evangelische Kirche in Deutschland vor drei Monaten eine neue Internetplattform ins Netz gestellt: evangelisch.de.
Am Anfang war ein Witz. Ein witziger Spot über die Zehn Gebote, ein Werbespot für evangelisch.de.
Videospot: "Mose verhandelt mit Gott über die Zehn Gebote. Er sagt dem Volk: 'Ich habe eine gute Nachricht.' Er habe ihn auf zehn heruntergehandelt. Eine schlechte: Ehebruch sei immer noch dabei ... evangelisch.de "
"Hallo und willkommen auf evangelisch.de, dem neuen Portal der evangelischen Kirche ... "."
Eine freundliche junge Frau begrüßt den User auf der Startseite des protestantischen Portals.
Melanie Huber: ""Das ist evangelisch.de ..."."
Nicht virtuell, sondern ganz real erläutert Melanie Huber, Portalleiterin von evangelisch.de, auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in Loccum das Konzept der protestantischen Homepage.
""... und wenn man normalerweise auf einer evangelischen Seite heute Gedanken zum Tag, die Losung, kirchliche Informationen erwarten würde, gehen wir einen anderen Weg. Wir stellen uns jeden Tag die Frage, was bewegt die Menschen heute tatsächlich, worüber diskutieren sie und dann versuchen wir die evangelische Perspektive zu bieten."
Die EKD hat sich das Projekt drei Millionen Euro kosten lassen, und ein Team von rund einem Dutzend Mitarbeitern stemmt nun eine protestantische Mischung aus Spiegel-Online, Facebook und Internet-Seelsorge. Aufgeteilt ist das Angebot in die Bereiche Themen, Kompass und Community. Die Macher von evangelisch.de haben dabei den Ehrgeiz, eigene Themen zu setzen. Zum Beispiel:
"Ein Artikel, der am meisten bei uns gesucht wurde, war das Thema: Hit the bitch. Das kann man übersetzen: Schlag die Schlampe."
Auf den ersten Blick ein brutales Videospiel, in dem der Betrachter animiert wird, eine hilflose Frau in Gangsta-Macho-Manier zu schlagen. Für jeden Schlag ins Gesicht der Frau kann er angeblich Geld gewinnen. Im Laufe des Videos steht der Schläger dann aber nicht als obercooler Gangsta da, sondern als ein brutaler Idiot.
"Das ist eine Aktion gegen Gewalt gegen Frauen, die in Dänemark angesetzt wurde, ein ganz schreckliches Video, das man kaum ertragen kann."
Eine umstrittene Aktion, die dann auf evangelisch.de in einem Forum heftig diskutiert wurde.
Der neue Internet-Auftritt will natürlich auch deutlich machen, wo man steht: konfessionell, theologisch, ethisch. Zum Beispiel mit der Reihe "e wie evangelisch". Zu zahlreichen Stichworten soll in kurzen Videoclips der evangelische Standpunkt deutlich gemacht werden. Das wirkt nicht immer gelungen, zum Beispiel wenn man sich in Slapstick-Manier dem Thema Tod widmet.
Das protestantische Profil zu betonen, das liegt im Trend. Eine Aufforderung, die der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber im interreligiösen Dialog immer wieder betont hat. Und ein profiliertes Auftreten ist gerade im World Wide Web angebracht. Denn mit der Entwicklung des Internets haben die großen Kirchen ihre alte privilegierte Position verloren. Da sind der katholische Priester Stefan Böntert und Ralf Peter Reimann, der Internetexperte der Evangelischen Kirche in Deutschland, einer Meinung.
Reimann: "Kirche im Internet ist ein Anbieter unter verschiedenen; im realen Leben ist die Kirche eine Körperschaft öffentlichen Rechts, sie hat bestimmte Rechte, sie kann Religionsunterricht erteilen. Im Internet ist sie ein Anbieter unter vielen. Und wenn man sich das Internet beobachtet, dann gibt es eine Entinstitutionalisierung."
Böntert: "Man kann sicher sagen, dass das religiöse Feld bunter geworden ist. Es wird deutlicher, dass die beiden Großkirchen ( ... ) das Monopol auf dem religiösen, aber auch auf dem rituellen Feld nicht mehr besitzen. Sie sind Player auf einem Marktplatz mit vielen anderen Sinn- und Religionsanbietern auch."
Stefan Böntert ist Professor für Liturgiewissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum.
"Das Internet ist wie ein großer Marktplatz der Religionen und jeder, der kann sich neue Religionsformen zusammenbasteln, ( ... ) das Internet begünstigt auch die Individualität des Religiösen."
Gerade wegen dieser Religionsvermischung, wegen des Synkretismus im Netz scheint es sinnvoll, sich mit evangelisch.de zu positionieren.
Portalleiterin Melanie Huber zieht nach den ersten 100 Tagen eine positive Zwischenbilanz:
"Es ist so, dass wir die ganze Zeit gleich bleibend gute Zugriffszahlen haben, die Community wächst, und zwar von Tag zu Tag, (..) die Leute diskutieren stark in der Community (..) und von den Themen liegen wir auch ziemlich richtig."
Evangelisch.de unternimmt den Versuch, nicht nur Informationen, Themen und Kommentare aus protestantischer Sicht zu präsentieren, sondern noch eine eigene Community, eine Netzgemeinschaft aufzubauen. Das sieht Angelika Wiesel, die Internetbeauftragte der hannoverschen Landeskirche, eher skeptisch:
"Ich denke, man muss eigene Seiten haben, um mit Informationen auffindbar zu sein, und Netzwerkseiten selber aufzubauen, ist sehr, sehr mühsam bis die laufen. (…) Da habe ich ein Fragezeichen, ob nicht die Menschen schon in so vielen sozialen Netzwerken im Netz sind, ob sie sich noch mal in einem evangelischen extra platzieren werden. (…) Dann lieber bestehende Netzwerke nutzen und dort eigene Themen veröffentlichen und als Mitglied aktiv sein."
Melanie Huber: "Der Punkt ist doch: Was will ich? Bei Xing will ich Berufskontakte knüpfen und maximal noch in Gruppen über bestimmte Themen diskutieren, wenn ich bei Facebook bin, will ich mit Leuten in Kontakt bleiben oder ich will flirten. Ich will doch nicht über meine Probleme reden oder über religiöse Fragen, das sind die wenigsten. Und wenn ich als Kirche dahin komme und sage, jetzt können wir über Euren Glauben reden, und wie Ihr Eure Gemeindearbeit verbessern könnt, dann zeigen die mir doch einen Vogel."
Der katholische Internetseelsorger Norbert Lübke plädiert dafür, die Kirche solle lieber in sozialen Netzen wie Facebook oder Studi-VZ aktiv sein:
"Da, wo die jungen Leite sind, da muss man selber sein, und es hat keinen Zweck, einen closed shop aufzumachen, wo wieder die gleichen Leute unter sich sind."
Melanie Huber: "Die Leute sind nicht sehr junge Menschen, sie sind eher im Schnitt 30 bis 55 Jahre, und es sind ganz viele Menschen dabei, die noch nie in einer Community waren; also die sind nicht bei Facebook oder Xing oder Studi-VZ, sondern die sind das erste Mal in einer Community, (...) und sind zum Teil über 60 Jahre alt und haben jetzt eine Möglichkeit gefunden, sich auszutauschen."
Allerdings: Bei Studi-VzZtummeln sich über 15 Millionen Mitglieder, bei Facebook sind es weltweit 350 Millionen; die Community von evangelisch.de hat gerade mal 2000 Mitglieder.
Aber evangelisch.de will ja auch andere Akzente setzen: "Kümmern" – dieses eher altmodisch klingende Wort haben die Macher der protestantischen Plattform zu einem ihrer Leitmotive erklärt:
"Wir haben einen Kreis gegründet, der nennt sich das Offene Ohr, hier bieten einzelne Leute aus der Community ihr Ohr an und kümmern sich um die Sorgen und Nöte der Menschen, die in dieser Community sind. Wir stellen deutlich fest, dass es viele Menschen gibt, denen es schlecht geht, auch wenn es nur einen Moment ist, und dann können sie diese Gefühle bei uns abladen."
Melanie Huber geht es ums Zuhören, nicht um eine Internet-Seelsorge. Die bieten die evangelische und die katholische Kirche als Chat-Seelsorge an. Der Internetbeauftragte der badischen Landeskirche, Oliver Weidermann.
"Die Chance liegt natürlich auch in der Nähe durch Distanz, ich kann mit jemanden kommunizieren, ohne ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen. Das ist noch mal was Anderes, als wenn ich den Gemeindepfarrer an der Supermarktkasse treffe und habe zwar die Gelegenheit, aber will nicht meine Eheprobleme ausbreiten, aber im anonymen oder pseudonymen Raum des Internets habe ich ganz andere Möglichkeiten, mich zu öffnen und da Erfahrungen mit Seelsorge zu machen."
Allerdings steckt die Chat-Seelsorge auch nach sechs Jahren eher in den Kinderschuhen. Evangelischerseits bieten lediglich die hannoversche und die rheinische Landeskirche eine Chatseelsorge an – zweimal pro Woche vier Stunden. Mehr Geld und Personal steht für die Internetseelsorge nicht zur Verfügung; der Bedarf ist wesentlich größer.
Ein weiteres Angebot von evangelisch.de ist der Servicebereich. Bislang gab es besondere Internetangebote der evangelischen Kirchen zu Themen wie Taufe, Trauung oder Trauer. Das soll nun bei evangelisch.de eingebunden werden.
"Wir sind jetzt mit Trauernetz, Trauspruch, Taufspruch zusammen gegangen und dort sind genau für diese Anliegen Gruppen gegründet worden, wo die Experten zur Verfügung stehen und als Ansprechpartner da sind."
Oder evangelisch.de als Plattform zum Chatten – zum Beispiel nach dem Wort zum Sonntag. Portalleiterin Melanie Huber, einst zuständig für die Online-Redaktion der Zeitung "Die Zeit", war sich eigentlich sicher, dass die Phase, in der noch gechattet wurde, vorbei sei.
"Bei der 'Zeit', sie konnten Expertenchats machen, das mussten wir alles faken, die ganze Redaktion musste Fragen stellen, weil keine Nutzer kamen. Lachen. Dann erzählt man mir, wir machen jetzt einen Chat zum Wort zum Sonntag. (...) und man glaubt es kaum, es kommen 300 Leute auf die Seite und wollen nach dem Wort zum Sonntag mit dem Pastor sprechen."
Evangelisch.de will aber nicht bei jedem Serviceangebot mitmachen, betont Melanie Huber. Christliche Partnerschaftsvermittlungen wie christ-sucht-christin.de oder agape24.de gäbe es schließlich schon.
"Ich glaube, da werde ich alle Kraft anwenden, dass wir nicht eine protestantische Single-Börse anbieten."
Evangelisch.de will nicht nur Informieren, Orientieren und Helfen, sondern das Portal tritt auch als religiöser Akteur im Netz auf. Zum Beispiel mit Andachten:
"Am Ewigkeitssonntag haben wir eine wunderbare Andacht gehalten, wo man vorher die Namen der Verstorbenen, derer man gedenken möchte, eingeben konnte, und die wurden dann eine Dreiviertelstunde lang, wir hatten 400 Namen, mit Geburtsdatum, Todesdatum, die wurden eingeblendet, dann hat man einfach da zugeschaut und danach ein 'Vater unser' gesprochen."
Reimann: "Sie haben gemeinsam geschwiegen, was heißt das, gemeinsam online schweigen, wenn ich weiß, irgendwo sitzen 50 andere Menschen auf der Welt und schweigen gemeinsam. (...) was Stille ist, müssen wir neu definieren, was Raum ist, müssen wir neu definieren, was Gemeinschaft ist, müssen wir neu definieren."
Entsteht da über das kirchliche Angebot im Internet eine neue, virtuelle Gemeinschaft? Die Internetbeauftragten der Kirchen sehen die Online-Gemeinschaft durchaus realistisch. Eine Cyberspacegemeinde, die nur virtuell miteinander verbunden ist, könne sich auf Dauer noch keiner vorstellen, sagt Angelika Wiesel:
"Ich glaube, dass eine Netzgemeinde nie eine Ortsgemeinde oder eine Gemeinschaft von Mensch zu Mensch ersetzen kann, aber ich denke, dass Netzgemeinden Türöffner sein können und Räume sein können, in denen sich Menschen treffen, dass aber irgendwann auch der Wunsch auftauchen wird, sich real zu treffen."
Böntert: "Es ist eine Form, die durchaus ihre Berechtigung hat, aber dennoch bestimmte Zugangsweisen zu Gotteserfahrungen ausklammert. Deshalb kann die Alternative in der Zukunft nicht sein: Bei Regen findet die Maiandacht im Internet statt."
Sagt der Katholik Stefan Böntert.
Evangelisch.de ist es gelungen, ein im besten Sinne buntes und informatives Portal aufzubauen, das durch die protestantische Brille auf Gott und die Welt blickt. Mit viel Engagement hat man in der Community Akzente gesetzt mit Blogs wie "Stilvoll glauben", "Kind und Kegel" oder "Dünne Bücher" – allerdings: Die Resonanz in der Community hält sich mit 2000 Usern noch sehr in Grenzen. Dabei steht die Chefin von evangelisch.de schon unter Druck, denn die EKD finanziert das Projekt zunächst einmal für drei Jahre. Und was muss erfüllt sein, damit es fortgesetzt wird?
"Das ist eine gute Frage: Das hat mir momentan auch noch keiner gesagt, es muss erfolgreich sein, und wann es erfolgreich ist? ( ... .) Man schaut, dass es eben von einer Nutzerzahl genutzt wird, die auch steigt, und ich finde, Erfolg bemisst sich dann auch, wenn sich Leute auseinandersetzen, wenn Leute diskutieren, wenn sie kommentieren, und wieder kommen."
Und sie werden wiederkommen, denn im Internetzeitalter haben weder die Kirchen noch ihre Mitglieder eine Alternative zur Online-Präsenz.
Videospot: "Mose verhandelt mit Gott über die Zehn Gebote. Er sagt dem Volk: 'Ich habe eine gute Nachricht.' Er habe ihn auf zehn heruntergehandelt. Eine schlechte: Ehebruch sei immer noch dabei ... evangelisch.de "
"Hallo und willkommen auf evangelisch.de, dem neuen Portal der evangelischen Kirche ... "."
Eine freundliche junge Frau begrüßt den User auf der Startseite des protestantischen Portals.
Melanie Huber: ""Das ist evangelisch.de ..."."
Nicht virtuell, sondern ganz real erläutert Melanie Huber, Portalleiterin von evangelisch.de, auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in Loccum das Konzept der protestantischen Homepage.
""... und wenn man normalerweise auf einer evangelischen Seite heute Gedanken zum Tag, die Losung, kirchliche Informationen erwarten würde, gehen wir einen anderen Weg. Wir stellen uns jeden Tag die Frage, was bewegt die Menschen heute tatsächlich, worüber diskutieren sie und dann versuchen wir die evangelische Perspektive zu bieten."
Die EKD hat sich das Projekt drei Millionen Euro kosten lassen, und ein Team von rund einem Dutzend Mitarbeitern stemmt nun eine protestantische Mischung aus Spiegel-Online, Facebook und Internet-Seelsorge. Aufgeteilt ist das Angebot in die Bereiche Themen, Kompass und Community. Die Macher von evangelisch.de haben dabei den Ehrgeiz, eigene Themen zu setzen. Zum Beispiel:
"Ein Artikel, der am meisten bei uns gesucht wurde, war das Thema: Hit the bitch. Das kann man übersetzen: Schlag die Schlampe."
Auf den ersten Blick ein brutales Videospiel, in dem der Betrachter animiert wird, eine hilflose Frau in Gangsta-Macho-Manier zu schlagen. Für jeden Schlag ins Gesicht der Frau kann er angeblich Geld gewinnen. Im Laufe des Videos steht der Schläger dann aber nicht als obercooler Gangsta da, sondern als ein brutaler Idiot.
"Das ist eine Aktion gegen Gewalt gegen Frauen, die in Dänemark angesetzt wurde, ein ganz schreckliches Video, das man kaum ertragen kann."
Eine umstrittene Aktion, die dann auf evangelisch.de in einem Forum heftig diskutiert wurde.
Der neue Internet-Auftritt will natürlich auch deutlich machen, wo man steht: konfessionell, theologisch, ethisch. Zum Beispiel mit der Reihe "e wie evangelisch". Zu zahlreichen Stichworten soll in kurzen Videoclips der evangelische Standpunkt deutlich gemacht werden. Das wirkt nicht immer gelungen, zum Beispiel wenn man sich in Slapstick-Manier dem Thema Tod widmet.
Das protestantische Profil zu betonen, das liegt im Trend. Eine Aufforderung, die der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber im interreligiösen Dialog immer wieder betont hat. Und ein profiliertes Auftreten ist gerade im World Wide Web angebracht. Denn mit der Entwicklung des Internets haben die großen Kirchen ihre alte privilegierte Position verloren. Da sind der katholische Priester Stefan Böntert und Ralf Peter Reimann, der Internetexperte der Evangelischen Kirche in Deutschland, einer Meinung.
Reimann: "Kirche im Internet ist ein Anbieter unter verschiedenen; im realen Leben ist die Kirche eine Körperschaft öffentlichen Rechts, sie hat bestimmte Rechte, sie kann Religionsunterricht erteilen. Im Internet ist sie ein Anbieter unter vielen. Und wenn man sich das Internet beobachtet, dann gibt es eine Entinstitutionalisierung."
Böntert: "Man kann sicher sagen, dass das religiöse Feld bunter geworden ist. Es wird deutlicher, dass die beiden Großkirchen ( ... ) das Monopol auf dem religiösen, aber auch auf dem rituellen Feld nicht mehr besitzen. Sie sind Player auf einem Marktplatz mit vielen anderen Sinn- und Religionsanbietern auch."
Stefan Böntert ist Professor für Liturgiewissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum.
"Das Internet ist wie ein großer Marktplatz der Religionen und jeder, der kann sich neue Religionsformen zusammenbasteln, ( ... ) das Internet begünstigt auch die Individualität des Religiösen."
Gerade wegen dieser Religionsvermischung, wegen des Synkretismus im Netz scheint es sinnvoll, sich mit evangelisch.de zu positionieren.
Portalleiterin Melanie Huber zieht nach den ersten 100 Tagen eine positive Zwischenbilanz:
"Es ist so, dass wir die ganze Zeit gleich bleibend gute Zugriffszahlen haben, die Community wächst, und zwar von Tag zu Tag, (..) die Leute diskutieren stark in der Community (..) und von den Themen liegen wir auch ziemlich richtig."
Evangelisch.de unternimmt den Versuch, nicht nur Informationen, Themen und Kommentare aus protestantischer Sicht zu präsentieren, sondern noch eine eigene Community, eine Netzgemeinschaft aufzubauen. Das sieht Angelika Wiesel, die Internetbeauftragte der hannoverschen Landeskirche, eher skeptisch:
"Ich denke, man muss eigene Seiten haben, um mit Informationen auffindbar zu sein, und Netzwerkseiten selber aufzubauen, ist sehr, sehr mühsam bis die laufen. (…) Da habe ich ein Fragezeichen, ob nicht die Menschen schon in so vielen sozialen Netzwerken im Netz sind, ob sie sich noch mal in einem evangelischen extra platzieren werden. (…) Dann lieber bestehende Netzwerke nutzen und dort eigene Themen veröffentlichen und als Mitglied aktiv sein."
Melanie Huber: "Der Punkt ist doch: Was will ich? Bei Xing will ich Berufskontakte knüpfen und maximal noch in Gruppen über bestimmte Themen diskutieren, wenn ich bei Facebook bin, will ich mit Leuten in Kontakt bleiben oder ich will flirten. Ich will doch nicht über meine Probleme reden oder über religiöse Fragen, das sind die wenigsten. Und wenn ich als Kirche dahin komme und sage, jetzt können wir über Euren Glauben reden, und wie Ihr Eure Gemeindearbeit verbessern könnt, dann zeigen die mir doch einen Vogel."
Der katholische Internetseelsorger Norbert Lübke plädiert dafür, die Kirche solle lieber in sozialen Netzen wie Facebook oder Studi-VZ aktiv sein:
"Da, wo die jungen Leite sind, da muss man selber sein, und es hat keinen Zweck, einen closed shop aufzumachen, wo wieder die gleichen Leute unter sich sind."
Melanie Huber: "Die Leute sind nicht sehr junge Menschen, sie sind eher im Schnitt 30 bis 55 Jahre, und es sind ganz viele Menschen dabei, die noch nie in einer Community waren; also die sind nicht bei Facebook oder Xing oder Studi-VZ, sondern die sind das erste Mal in einer Community, (...) und sind zum Teil über 60 Jahre alt und haben jetzt eine Möglichkeit gefunden, sich auszutauschen."
Allerdings: Bei Studi-VzZtummeln sich über 15 Millionen Mitglieder, bei Facebook sind es weltweit 350 Millionen; die Community von evangelisch.de hat gerade mal 2000 Mitglieder.
Aber evangelisch.de will ja auch andere Akzente setzen: "Kümmern" – dieses eher altmodisch klingende Wort haben die Macher der protestantischen Plattform zu einem ihrer Leitmotive erklärt:
"Wir haben einen Kreis gegründet, der nennt sich das Offene Ohr, hier bieten einzelne Leute aus der Community ihr Ohr an und kümmern sich um die Sorgen und Nöte der Menschen, die in dieser Community sind. Wir stellen deutlich fest, dass es viele Menschen gibt, denen es schlecht geht, auch wenn es nur einen Moment ist, und dann können sie diese Gefühle bei uns abladen."
Melanie Huber geht es ums Zuhören, nicht um eine Internet-Seelsorge. Die bieten die evangelische und die katholische Kirche als Chat-Seelsorge an. Der Internetbeauftragte der badischen Landeskirche, Oliver Weidermann.
"Die Chance liegt natürlich auch in der Nähe durch Distanz, ich kann mit jemanden kommunizieren, ohne ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen. Das ist noch mal was Anderes, als wenn ich den Gemeindepfarrer an der Supermarktkasse treffe und habe zwar die Gelegenheit, aber will nicht meine Eheprobleme ausbreiten, aber im anonymen oder pseudonymen Raum des Internets habe ich ganz andere Möglichkeiten, mich zu öffnen und da Erfahrungen mit Seelsorge zu machen."
Allerdings steckt die Chat-Seelsorge auch nach sechs Jahren eher in den Kinderschuhen. Evangelischerseits bieten lediglich die hannoversche und die rheinische Landeskirche eine Chatseelsorge an – zweimal pro Woche vier Stunden. Mehr Geld und Personal steht für die Internetseelsorge nicht zur Verfügung; der Bedarf ist wesentlich größer.
Ein weiteres Angebot von evangelisch.de ist der Servicebereich. Bislang gab es besondere Internetangebote der evangelischen Kirchen zu Themen wie Taufe, Trauung oder Trauer. Das soll nun bei evangelisch.de eingebunden werden.
"Wir sind jetzt mit Trauernetz, Trauspruch, Taufspruch zusammen gegangen und dort sind genau für diese Anliegen Gruppen gegründet worden, wo die Experten zur Verfügung stehen und als Ansprechpartner da sind."
Oder evangelisch.de als Plattform zum Chatten – zum Beispiel nach dem Wort zum Sonntag. Portalleiterin Melanie Huber, einst zuständig für die Online-Redaktion der Zeitung "Die Zeit", war sich eigentlich sicher, dass die Phase, in der noch gechattet wurde, vorbei sei.
"Bei der 'Zeit', sie konnten Expertenchats machen, das mussten wir alles faken, die ganze Redaktion musste Fragen stellen, weil keine Nutzer kamen. Lachen. Dann erzählt man mir, wir machen jetzt einen Chat zum Wort zum Sonntag. (...) und man glaubt es kaum, es kommen 300 Leute auf die Seite und wollen nach dem Wort zum Sonntag mit dem Pastor sprechen."
Evangelisch.de will aber nicht bei jedem Serviceangebot mitmachen, betont Melanie Huber. Christliche Partnerschaftsvermittlungen wie christ-sucht-christin.de oder agape24.de gäbe es schließlich schon.
"Ich glaube, da werde ich alle Kraft anwenden, dass wir nicht eine protestantische Single-Börse anbieten."
Evangelisch.de will nicht nur Informieren, Orientieren und Helfen, sondern das Portal tritt auch als religiöser Akteur im Netz auf. Zum Beispiel mit Andachten:
"Am Ewigkeitssonntag haben wir eine wunderbare Andacht gehalten, wo man vorher die Namen der Verstorbenen, derer man gedenken möchte, eingeben konnte, und die wurden dann eine Dreiviertelstunde lang, wir hatten 400 Namen, mit Geburtsdatum, Todesdatum, die wurden eingeblendet, dann hat man einfach da zugeschaut und danach ein 'Vater unser' gesprochen."
Reimann: "Sie haben gemeinsam geschwiegen, was heißt das, gemeinsam online schweigen, wenn ich weiß, irgendwo sitzen 50 andere Menschen auf der Welt und schweigen gemeinsam. (...) was Stille ist, müssen wir neu definieren, was Raum ist, müssen wir neu definieren, was Gemeinschaft ist, müssen wir neu definieren."
Entsteht da über das kirchliche Angebot im Internet eine neue, virtuelle Gemeinschaft? Die Internetbeauftragten der Kirchen sehen die Online-Gemeinschaft durchaus realistisch. Eine Cyberspacegemeinde, die nur virtuell miteinander verbunden ist, könne sich auf Dauer noch keiner vorstellen, sagt Angelika Wiesel:
"Ich glaube, dass eine Netzgemeinde nie eine Ortsgemeinde oder eine Gemeinschaft von Mensch zu Mensch ersetzen kann, aber ich denke, dass Netzgemeinden Türöffner sein können und Räume sein können, in denen sich Menschen treffen, dass aber irgendwann auch der Wunsch auftauchen wird, sich real zu treffen."
Böntert: "Es ist eine Form, die durchaus ihre Berechtigung hat, aber dennoch bestimmte Zugangsweisen zu Gotteserfahrungen ausklammert. Deshalb kann die Alternative in der Zukunft nicht sein: Bei Regen findet die Maiandacht im Internet statt."
Sagt der Katholik Stefan Böntert.
Evangelisch.de ist es gelungen, ein im besten Sinne buntes und informatives Portal aufzubauen, das durch die protestantische Brille auf Gott und die Welt blickt. Mit viel Engagement hat man in der Community Akzente gesetzt mit Blogs wie "Stilvoll glauben", "Kind und Kegel" oder "Dünne Bücher" – allerdings: Die Resonanz in der Community hält sich mit 2000 Usern noch sehr in Grenzen. Dabei steht die Chefin von evangelisch.de schon unter Druck, denn die EKD finanziert das Projekt zunächst einmal für drei Jahre. Und was muss erfüllt sein, damit es fortgesetzt wird?
"Das ist eine gute Frage: Das hat mir momentan auch noch keiner gesagt, es muss erfolgreich sein, und wann es erfolgreich ist? ( ... .) Man schaut, dass es eben von einer Nutzerzahl genutzt wird, die auch steigt, und ich finde, Erfolg bemisst sich dann auch, wenn sich Leute auseinandersetzen, wenn Leute diskutieren, wenn sie kommentieren, und wieder kommen."
Und sie werden wiederkommen, denn im Internetzeitalter haben weder die Kirchen noch ihre Mitglieder eine Alternative zur Online-Präsenz.