Segelfliegen

Lautlos über die norddeutsche Tiefebene

Segelfliegen ist Sport - vor allem Teamsport.
Segelfliegen ist Sport - vor allem Teamsport. © dpa / picture alliance / Thomas Frey
Von Tobias Nagorny |
Segelfliegen ist kein elitäres oder teures Hobby. Segelfliegen ist Sport - vor allem Teamsport. Das Angebot reicht vom Entspannungsflug nach Feierabend bis zum Wettkampf- und Segelkunstflug. Der verspricht reichlich Nervenkitzel.
"K13 wir haben in Charly Nord und Charly Süd jeweils 2500 Fuß."
Höher als 750 Meter darf die ASK 13 erstmal nicht – dann kommt die Wolkendecke. Es ist kalt und windig, wie so oft in Norddeutschland. Keine leichten Flugbedingungen. Trotzdem geht es für Flugschüler Sebastian gleich mit dem Segelflugzeug nach oben. Im steilen Winkel Richtung Wolken.
Sebastian: "Fallschirm ist richtig fest angelegt. Aufziehleine ist eingehängt. Funkgerät 1335 überprüft. Lautstärke ist okay. Startstrecke und Ausklinkraum sind frei. Der Wind kommt von links. Bei Seilriss nachdrücken. Fahrt aufholen. Dreimal nachklinken. Unter 100 Metern geradeaus landen. Über 100 Metern verkürzte Platzrunde mit dem Wind heute nach rechts. Haube schließen und verriegeln und dann geht's los."
Startleiter: "Hier ist der HAC-Start. Wir haben am Hang-Seil eine ASK, doppelsitzig, startklar. Seil anziehen. Seil stramm. Fertig."
Innerhalb von drei Sekunden beschleunigt das Flugzeug von 0 auf 100. Dann geht es am Kunststoffseil steil nach oben. Startleiter Uwe beobachtet den steigenden Segler und steht dabei im Funkkontakt mit Pilot und Windenfahrer. Ziemlich starker Seitenwind.
Startleiter: "Deutlich mehr zur Elbe vorhalten. Noch weiter. Seil ab. Ende."
Auf einer Höhe von 350 Metern wird die ASK 13 ausgeklinkt. Schwebt nun frei über dem Boberger See am Standrand von Hamburg. Jetzt muss der Pilot Thermik finden. Warme, aufsteigende Luft, die den Flieger weiter steigen lässt. Das geht am besten unter mächtigen, klar definierten Schäfchenwolken.
Miriam: "Sobald das Wetter super sonnig ist und man die super Sicht hat und bis zum Ende der Welt gucken kann, dann sitzt man da drin und sagt, ja, dafür hat es sich gelohnt, dafür haben wir aufgebaut, dafür mach ich das Hobby und dafür lohnt es sich, morgens früh aufzustehen und in der Kälte am Platz zu stehen und zu frieren. Jedes Mal, finde ich."
Marcel: "Also, was mir vor allem am Fliegen Spaß macht, ist vor allem die Freiheit, die man oben hat. Eben auch beim Segelfliegen vor allem. Man hat im Prinzip kein klar definiertes Ziel, außer man will oben bleiben. Man kann überall hinfliegen zu der Wolke, dahin. Bisschen schneller fliegen, bisschen langsamer, wie man eben möchte. Das ich da in der Entscheidung vollkommen frei bin, wie ein Vogel im Prinzip."
Frau: "Tja, das ist Freiheit pur da oben. Man muss sich aufs Fliegen konzentrieren und alles andere verblasst dann auch daneben. Ist voll auf das Fliegen fixiert. Also, wie im Auto, mal kurz rechts anhalten und verschnaufen ist nicht. Wenn man fliegt, dann fliegt man die ganze Zeit, bis man eben wieder Boden unter den Flächen hat."
Die ältesten Mitglieder sind 90 Jahre alt
Der Hamburger Aero-Club Boberg hat 250 Mitglieder. Gemeinsam bringen sie sich gegenseitig in die Luft. Die jüngsten sind gerade mal 14, die ältesten über 90 Jahre alt. Damit ist der HAC einer der größten Segelflugvereine Deutschlands. Auf dem Flugplatz, direkt vor den Toren Hamburgs, starten sie zu ihren Flügen über Norddeutschland.Damit alles klappt, ist Teamgeist wichtig. Sonst kommt hier keiner nach oben. Bei viel Betrieb geht hier ein Flugzeug nach dem anderen von der gut ein Kilometer langen Graspiste in die Luft. Dann ist vor allem am kleinen mobilen Start-Bus viel zu tun, von wo alles koordiniert und überwacht wird.
Funkspruch: "Boberg, ab sofort neue Höhenfreigaben. Nord und Süd 3000 Fuß, die Meldung braucht nicht bestätigt werden."
Startleiter Uwe beobachtet aufmerksam die Wolkendecke:
"Das sind übrigens hier die Cumuluswolken, die man jetzt hier sieht. Die so ein bisschen Quellwolkenartig hier sind. Sehr vereinzelt, aber die sind sozusagen Thermikanzeichen. Allerdings bei dem starken Wind kann das sein, das man das nicht so gut nutzen kann, weil man ja die Thermik nur dadurch nutzt, dass man immer nur im Kreis fliegt und durch den starken Wind sehr, sehr stark versetzt wird und aus diesem Thermikbereich raus versetzt wird. Insofern kann das sein, das die sich auch sehr auflösen. Hier kann man das grad oben sehen. Hier an dieser Wolke kann man das sehr schön sehen, wie die sich grad oben auflöst. Wenn man da jetzt drunter fliegt, da ist keine Thermik mehr."
Wenn die Thermik ausbleibt, reicht es immer noch zur sogenannten Platzrunde. Denn auch ohne Aufwinde kann ein Segelflugzeug aufgrund der aerodynamischen Bauweise und seiner großen Flügelspannweite wesentlich länger in der Luft ohne Motor gleiten als andere Flugzeuge. Und trotz des leichten Gewichts kommt es beim Windenschlepp auch immer wieder mal dazu, dass die Belastungen beim Start zu hoch sind. Dann reißt das Seil an einer Sollbruchstelle und das Flugzeug – steil nach oben ausgerichtet – hat keinen Auftrieb mehr. Darauf muss der Flieger immer vorbereitet sein.
"Jeder Pilot weiß das, wenn man ihn mitten in der Nacht aufweckt und fragt, was machst Du beim einem Seilriss, dann sagen sie sofort: Nachdrücken, Fahrt aufholen, auskurbeln, unter 100 Metern geradeaus landen, über 100 Metern mit dem Wind verkürzte Platzrunde fliegen. Das ist so ein Automatismus, der drin ist. Das hat man so verinnerlicht, dass es eigentlich kein Problem mehr ist. Man ist da nicht geschockt, also ich rechne jedes Mal damit, es kommt dafür eigentlich zu selten vor, aber es ist jetzt nicht so eine riesige Überraschung."
Fallschirmpflicht für Piloten, Flugschüler und Gäste
Auf der Piste macht sich gerade die 24-jährige Anna startklar. Für Piloten, Flugschüler und Gäste, die hier auch mitfliegen können, ist der Fallschirm absolute Pflicht:
"Sodele, jetzt ziehen wir erstmal einen Fallschirm an. Den haben wir immer dabei. Sehr gut. Und genau. Perfekt."
Eine Situation, in die der Pilot auf keinen Fall kommen möchte. Die aber auch äußerst selten eintritt, erzählt Hartwig Grothkopp, der Vorsitzende des HAC:
"Es gibt wenige Personen im Verein, die das tatsächlich mal gemacht haben. Und das ist nur in der Situation, wenn irgendwas vom Flugzeug abbricht. Bei einer Kollision. Oder einer hatte es mal gemacht, der hatte ein Flugzeug selber gebaut. So ein Experimentalflugzeug und er hat das getestet in Grenzbereichen. Und da ist tatsächlich ein Teil abgefallen, bei diesem Test. Und der musste aus seinem selbstgebauten Flugzeug rausspringen."
Die ASK 21 ist nicht selbst gebaut. Gut so. Anna hat vor kurzem die Fluglehrerlizenz bestanden. Für Mitte 20 bringt sie bereits viel fliegerische Erfahrung mit. Sie ist in den Alpen über dem Dachsteinmassiv gekreist oder in Norddeutschland Strecken von 300 Kilometern geflogen. Und alles ohne Motor.
Anna: "Machst Du noch eine Klinkprobe bitte schon mal?"
Stimme: "Ja!"
Anna: "Jo, so jetzt geht's los. Bei Seilriss ist halt echt Gas geben angesagt."
Autor: "Gas geben heißt?"
Anna: "Geschwindigkeit! Ist heute das halbe Leben aufgrund des starken Windes. Jo. Jetzt sehen wir gleich, dass das anzieht. Wird hinten relativ steil, nicht erschrecken. Wenn Frage ist, einfach los."
Ein kurzes Rollen auf der Graspiste. Nur wenige Meter. Dann hängt das Flugzeug frei am Seil. Das drückt einen ganz schön in den Sitz. Langsam wird alles kleiner. Der Boberger See. Die Häuser im angrenzenden Wohngebiet mit den aufgeräumten Gärten. Die Autos auf der A1. Unbeirrt steigt die ASK 21 weiter Richtung Wolken. Der Zeiger des Höhenmessers klettert auf 400 Meter. Dann wird ausgeklinkt.
Anna: "So, jetzt sind wir raus. Das ist jetzt das Variometer als akustisches Signal. Und jetzt geht's grad ziemlich runter. Wir versuchen jetzt zu den anderen da zu kommen. Mal gucken, wie weit wir da hinkommen."
Bei einem tiefen Variometer-Ton verliert man an Höhe. Bei einem hohen Ton geht's rauf.
"So, jetzt steigt es. Jetzt probieren wir mal unser Glück."
Gigantischer Panorama-Blick über Norddeutschland
Jetzt gleitet der Segler über die Norddeutsche Tiefebene. Links die Silhouette von Hamburg: der Michel, der Fernsehturm und der Containerhafen. Rechts reiht sich schachbrettartig und in klaren Konturen ein Feld an das andere. Fast surreal wirkt der gigantische Panorama-Blick aus der durchsichtigen Haube. Die Kanzel und die Luft, die das Flugzeug umströmt, trennen nur wenige Millimeter Plastik.
"So, jetzt geht's hier richtig rauf."
Aufmerksam beobachtet Anna den Luftraum. Scannt konzentriert den Himmel ab.
"Hier sind ja ganz viele andere Flugzeuge unterwegs. Und wenn ich da nicht aufpasse, dann rappeln wir zusammen."
Auf 650 Metern kreist das Flugzeug jetzt mit zwei anderen Segelfliegern im Aufwind unter einer Wolke. Wie in einer Choreografie.
"Wir haben jetzt noch 70 Meter, die wir noch steigen dürfen. Aber dann sind eh die Wolken da. Von daher. So, jetzt sind wir zu dritt auf gleicher Höhe, siehst du? Das ist immer ziemlich kritisch. Das ist jetzt hier die Flam-Warnung."
Das Flam ist das Kollisionswarngerät im Flugzeug.
"Und dann muss man sich halt immer dem langsamsten oder dem schwächsten Glied anpassen. In dem Fall bin ich jetzt voll das Sandwich. Ich hab die geringsten Chancen auszuweichen. Weil der hinter mir ganz nah ist und der vor mir auch. So, den Kreis drehen wir noch zu Ende und dann müssen wir hier weg."
Mit einem weit gezogenen Halbkreis um den Boberger See geht es nach einem knapp 25-minütigen Flug wieder runter. Die Häuser und Bäume werden langsam wieder größer und die ASK 21 setzt zur Landung an.
"So, da sind wir. Ich helf Dir gleich da raus."
Jetzt muss das Flugzeug zurück an die Startposition geschoben werden.
"Genau, jetzt machen wir Luftsport. Wir laufen zurück und schieben unser Flugzeug wieder an den Start, weil wir ja nochmal fliegen wollen. Oder wer anders oder so."
Ein Leben ohne das Fliegen kann sich Anna kaum noch vorstellen. Auch beruflich geht's bei ihr in Zukunft darum. Gerade hat sie ihr Ingenieurstudium beendet und wird im Anschluss daran in der Luftfahrtindustrie arbeiten. Ihre Freunde und Familie haben sich schon längst an ihre Leidenschaft gewöhnt.
"Also, meine Eltern freut das. Und mein Freund fliegt selber."
Das sportliche Angebot im Hamburger Aero-Club Boberg reicht vom Entspannungsflug nach Feierabend bis zum Strecken- und Segelkunstflug. Besonders bei den Langstreckenflügen sind Distanzen von hunderten Kilometern keine Seltenheit, erzählt der Vorsitzende des Vereins, Hartwig Grothkopp:
"Also, ich denke, dass die Zuschauer, die uns hier am Flugplatz zuschauen, den sportlichen Aspekt der Fliegerei nicht so wahrnehmen können. Die sehen hier beim schönem Wetter die Flugzeuge kreisen, starten und landen. Der sportliche Aspekt des Segelfliegens liegt ja zum einen daran, dass man sich große Strecken vornimmt. Also mit dem Segelflugzeug, ohne Motor, beispielsweise von Hamburg an die polnische Grenze um Berlin rum, über Magdeburg zurück nach Hamburg 800 Kilometer zu fliegen, das ist eine sportliche Höchstleistung, das nehmen natürlich die Zuschauer nicht wahr, weil das Flugzeug, wenn es gestartet ist, geht es auf Strecke und ist erstmal nicht mehr zu sehen."
Wenn kein Landeplatz in der Nähe ist, genügt ein Acker
Wenn sie es mal nicht mehr zurück schaffen, weil das Wetter schlecht wird oder die Thermik ausbleibt, können die Piloten auch auf den Segelflugplätzen anderer Vereine landen. Und wenn gerade keine offizielle Landepiste in der Nähe ist, dann geht der Flieger auf einem geeigneten Acker runter. Eine sogenannte Außenlandung ist nichts Außergewöhnliches – aber auch hier ist Teamgeist gefragt. Dann werden Pilot und Flugzeug vom Rückholdienst über die Straße wieder nach Hamburg gebracht.
Anna: "Also zwei hab ich mindestens im Jahr, das gehört dazu. Ich hab auch schon von Leuten gehört, die in ihrer ersten großen Streckenflugsaisons irgendwie zehn Außenlandungen hatten. Gibt's auch. Also, ja da muss man drüber stehen. Irgendwann wird das besser. Irgendwann wird das immer weniger mit dem Außenladen in der Regel."
Viele Vereinspiloten nehmen auch an Streckenflugwettkämpfen teil. Und der HAC fliegt in der ersten Bundesliga.
"Das ist dann halt wie Fußballbundesliga. Gibt es eine gewisse Anzahl an Wochenenden, drei Flüge kommen in die Wertung. Und geht um die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit innerhalb von zweieinhalb Stunden. Egal, wann. Auf welchem Flug und welches Größenweite, die schnellsten zweieinhalb Stunden werden da gewertet."
Aber vielen Fliegern reicht es auch, einfach im mittleren Tempo über die Lüneburger Heide oder die mecklenburgische Seenplatte zu gleiten. Entgegen weit verbreiteter Meinung ist Segelfliegen kein übermäßig teures oder elitäres Hobby. Aber es ist sehr zeitintensiv. Von April bis September wird geflogen, im Winter werden die Flugzeuge gewartet und repariert. Für die Flugschüler heißt es dann Luftrecht, Meteorologie und Flugtheorie pauken. Allein 34 Fluglehrer sind beim HAC-Boberg ehrenamtlich tätig.
Das erste Mal ganz allein in der Kanzel zu sitzen, ist für die angehenden Hobbypiloten auch mental eine große Herausforderung. An die Nacht davor kann sich Mirjam noch ganz genau erinnern.
Mirjam: "Auf jeden Fall, also ich hab ziemlich unruhig geschlafen oder fast gar nicht geschlafen und war sehr nervös und hatte - ja, nicht Schmetterlinge im Bauch, aber eben halt so, wenn mich einer gefragt hätte, willst Du noch was essen oder trinken oder reden, dann hätte ich denjenigen umgebracht. Ich wollte es einfach hinter mich bringen und wollte einfach erlöst sein und das endlich geschafft haben und das war hinterher ein ganz tolles Gefühl. Hätte ich die ganze Welt umarmen können. Das ist jetzt schon 22, 23 Jahre locker her."
Vor allem Segelflugvereine in ländlichen Regionen haben mit dem fehlenden Nachwuchs zu kämpfen. Und je weniger Leute sich engagieren, desto teurer wird das Fliegen.
"Ich brauche jemand, der mir hilft, im Winter das Flugzeug zu reparieren, nicht jeder darf an dem Flugzeug reparieren. Wir haben auch ausgebildetes Personal in Form von Werkstattleiter, Windenfahrer, Fluglehrer, Startleiter. Sehr viele verantwortungsvolle Positionen und ich finde Fliegen ist wirklich ein verantwortungsvolles Hobby und es bedarf an Leuten, Menschen, die sich selbst persönlich engagiert einbringen und die sich auch mal zurücknehmen können und ihren Selbstwert auch mal hinten anstellen können und sagen können, ich geh auch darin auf, das die Gemeinschaft lebt und was erlebt."
Wer sich fürs Segelfliegen interessiert oder es einfach mal ausprobieren möchte, kann beim HAC-Boberg auch Gastflüge machen oder eine Kurzmitgliedschaft für zwei Monate abschließen. Die Flieger im Verein haben sehr unterschiedliche berufliche und soziale Hintergründe. Ein Querschnitt der Gesellschaft.
"Wir haben vom Sozialhilfeempfänger wirklich bis zum Bankdirektor hier alles im Verein vertreten. Leute, die sich auch mal ein Privatflugzeug leisten können, bis hin zu demjenigen, der bei uns arbeitet in der Werkstatt, sich das Fliegen erarbeitet und dann im Sommer dadurch dann auch fliegen kann, ohne dass er Geld bezahlen muss. Wir haben auch Rentner bei uns im Verein, die ihre Rentenzeit bei uns im Verein verbringen. Man könnte darüber schmunzeln, wenn wir die nicht hätten, die haben hier die Winden zum Beispiel umgebaut und haben die neueste Technik eingeführt. Also, wenn wir die nicht hätten mit ihrem Knowhow in der Freizeit sich hier mit einzubringen, das kann man gar nicht bezahlen alles."
Zum Loopingflug mit dem Schleppflugzeug
Eine Woche später. Klare Sicht. Kaum Wind. Die Sonne scheint: Kunstflugbedingungen.
Olaf: "Ja, die Kräfte, die jetzt auf den Körper wirken sind natürlich höher, als, sagen wir mal, im normalen Streckensegelflug. Im Kunstflug hast Du ein bisschen mehr. Aber das wirkt das meisten nur sehr kurzzeitig und kann man dadurch auch gut wegstecken."
Olaf: "HAC-Start Bravo Alpha?"
Startleiter: "Start hört!"
Olaf: "Heinrich, kannst Du gleich mal den offiziellen Beobachter für Luftraum Charly machen, wenn wir turnen?"
"Turnen" sagen die Flieger, wenn sie Kunstflugfiguren machen. Dafür muss eine sogenannte Kunstflugbox auch beim Hamburger Airport in Fuhlsbüttel angemeldet werden. Ein Luftraum von einem Quadratkilometer. Da man dabei wesentlich höher ausklinken muss, als beim gewöhnlichen Start an der Winde, geht es diesmal mit dem Schleppflugzeug nach oben.
Startleiter: "Vorderer Sitz Olaf Rehme, hinterer Sitz C-Gast und das Ganze als Werkstattflug bitte."
Olaf Rehme ist Fluglehrer, Streckenflieger und Kunstflugpilot. 43 Jahre alt. Er ist Ingenieur in Hamburg und schaffte es im ESA-Astronauten-Auswahlverfahren 2008 bis unter die letzten elf deutschen Teilnehmer.
Olaf: "Sierra Quebec nochmal, bitte?"
Sierra Quebec: "Jetzt bist Du drauf. Also, ich hör Dich jetzt mit 5. An den östlichen Rand der Box wollt in 25 wollt ihr, ne?"
Olaf: "Positiv!"
Startleiter: "Sierra Quebec, Seil stramm, fertig."
Sierra Quebec: "Seil stramm. Schleppflug startet auf der 30."
Olaf: "Frei."
Nach ein paar Minuten im sanften Steigflug hat das Flugzeug die nötige Höhe erreicht.
Olaf: "Da vorne auf 10 Uhr siehst Du diese länglichen Rapsfelder. Kurz vor dem Bergedorfer Fernsehturm. Da drüber befindet sich unsere so genannte Kunstflugbox."
Funkspruch: "Echo Delta, bitte wackeln."
Autor: "Okay, jetzt hat er ausgeklinkt, ja?"
Olaf: "Er hat ausgeklinkt. Wir geben ihm mal kurz Zeit zu verschwinden."
Autor: "Ist schon eine ganz schön krasse Perspektive, ehrlich gesagt."
Olaf: "Jetzt bist Du höher als beim Windenstart, ne?"
Autor: "Ja, ganz genau."
Olaf: "So, schau mal, wir sind hier am Rand der Box. Da vorne ist das Schleppflugzeug. Genau vor uns. Der verdrückt sich. Und wir gehen hier an den Rand der Box."
Olaf: "Die Bravo Alpha geht in die Kunstflugbox und beginnt gleich mit Kunstflug. Dann gehört das sogenannte Anwackeln mit dazu. Das heißt, auch von unten sichtbar, wir beginnen gleich mit Kunstflug. Einmal Fläche nach links, einmal nach rechts und dann geht's auch schon los mit dem ersten Looping. Bist Du bereit?"
Autor: "Äh..."
Olaf: "Okay! Die Nase geht runter und wir beschleunigen."
Autor: "Oh, mein Gott."
Olaf: "150, 180, einmal Waagerecht und jetzt ein Looping! In die Rückenlage. Schau mal, die Welt steht Kopf! Und es geht wieder runter."
Autor: "Uhuuuuh!"
Olaf: "Und 200 km/h. Dann machen wir mal eine Steilkurve rechts rum, weil wir so schön schnell sind. Sollen wir nochmal ein bisschen Rückenflug machen?"
Autor: "Nee, nee, wenn dann lieber noch einen Looping überhaupt erstmal."
Olaf: "Noch ein Looping? Dann beschleunigen wir nochmal."
Autor "Ach, jetzt schon wieder?"
Olaf: "Okay. 150, 160, 170, 180. Einmal waagerechte Linie zeigen, die Welt steht Kopf. Und es wird ganz leise. Und die Welt hat uns wieder!!! Noch einen?"
Autor: "Ja, okay, ein noch, sehr gerne!"
Olaf: "Nochmal beschleunigen. Zack. Gerade und hoch. Merkst du die Kräfte? Und ganz entspannt mit 170 unten raus. So, jetzt haben wir schon die Höhe erreicht bis zu der wir maximal Kunstflug betreiben dürfen, also müssen wir und hier wieder abmelden. Die Bravo Alpha beendet Kunstflug."
Autor: "Wahnsinn!"
Olaf: "Aber Looping an sich ist harmlos, weil du hast jetzt gemerkt, die maximalen Kräfte, das waren jetzt vielleicht viereinhalb G, also das viereinhalbfache des Körpergewichts."
Autor: "Man merkt auch, wie sich das Gesicht verzieht."
Olaf: "Ja, allerdings!"
Autor: "Aber du bist da ja ganz cool."
Olaf: "Ja, also wie bei vielen anderen Dingen im Leben auch, kann man sich auch an solche Sachen gewöhnen."
Das Wichtigste beim Segelfliegen ist die Konzentration
Das Segelflugzeug auch in einer so ungewöhnlichen Situation einschätzen und beherrschen zu können, ist nach Meinung vieler Piloten ein Gewinn an Sicherheit. Aber das braucht viel Erfahrung und eine zusätzliche Ausbildung. Egal, ob beim Genussflug in der Abendthermik oder beim Looping, der Pilot muss jeden Moment voll bei der Sache sein.
Olaf: "Ja, ich sag mal beim Fliegen selber herrscht doch eigentlich die Konzentration vor. Das Gefühl mit Freiheit würde ich jetzt nicht unbedingt hervorheben wollen. Also, beim Fliegen ist es eher die Konzentration, aber trotzdem schafft man es gleichzeitig auch zu genießen. Und dann hat man eben eine tolle Sicht auf Hamburg, den Hamburger Hafen, die Elbe und andere Dinge und dann kann man natürlich auch zwischendurch genießen."
Dabei ist es neben der Konzentration in der Luft auch wichtig, mögliche Risiken und die eigene Tagesverfassung richtig einzuschätzen.
"Also, ich halte Segelfliegen nicht für jetzt explizit gefährlich. Aber man muss sich eigentlich trotzdem dessen bewusst sein, das man sich in einer Umgebung bewegt, in die man eigentlich nicht hingehört, für die man nicht gemacht ist. Und wo man sich nur aufgrund von technischen Hilfsmittel dort bewegen kann."
Und vielleicht ist es das, was die Faszination beim Gleiten durch die Luft ausmacht. Sich über physikalische Naturgesetze hinwegsetzten, um die rundum-Perspektive und einzigartige Momente zu erleben. In der späten Nachmittagssonne ziehen noch zwei Flugzeuge weit oben ihre Kreise, während ein anderes zur Landung ansetzt. Ein leichter Wind zieht von der Nordsee auf. Lange wird es heute keine Thermik mehr geben. Aber wenn das Wetter gut ist, sind sie nächstes Wochenende wieder da, schwebend über der norddeutschen Tiefebene.