Segelfliegen

Die Kunst, mit der Luft zu schwimmen

05:37 Minuten
Ein Segelflugzeug im Schlepp, 12.07.2020
Einmal hinaufgezogen kann ein Segelflugzeug Stunden in der Luft verbringen. © imago / Arnulf Hettrich
Von Lea Eichhorn |
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Für Segelflieger gelten die gleiche Gesetze wie für die Vögel - sie sind immer auf der Suche nach warmen Aufwinden. Segelfliegen ist nicht nur ein Hobby, nicht nur ein Sport, sondern eine Lebenseinstellung.
Segelfliegen – ist das überhaupt ein Sport? Diese Frage höre ich oft. Auf den ersten Blick spricht einiges dagegen: In den meisten modernen Cockpit-Sitzen liege ich schon fast. Die Pedale an den Füßen lassen sich bequem an meine Beinlänge anpassen. Unter mir ein stoßabsorbierendes Sitzkissen. Im Nacken eine gepolsterte Kopfstütze. Klingt komfortabel oder? Na, dann wollen wir mal. Start an der Seilwinde.
Beim Start beschleunigt das Flugzeug in wenigen Sekunden von null auf etwa 120 Kilometer pro Stunde. Ich werde in den Sitz gedrückt. Oben klinke ich das Seil aus. Mich verbindet jetzt nichts mehr mit der Erde.

Segelfliegen ist Teamarbeit

Wie lange kann man da eigentlich oben bleiben? Wenn das Wetter passt, fliege ich mehrere Stunden. Dann wird es anstrengend. Im Sommer wird das Cockpit zum Gewächshaus – im Frühjahr oder Herbst werden meine Füße taub vor Kälte.
Das klingt jetzt wahrscheinlich nach einem recht einsamen Sport. Stundenlang allein im Cockpit. Segelfliegen klappt aber nur im Team. Alleine komme ich nicht in die Luft. Wenn ich fliege, helfen die anderen Vereinsmitglieder am Boden mit. Am nächsten Tag läuft es andersherum. Für unsere Leidenschaft opfern wir ein ganzes Wochenende.
Nachspiel Autorin Lea Eichhorn im Segelflieger.
Lea Eichhorn© Lea Eichhorn / Deutschlandradio
Dadurch ist es auch viel mehr als nur ein Hobby. Eigentlich ist es eher eine Lebenseinstellung. Von April bis Oktober, so lange geht die Saison, verbringe ich quasi jedes freie Wochenende auf dem Flugplatz. Meinen nicht-fliegenden Freunden gefällt das nicht immer: "Wie, zu Partys kommst du nur im Winter?"
Viele verstehen das nicht. Ich mag aber dieses etwas Kompromisslose am Fliegen. Ganz oder gar nicht. Du entscheidest dich vor dem Wochenende für oder gegen den Flugplatz. Wenn du da bist, bist du da, und die anderen zählen auf dich. Du schreibst nicht eine halbe Stunde vor der Verabredung eine WhatsApp-Nachricht: "Sorry, anstrengender Tag, lass uns das verschieben, o.k.?"

Ständige Suche nach Thermik

Zurück in der Luft. Vorne glitzert das Wasser der Müritzer Seenplatte. Unter mir erstreckt sich ganz viel Wald. Ich habe schon etwa 50 Kilometer hinter mich gebracht. Beim Strecke-Fliegen bin ich so konzentriert: Ich denke kaum an mein geschmiertes Brötchen und die Wasserflasche. Aber Trinken ist beim Fliegen wahnsinnig wichtig, um im Kopf fit zu bleiben.
Ich muss immer wieder Thermik suchen. Also warme Aufwinde, in denen ich nach oben kreisen kann. Zwischendurch: Durststrecken, auf denen ich kostbare Höhenmeter verliere. Das sind die stressigen, körperlich anstrengenden Momente. Mein Herz klopft noch schneller, meine Hand wird schwitzig. Meine Muskeln sind angespannt. Auf meiner Haut klebt Sonnencreme, Lichtschutzfaktor 50.
Blick aus dem Cockpit eines Segelflugzeugs.
© Lea Eichhorn / Deutschlandradio
"Hast du eigentlich keine Angst, alleine da oben?"
Nein, habe ich nicht. Obwohl ich normalerweise Höhenangst habe. Wenn ich zum Beispiel auf einen hohen Turm klettere und runtergucke. Beim Fliegen nicht. Ich und mein Flugzeug, wir sind ja Teil der Luft. Ich schwimme mit. Und die Höhe, der Blick von oben, ist fast das Schönste. Alles wird klein. Ich sehe: Spielzeugfelder, Spielzeugautos, Spielzeugwindräder.
Nur einmal hatte ich kurz Angst. Da war ich noch Flugschülerin. Zum allerersten Mal allein auf über 1500 Metern Höhe. Ich war unter einer dicken schwarzen Wolke hochgekreist. Und je näher ich der Wolke kam, desto stärker wurde die Thermik. Und plötzlich war da dieser Gedanke: Was, wenn mich die Wolke aufsaugt? Wie komme ich dann wieder runter?

Der rettende Vogel

Grundsätzlich finde ich es aber beruhigend, mich in das große Ganze, in die "Natur" einzufügen. Da oben gelten für mich die gleichen Gesetze wie für die Vögel, die mir ab und zu begegnen.
So wie bei meinem Streckenflug neulich. Ich bin auf der Suche nach Thermik, nach einem Aufwind. Ich denke: Über der Waldkante da unten, da geht’s bestimmt gut. Geht es aber nicht. Ich sinke. Im nächsten Moment sehe ich einen Vogel, vielleicht tausend Meter vor mir.
Vielleicht ein Bussard. Ich weiß es nicht. Aber was ich gleich sehe: Er kreist ein. Auch wenn Thermik nicht sichtbar ist, sehe ich, wie sie den Vogel förmlich anhebt. Ich fliege also auf ihn zu. Er ist inzwischen schon deutlich höher als ich. Kurze Zeit später merke ich, wie die Luft mich "hochhebt". Obwohl Worte mein Job sind, kann ich dieses Gefühl wirklich nicht beschreiben. Ich kann es nur zusammenfassen: Ich habe mit der Hilfe eines Greifvogels die Schwerkraft besiegt. Wenn das jetzt nicht sportlich klingt, dann weiß ich auch nicht weiter.
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