Seenotretter Claus-Peter Reisch

"Man kann die Menschen nicht sterben lassen"

Fluechtlinge auf dem Rettungsschiff von Mission Lifeline am 21.06.18 im internationalen Gewaesser vor der libyschen Kueste.
Flüchtlinge auf dem Rettungsschiff "Lifeline" im internationalen Gewässer vor der libyschen Küste (21.6.2018). © imago
Moderation: Nicole Dittmer |
Kapitän und Seenotretter Claus-Peter Reisch kritisiert eine für ihn absurde Situation: Während in Europa mehr als 500 Millionen Menschen leben, wird ihm die Aufnahme von wenigen hundert verweigert. "Das ist schon ein Stück weit erbärmlich."
234 Flüchtlinge rettete die Mannschaft der Lifeline im Sommer 2018 vor dem Ertrinken – und musste dann fünf Tage lang vor der italienischen Küste entlang fahren, weil niemand die Menschen wollte. Für Kapitän Claus-Peter Reisch eine frustrierende Erfahrung: "Man kann uns ja letztlich nicht ausfahren lassen bis uns der Treibstoff ausgeht und das Schiff sinkt. Dann würden wir aus unserem eigenen Schiff einen Seenotfall machen."

150 von 235 Flüchtlingen an Bord waren krank

Unter schwierigsten Umständen versorgten die Mannschaft damals die Flüchtlinge an Bord. Auf vier Herdplatten habe man jeden Tag 500 warme Mahlzeiten und 150 Liter Tee kochen müssen. In der letzten Nacht sei es vielen Flüchtlingen an Bord sehr schlecht gegangen, erinnert sich der Kapitän:
"Wir hatten sehr viele Menschen im Krankenhaus, die schwer seekrank waren. Circa 150 von unseren 235 Flüchtlingen waren damit beschäftigt, dass sie sich permanent übergeben haben."
Das sei nicht nur ein hygienisches Problem gewesen, erklärt Reisch: "Das andere ist, dass die Menschen dehydrieren und dann in eine Art Unterzuckerungskoma fallen und unter Umständen sterben können."

Von der Politik alleingelassen

Die Mannschaft habe die Menschen in der letzten Nacht deshalb alle zwei Stunden geweckt, um zu prüfen, wie es ihnen geht und ob sie ansprechbar waren. Von der Politik fühlt sich Reisch im Stich gelassen:
"Das ist schon ein Stück weit erbärmlich mit ansehen zu müssen, wie die Politik mit dieser Geschichte umgeht. Da heißt es, sie würden Verantwortung tragen, die Herren Politiker und die Damen, aber das tun sie letztlich nicht. Sie lassen uns mit diesen Menschen alleine. Und die Verantwortung für das Wohl sowohl der Mannschaft als auch der Geflüchteten trägt dann der Kapitän."
Das gegen ihn nach der Rettungsaktion eingeleitete Ermittlungsverfahren laufe immer noch. Unterstützung von Seiten der Bundesregierung spüre er nicht. Es sei zwar immer ein Mitarbeiter der Botschaft bei den Verhandlungstagen anwesend, aber das sich die Regierung für ihn einsetze, habe er bisher nicht erkennen können.
Claus-Peter Reisch, Kapitän des Flüchtlings-Rettungsschiffs Lifeline. 
Claus-Peter Reisch, Kapitän des Flüchtlings-Rettungsschiffs Lifeline. © imago stock&people
Dass die EU mit ihren mehr als 500 Millionen Bürgern darüber diskutiere, ob man 234 Flüchtlinge an Land unterbringe, dafür hat Reisch kein Verständnis. Auch nicht dafür, dass die Arbeit der Lifeline und anderer privater Rettungsschiffe lahm gelegt wurde:
"Man kann die Menschen nicht einfach auf dem Meer sterben lassen. Man kann über Flüchtlinge in Europa von mir aus diskutieren, was man will. Aber Menschen wissentlich sterben lassen, das ist mit den europäischen Werten nicht vereinbar."
Den Vorwurf der Kritiker, dass Seenotrettungsaktionen wie die der Lifeline die Schlepper erst ermutige, in See zu stechen, weist Reisch zurück. "Wenn da etwas dran wäre, dann dürften jetzt gerade in der Zeit, wo keine Flüchtlingsrettungsschiffe unterwegs sind — und das sind ja nicht nur die privaten NGOs, sondern auch das Militär —, keine Unglücke passieren." Aber genau das Gegenteil sei der Fall.
(mw)
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