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Wie es ist, einen Star zu lieben

29:45 Minuten
Verzückter weiblicher Fan der Beatles in New York bei einem Konzert 1965.
Beatles-Fan 1965: Die innige Liebe zu Stars gibt es auch heute noch. © imago / LFI
Von Simone Wienstroer · 25.09.2022
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Mit der Beatle-Manie in den 60er-Jahren wurde das Anhimmeln von Stars öffentlich. Durch Internet und Socia Media hat sich viel verändert, aber nach wie vor verlieben sich viele Teenager in Idole, die unerreichbar sind. Eine Art Übung fürs echte Leben.
Mit 14 Jahren im Fanclub, mit 18 dann der Umzug nach London, um dem angehimmelten Star nah zu sein. Dagmar, heute Anfang 50, hat das alles hinter sich, sie war ein sogenanntes Fan-Girl. Und das bereut sie nicht. Sie rannte über Jahre den Pet Shop Boys hinterher und erlebte in der Fan-Gemeinschaft Solidarität und Zugehörigkeit. Aber auch andere Fähigkeiten musste sie als 18-Jährige in ihrem neuen Leben in London perfektionieren. Dazu gehörte die englische Sprache und auch die Selbstständigkeit als Jugendliche, die allein auf Wohnungs- und Arbeitssuche ging.

Auf Wolke sieben und dann Liebeskummer

Beziehungen, die nur im Kopf stattfinden - was hat man davon? Manchen pubertierenden Jugendlichen hilft es bei der Suche nach Identität, wenn sie sich durch die Liebe zum Star eine eigene Welt schaffen und dadurch von anderen unterscheiden. Fast alle Teenager erleben solche Phasen, nicht alle tauchen so radikal ein wie Dagmar.
Eine Gruppe von Harry Styles Fans, alle halten ihre Smartphones hoch und fotografieren und filmen.
Dem Star nahe sein: hier eine aktuelle Gruppe Harry Styles Fans© imago / Pacific Press Agency / Lev Radin
„Natürlich hatte ich auch Liebeskummer, es war ja völlig hoffnungslos,“ erinnert sie sich. „Dann dämmert dir einfach: Es hat keinen Zweck. Da ist man auch mal in ein Loch gefallen. Ich hatte ja tatsächlich auch Angst vor echten Männerkontakten. Also mit 14 hätte ich meinen ersten Freund haben können, aber der hat seinen Arm um mich gelegt und ich bin zu Stein erstarrt. Also, ich hatte einfach Angst. Und vielleicht lag’s auch daran, dass ich mir Männer gesucht hab, die nicht erreichbar waren.“

Eine Art Realitätsflucht

Die Liebe zu einem Star ist eine Art Realitätsflucht, sagt Martin Huppert. Er ist Medienpsychologe und hat seine Doktorarbeit über Fan-Kult geschrieben. „Das Schwärmen an sich für einen Star ist ja so etwas wie ,Verliebtsein-Üben‘. Man kann aus sicherer Distanz erleben, wie es ist, Beziehungen zum anderen Geschlecht - vielleicht auch zum gleichen Geschlecht - auf jeden Fall intime Beziehungen vorzubereiten.“
Kreischender weiblicher Fan von Ringo Starr (The Beatles) in New York 1965
Während der Beatle-Manie in den 60er-Jahren sah die Welt erstmals in den Nachrichten Bilder von scheinbar liebestollen Jungen und Mädchen.© imago / LFI
Während der Beatle-Manie in den 60er-Jahren sah die Welt erstmals in den Nachrichten Bilder von scheinbar liebestollen Jungen und Mädchen, die selbst durch Polizeigewalt nur schwer davon abgehalten werden konnten, sich auf die vier Objekte ihrer Begierde zu stürzen. Ähnliche Zustände erzeugen heute Stars wie die Popsänger Harry Styles und Shawn Mendes – nicht nur in der Realität, sondern auch im Netz, wo die tumultartigen Szenen direkt gepostet werden.

Virtuelle Stars sind einfacher zu handhaben

Und inzwischen gibt es sogar Stars, die nicht aus Fleisch und Blut sind. Heldenhafte Kämpfergestalten und Frauen mit Kulleraugen und Riesenbrüsten: Figuren aus japanischen Mangas und Animes sind bei vielen jungen Menschen mehr als angesagt. In Japan ist es mittlerweile sogar möglich, die angebetete Anime-Flamme offiziell zu heiraten. Wie kann es dazu kommen, dass Menschen ihr Herz an eine digitale Figur binden?
Katha Joos hat einen virtuellen Liebling: Soji Okita. Ein Samuraikrieger, erschaffen nach dem Vorbild einer historischen Person aus dem Japan des 19. Jahrhunderts. Auf dem Rechner sieht er natürlich super aus – eine idealisierte Gestalt mit geheimnisvollem Blick unter verwegen-strähniger Frisur. Charakterlich tritt er auf als Beschützer – und zeichnet sich aus durch einen trockenen schwarzen Humor.
Verliebt hat sich Katha in Soji vor fünf Jahren in einem Otome – ein Computerspiel, das wie eine Art Flirtsimulator funktioniert. Otomes richten sich gezielt an junge Frauen und Mädchen. In der Rolle einer weiblichen Protagonistin versucht die Gamerin durch virtuelles Handeln romantische Beziehungen zu männlichen Figuren aufzubauen.
Soji spricht zu Katha auf Japanisch mit englischen Untertiteln: Auch wenn Katha weiß, dass alles nur ein Spiel ist, hat sie sich emotional ordentlich in den Samurai verguckt. Sie bezeichnet Soji sogar als ihren fiktiven Ehemann, ihren Husbando – wie man in Fachkreisen sagt. Weibliche digitale Ehepartnerinnen nennt man Waifus.
An ihrem Husbando schätzt sie besonders seine, wie sie es nennt: „verbalen Arschtritte“.
Wenn man einen Husbando hat, kann man dann keinen realen Partner haben? „Doch, also das hat mich in der Hinsicht nie behindert“, sagt Katha. „Man kann sich in fiktive Figuren vergucken, aber reale Partner haben den unschätzbaren Vorteil, dass man sie anfassen kann!“

Ein bisschen was bleibt zurück

Dagmar musste mit ihrer Liebe zu den realen Pet Shop Boys deutlich mehr Einsatz zeigen als Katha. Dagmar zog nach London, um ihren Idolen nahe zu sein, Katha schmeißt einfach den Rechner an.
Dagmars Karriere als Fan-Girl endete abrupt: Sie verliebte sich in einen Normalsterblichen. Die Treue zur Band und besonders zu ihrem damaligen Idol Neil Tennant, heute 67 Jahre alt, ist aber geblieben. Ein Konzertticket für die Pet Shop Boys im nächsten Jahr hat sie sich schon gekauft.
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