Seelsorger in Uniform
Pastor Andreas Schorlemmer ist Seelsorger in Polizeiuniform. Er begleitet Polizisten zu Unfallorten, kümmert sich um Überlebende und überbringt Todesnachrichten. In dem Buch "Manchmal hilft nur Schweigen" schildert er seine persönlichen Erinnerungen und setzt sich mit den Themen Trauer, Tod und Glauben auseinander.
Was tut ein Seelsorger bei der Polizei? Er sorgt für Seelen, in diesem Fall für die von Polizisten. Und er kümmert sich um Leute, die es mit der Polizei zu tun bekommen: um die Opfer von Unfällen und Gewaltverbrechen, um deren Hinterbliebene, manchmal auch um die Täter.
Das hier ist ein Buch, bei dem man schlucken muss. Die Bilder, von denen Schorlemmer sagt, sie gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf, bleiben seinem Leser ebenfalls erhalten. Da erzählt Schorlemmer zum Beispiel von einem 45-jährigen Mann. Dessen Frau und seine beiden Söhnen, elf und fünfzehn Jahre, sterben bei einem Verkehrsunfall. Schorlemmer überbringt die Todesnachricht. Bei der Trauerfeier stehen drei weiße Särge, offen und rosengeschmückt, inmitten des Kirchenschiffes. Schorlemmer predigt, dann stützt er einen Ehemann und Vater, der vor die Särge seiner Lieben tritt, um sich zu verabschieden.
Schorlemmer ermutigt die Hinterbliebenen generell, sich ihre Verstorbenen anzusehen. Nach seiner Erfahrung kommt die menschliche Psyche mit dem Tod besser klar, wenn sie ihn realisiert, anstatt ihn zu verdrängen. Denn die Verdrängung resultiert aus der Angst vor dem Schmerz. Wer aber Heilung möchte, irgendwann, muss sich mit dem Tod versöhnen und sollte sich darum dem Schmerz nicht verweigern. Das jedenfalls ist Schorlemmers Philosophie, natürlich eine subjektive Meinung, aber immerhin die Frucht seiner reichhaltigen Erfahrung im Umgang mit dem Tod.
"Manchmal hilft nur Schweigen", so der Titel dieses Buches. Schorlemmer macht sich nämlich keine Illusionen über seine Möglichkeiten. Er weiß inzwischen, dass es schnellen Trost nicht geben kann in Situationen, wo jemand unmittelbar und unerwartet mit dem Tod konfrontiert wird, noch dazu, wenn er diesen Jemand nicht kennt. Ein Seelsorger, schreibt er, kann nur versuchen zu erspüren, was der andere jetzt brauchen könnte, was ihm den Schmerz vielleicht ein bisschen erträglicher macht.
Wer Schorlemmers Geschichten liest, zwanzig Stück hat dieses Buch versammelt, zieht unwillkürlich den Hut vor der Arbeit der Polizei, der Feuerwehr, der Ärzte und Sanitäter. Was sich an manchen Unfallorten abspielt, davon hat der Bürger keinen Begriff. Die erste Geschichte in diesem Buch handelt von einem schweren Verkehrsunfall: Ein vollbesetzter PKW ist gegen einen Baum gerast. Schorlemmers Handy klingelt, er eilt zum Unfallort, hört Schreie, die gehen durch Mark und Bein. Feuerwehrleute mühen sich, die Insassen aus dem zerquetschten Auto zu schweißen. Der Fahrer ist tot. Der Beifahrer schwer verletzt. Schorlemmer nimmt seine Hand, versucht, ihn zu beruhigen. Ob er die Bergung überleben wird, ist ungewiss.
Polizisten, schreibt Schorlemmer, sind Meister im Verdrängen. Bei vielen erfährt die Familie kaum etwas von dem, was im Dienst passiert, man will keinen belasten. Schorlemmer müht sich, so oft es geht, das Gespräch mit den Kollegen zu suchen. Manche kommen auch von selbst zu ihm. Der Pastor bekennt, auch ihm selbst fällt es oft schwer, seinen Beruf zu ertragen. Dieses Buch ist auch ein Stück Selbsttherapie.
Warum eigentlich macht man so einen Job, den keiner machen will? Darüber schreibt Schorlemmer nicht, leider. Es heißt nur lapidar: "Der Posten war vakant. Ich habe mich beworben." Man kann nur vermuten. Manchmal klingt es so, als ob Schorlemmer, der Christ, eine Art "himmlischen Auftrag" spürt. Als ob er fühlte, er darf sich nicht drücken. Andererseits sollte man nicht denken, ein Polizeiseelsorger hätte nur leidvolle Erlebnisse zu verdauen.
Es gibt hin und wieder sogar Menschen, denen hat Schorlemmer eine Todesnachricht überbringen müssen, und post festum betrachtet war das der Beginn einer Freundschaft. Ein paar von diesen Leuten sind in diesem Buch auch namentlich genannt. Schorlemmer erzählt zum Beispiel von einem Ehepaar, dessen einziger Sohn, sechzehn Jahre alt, stirbt bei einem Motorradunfall. Schorlemmer hat die grausame Botschaft zu übermitteln. Die Mutter schreit, so laut und so lange, dass man einen Arzt holen muss.
Jahre später macht das Ehepaar ein Testament und setzt Schorlemmer als Erben ein. Er möge bitte Leuten helfen, die ähnliche Schmerzen durchzustehen hätten wie sie beide. Wahrscheinlich geben auch solche Begegnungen dem Pastor die Kraft, in seinem schweren Beruf bei der Stange zu bleiben.
Rezensiert von Susanne Mack
Andreas Schorlemmer: Manchmal hilft nur Schweigen
Meine Arbeit als Polizeipastor
Ullstein Verlag 2007, 207 Seiten, 18,90 Euro
Das hier ist ein Buch, bei dem man schlucken muss. Die Bilder, von denen Schorlemmer sagt, sie gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf, bleiben seinem Leser ebenfalls erhalten. Da erzählt Schorlemmer zum Beispiel von einem 45-jährigen Mann. Dessen Frau und seine beiden Söhnen, elf und fünfzehn Jahre, sterben bei einem Verkehrsunfall. Schorlemmer überbringt die Todesnachricht. Bei der Trauerfeier stehen drei weiße Särge, offen und rosengeschmückt, inmitten des Kirchenschiffes. Schorlemmer predigt, dann stützt er einen Ehemann und Vater, der vor die Särge seiner Lieben tritt, um sich zu verabschieden.
Schorlemmer ermutigt die Hinterbliebenen generell, sich ihre Verstorbenen anzusehen. Nach seiner Erfahrung kommt die menschliche Psyche mit dem Tod besser klar, wenn sie ihn realisiert, anstatt ihn zu verdrängen. Denn die Verdrängung resultiert aus der Angst vor dem Schmerz. Wer aber Heilung möchte, irgendwann, muss sich mit dem Tod versöhnen und sollte sich darum dem Schmerz nicht verweigern. Das jedenfalls ist Schorlemmers Philosophie, natürlich eine subjektive Meinung, aber immerhin die Frucht seiner reichhaltigen Erfahrung im Umgang mit dem Tod.
"Manchmal hilft nur Schweigen", so der Titel dieses Buches. Schorlemmer macht sich nämlich keine Illusionen über seine Möglichkeiten. Er weiß inzwischen, dass es schnellen Trost nicht geben kann in Situationen, wo jemand unmittelbar und unerwartet mit dem Tod konfrontiert wird, noch dazu, wenn er diesen Jemand nicht kennt. Ein Seelsorger, schreibt er, kann nur versuchen zu erspüren, was der andere jetzt brauchen könnte, was ihm den Schmerz vielleicht ein bisschen erträglicher macht.
Wer Schorlemmers Geschichten liest, zwanzig Stück hat dieses Buch versammelt, zieht unwillkürlich den Hut vor der Arbeit der Polizei, der Feuerwehr, der Ärzte und Sanitäter. Was sich an manchen Unfallorten abspielt, davon hat der Bürger keinen Begriff. Die erste Geschichte in diesem Buch handelt von einem schweren Verkehrsunfall: Ein vollbesetzter PKW ist gegen einen Baum gerast. Schorlemmers Handy klingelt, er eilt zum Unfallort, hört Schreie, die gehen durch Mark und Bein. Feuerwehrleute mühen sich, die Insassen aus dem zerquetschten Auto zu schweißen. Der Fahrer ist tot. Der Beifahrer schwer verletzt. Schorlemmer nimmt seine Hand, versucht, ihn zu beruhigen. Ob er die Bergung überleben wird, ist ungewiss.
Polizisten, schreibt Schorlemmer, sind Meister im Verdrängen. Bei vielen erfährt die Familie kaum etwas von dem, was im Dienst passiert, man will keinen belasten. Schorlemmer müht sich, so oft es geht, das Gespräch mit den Kollegen zu suchen. Manche kommen auch von selbst zu ihm. Der Pastor bekennt, auch ihm selbst fällt es oft schwer, seinen Beruf zu ertragen. Dieses Buch ist auch ein Stück Selbsttherapie.
Warum eigentlich macht man so einen Job, den keiner machen will? Darüber schreibt Schorlemmer nicht, leider. Es heißt nur lapidar: "Der Posten war vakant. Ich habe mich beworben." Man kann nur vermuten. Manchmal klingt es so, als ob Schorlemmer, der Christ, eine Art "himmlischen Auftrag" spürt. Als ob er fühlte, er darf sich nicht drücken. Andererseits sollte man nicht denken, ein Polizeiseelsorger hätte nur leidvolle Erlebnisse zu verdauen.
Es gibt hin und wieder sogar Menschen, denen hat Schorlemmer eine Todesnachricht überbringen müssen, und post festum betrachtet war das der Beginn einer Freundschaft. Ein paar von diesen Leuten sind in diesem Buch auch namentlich genannt. Schorlemmer erzählt zum Beispiel von einem Ehepaar, dessen einziger Sohn, sechzehn Jahre alt, stirbt bei einem Motorradunfall. Schorlemmer hat die grausame Botschaft zu übermitteln. Die Mutter schreit, so laut und so lange, dass man einen Arzt holen muss.
Jahre später macht das Ehepaar ein Testament und setzt Schorlemmer als Erben ein. Er möge bitte Leuten helfen, die ähnliche Schmerzen durchzustehen hätten wie sie beide. Wahrscheinlich geben auch solche Begegnungen dem Pastor die Kraft, in seinem schweren Beruf bei der Stange zu bleiben.
Rezensiert von Susanne Mack
Andreas Schorlemmer: Manchmal hilft nur Schweigen
Meine Arbeit als Polizeipastor
Ullstein Verlag 2007, 207 Seiten, 18,90 Euro