Sehnsucht "nach einer Welt vor der Moderne"
Dass das heidnische Wintersonnenwendfest ein Vorläufer unseres Weihnachtsfestes ist, sei eine zweifelhafte Annahme, meint Kai Funkschmidt. Ohnehin sei die Wiederbelebung neuheidnischer Bräuche eher eine "Minderheitengeschichte".
Ralf Bei der Kellen: In diesem Jahr beginnt auf der Nordhalbkugel der Erde am 22. Dezember der Winter. An diesem Tag, der sogenannten Wintersonnenwende, steht die Sonne am tiefsten am Horizont, weshalb es der Tag mit der kürzesten Lichtphase ist. Viele Menschen freuen sich darauf, dass nun die Tage wieder länger werden, auch wenn die kalte Jahreszeit noch bevorsteht. In den religiösen Vorstellungen früherer Zeiten nahm die Sonne häufig eine zentrale Stellung ein. In antiken Kulturen wurde die Wintersonnenwende häufig mit einem Fest begangen. Je größer die Diskrepanz zwischen Tag und Nacht, je größer der Unterschied zwischen warmem Sommer und hartem Winter, desto wichtiger war dieses Fest, das die Wiedergeburt der Sonne markierte. In den Kulturen Skandinaviens heißt die Wintersonnenwende Julfest. Auch Weihnachten nennt man dort bis heute Jul. Und im Englischen gibt es neben dem Wort Christmas auch noch den Begriff Yule oder Yuletide. Heute wird das Julfest von vielen neuheidnischen und esoterischen Gruppen wieder gefeiert, sozusagen als Urform des Weihnachtsfests.
Ich habe vor der Sendung mit Dr. Kai Funkschmidt, Referent der Evangelischen Zentrale für Weltanschauungsfragen, EZW, in Berlin gesprochen und wollte zunächst von ihm wissen, inwiefern heidnische Wintersonnenwendfeiern Einfluss auf das christliche Fest genommen haben?
Kai Funkschmidt: Die Frage beinhaltet schon eine Annahme, nämlich die, dass es ein heidnisches Wintersonnenwendfest gegeben habe und dass das der Vorläufer unseres Weihnachtsfestes sei. Diese Annahme wird zwar heute weitverbreitet erzählt, aber sie ist zweifelhaft. Man muss eigentlich noch weiter zurückgehen. Man muss zurückgehen, warum Christen überhaupt Weihnachten feiern und warum ausgerechnet an diesem Datum. Und da kommt man im Grunde erst bei den Römern zum Stillstand mit der Suche, also in sehr früher christlicher Zeit, lange bevor die heutigen das, was wir als Heiden bezeichnen, also, auf die sich die Neuheiden noch berufen, überhaupt ins Licht der Geschichte getreten sind. Die erste Frage, die spannend ist, warum feiern Christen überhaupt einen Geburtstag – denn sonst feiert eigentlich die Kirche immer die Todestage, es gibt ganz wenige Heilige, bei denen der Geburtstag gefeiert wird, Weihnachten, Jesus ist einer davon, der andere ist Johannes der Täufer –, das stammt aus etwa dem vierten Jahrhundert. Und da gibt es zwei Hypothesen, warum das ausgerechnet am 25. Dezember ist. Die eine ist die sogenannte Berechnungshypothese, der zufolge die Welt geschaffen wurde am 25. März, Frühlingsbeginn, das liegt ja nahe, als alles neu wird, das ist eine jüdische Tradition. Dazu kommt eine zweite jüdische Tradition, dass Menschen, große Menschen an demselben Tag sterben, an dem sie geboren sind, also Todestag und Geburtstag dasselbe Datum haben. So käme man auf den 25. März für Jesus, das wäre naheliegend. Das Problem ist aber, wir feiern ja gar nicht am 25. März den Geburtstag, sondern am 25. Dezember. Da ist die Hilfshypothese, dass man sagt, es geht nicht um die Geburt, sondern es geht darum, als Jesus geschaffen wurde im Leib von Maria, also durch den Heiligen Geist, nicht geschaffen, sondern gezeugt wurde. Und neun Monate später kommt man dann auf Weihnachten und so haben wir also dieses Datum. Das hat zusätzlich den aparten Reiz, dass wir aus der Bibel wissen, dass ein halbes Jahr vorher Johannes der Täufer geboren wurde, und der fällt dann genau auf die Sommersonnenwende. Das ist die eine Hypothese, die ist heute vor allen Dingen im angelsächsischen Bereich bei den Forschern verbreitet. Die andere Hypothese – und das ist die, die eigentlich mehr in das hineinspielt, was Sie jetzt gefragt haben – ist die religionswissenschaftliche, der zufolge das Christentum sich da anlehnte an eine andere Religion. Und da wäre zu denken an den Kult des Sol Invictus, des unbesiegten Sonnengottes der Römer. Und der feiert in der Tat die Geburt des Sonnengottes. Und da ist die Annahme, dass die Christen als Gegengewicht für ihre eigenen Gläubigen, um sie davon abzuhalten, an diesen Feiern teilzunehmen, Weihnachten auf den 25. Dezember gelegt hätten – das ist die Wintersonnenwende nach dem Julianischen Kalender, das ist also leicht verschoben – und dass so praktisch eine Gegenbewegung zu einer alten oder einer anderen Religion den Weihnachtstag auf den 25.12. gelegt habe.
Bei der Kellen: Und welche Spuren des heidnischen Festes, also dieses heidnischen Festes oder anderer heidnischen Feste finden wir denn heute noch im Weihnachtsfest und seinen Bräuchen wieder?
Funkschmidt: Das, was meistens gesagt wird, dass es im Weihnachtsfest sich noch erhalte, sind nicht römische Spuren, sondern man denkt da an germanische Tradition. Und da ist das Problem, dass wir fast kein historisches Wissen haben über diese vorchristlichen Germanen, weil die fast keine schriftlichen Quellen hinterlassen haben, und die nordgermanischen Quellen stammen alle aus schon christlicher Zeit. Das heißt, da ist ganz vieles erst mal spätere Rekonstruktion. Die Bezugnahmen auf die Sonnenwende selbst reichen in weit vorheidnische, auch vorrömische Zeit zurück, wir haben schon archäologische Quellen aus der Bronzezeit. Das heißt, man kann davon ausgehen, dass Menschen immer schon wussten, wann die Sommer- und Wintersonnenwende sind. Von unseren heutigen Festbräuchen, da wird manchmal behauptet, dass manche dieser Sachen heidnischen Ursprungs seien: Also, beliebt ist der Weihnachtsbaum, der soll dann eine Modifizierung der Thor- oder Donarseiche sein oder ein altes Fruchtbarkeitssymbol; der Adventskranz, habe ich gefunden, wird behauptet, sei ein alter germanischer Ringzauber gewesen. Das Problem ist, das ist alles völlig ohne Belege und man muss ehrlich sagen, bei diesen Beispielen zumindest ganz klar ist das reine Fantasie. Denn wir wissen von allen diesen Traditionen, dass sie aus dem 19. Jahrhundert stammen. Es gibt einige kleinere Traditionen, die in vorchristliche Zeit zurückreichen, zum Beispiel die Idee, man könne in dieser Zeit in die Zukunft schauen. Dahinter steht der Gedanke, dass zur Sommer- und Wintersonnenwende die Sonne kurz stillsteht, weil sie ihre Richtung wechselt. Und wenn die Sonne stillsteht, steht die Zeit still und das erlaubt uns einen Blick in die Zukunft. Da könnte man sich fragen, ob zum Beispiel der Brauch, der an Silvester gefeiert wird, des Bleigießens, ob das so ein Rest davon sei. Ein bisschen stärker in die Richtung dessen, was Sie gefragt haben, weist der Julbock. Das ist etwas, was es bei uns zwar nicht gibt, aber in Skandinavien. Und manchmal dann auch bei uns, weil Ikea ihn hier verkauft hat, zumindest vor ein paar Jahren, ich weiß nicht, ob er dieses Jahr im Angebot ist. Der Julbock ist eine Struppfigur, ein Ziegenbock, unter dem oder auf dem in Skandinavien die Geschenke präsentiert werden. Und da gibt es die Annahme, der weise zurück auf die Zugtiere vom Wagen des Thor oder Donar. Das ist eine Sache, die vielleicht noch am konkretesten ist. Was es gar nicht mehr gibt, die ursprüngliche Julnacht in Skandinavien, das war ein ziemlich ekstatisches Fest mit Gelagen, Trinken und der Rausch gehörte dazu. Da gibt es Quellen aus dem 17. Jahrhundert in Großbritannien, in England, die das verboten, den Christen. Das heißt also, das Saufen und wilde Feiern, das wurde damals speziell an Weihnachten verboten. Ob das allerdings ein Überleben eines alten germanischen Brauchtums war oder einfach nur ein Entarten des christlichen Weihnachtsfestes, das lasse ich jetzt hier mal offen.
Bei der Kellen: Wie begehen denn die neuheidnischen und neopaganen Kulte, die es heute gibt, und auch andere esoterische Gruppen das Wintersonnenwendfest dieser Tage?
Funkschmidt: Darf ich vielleicht zunächst mal fragen, woher kommt eigentlich die Faszination für diese germanische Vergangenheit, wie sie in neuheidnischen Gruppen praktiziert wird, also die Motivation? Dann erkennen wir nämlich auch, wie das begangen wird. Mir scheint, dass die Popularität dessen die Sehnsucht ist nach einer Welt vor der Moderne. Das ist eine Reaktion auf eine ausgesprochen komplexe und verwirrende gegenwärtige Welt, in der wir leben. Die technische Welt macht alles einerseits beherrschbar und andererseits aber auch schwer durchschaubar. Da gibt es eine gewisse Sehnsucht nach einer Welt, die noch einfach und integriert war. Der zweite Teil ist, glaube ich, eine Sehnsucht nach Verzauberung. Das Gleiche gab es schon im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die Aufklärung, die ja auch schon alles entzaubert hat, die Romantik zum Beispiel war eine Reaktion, die versuchte, die Welt wieder zu verzaubern. Das ist die Sehnsucht, glaube ich, die hinter den neuheidnischen Traditionen steht. Und in der Tat ist es so, dass das sogenannte Julfest, das in der Wintersonnenwende gefeiert wird, das höchste Fest in vielen dieser neuheidnischen Gruppen ist. Historisch ist zu sagen, das ist zweifelhaft, dass es ein solches vorchristliches Sonnenwendfest gegeben hat. Das wissen wir nicht, das können wir nur annehmen. Die Bräuche, die dort heute praktiziert werden, sind zum Teil solche, die mit dem Schmuck zu tun haben, man schmückt also sein Haus mit immergrünen Zweigen als Symbol der Fruchtbarkeit mit Buchsbaum und Eibe und Wacholderzweigen. Und da, wo die Gruppen organisiert sind, wo sie sich wirklich treffen, da versammeln sie sich an sogenannten Kraftorten. Manchmal ist das auch geheim, gerade diese neugermanischen, deutschtümelnden Gruppen, die geben das nicht vorher bekannt. Manchmal sind das Orte wie die Externsteine im Teutoburger Wald. Da ist vieles, was mit Feuerbräuchen zu tun hat, das heißt, da wird ein großes Feuer entzündet, dann gibt es einen Tanz um das Feuer, manchmal gibt es einen sogenannten Feuersprung. Der geht direkt zurück auf die Nazis, muss man sagen, wo Leute durchs Feuer springen und damit einen Neubeginn symbolisieren, manchmal auch Paare Hand in Hand. Runenorakel sind etwas, was in letzter Zeit beliebt ist, das sieht so aus, dass man Runen auf Steine oder auf Karten zeichnet und sie dann zieht, und aus drei Runen zusammen wird dann ein Orakel, weil jede Rune für ein bestimmtes Orakel steht, für eine bestimmte Weissagung steht. Damit soll das nächste Jahr erkennbar werden. Und es gibt ein sogenanntes Runenjoga, das ist was ganz Interessantes, das sieht so aus, dass man, die kleine Gruppe Menschen, die da ist – das sind meistens kleinere Versammlungen –, in bestimmten Formen aufstellt, sodass sie eine Rune bilden. Und das soll, das, was mit dieser Rune geistlich assoziiert wird, auf diese Menschen als Kraft übertragen. Also, der Versuch einer Symbolmagie, indem man ein Symbol mit Menschen stellt, die Kraft dieses Symbols auf sie zu übertragen.
Bei der Kellen: Was denken Sie, was äußert sich in dieser scheinbar immer stärker werdenden Rückbesinnung auf diese vielleicht auch nur vermeintlichen vorchristlichen spirituellen Wurzeln?
Funkschmidt: Vordergründig will ich mal mit einem Gedicht von Emanuel Geibel antworten, das ist der Mann, der das Lied "Der Mai ist gekommen" gedichtet hat. Der schrieb: "Glaube, dem die Tür versagt, steigt als Aberglaube ins Fenster. Wenn die Götter ihr verjagt, kommen die Gespenster!" Oder ganz kurz gesagt: Wenn der Glaube geht, kommt der Aberglaube. So könnte man es kurz und ein bisschen pointiert, auch ein bisschen polemisch sagen. Dazu muss man sagen, so populär das für die öffentliche Aufmerksamkeit, auch für die Medien und so spannend das auch ist, diese ganzen neuheidnischen Bräuche sind eine ganz kleine Minderheitengeschichte. Das ist wirklich alles überschaubar und spielt sich im Bereich von vielleicht ein paar Tausend Leuten in Deutschland ab. Die meisten Menschen feiern Weihnachten doch immer noch relativ traditionell. Ich sehe allerdings andere Veränderungen an Weihnachten, die wesentlich markanter sind: Es ist so, manche Bräuche entstehen, manche Bräuche vergehen. Und noch vor kurzer Zeit zum Beispiel war es so, dass in der römisch-katholischen Kirche nicht vier Adventssonntage gefeiert wurden, sondern sechs. Das war noch vor 1965 so und ist erst jetzt auf vier gegangen und kein Mensch erinnert sich mehr daran, dass es früher mal sechs waren. Persönlich habe ich jetzt wenig Sorge, ich sehe zwar auch, dass es eine Loslösung der Weihnachtsfeier in der Gesellschaft von ihren religiösen Wurzeln gibt, dass eine schon starke entchristlichte oder nachchristliche Gesellschaft immer noch Weihnachten feiert, aber im Grunde nicht mehr so richtig weiß, welchen Inhalt das hat. Als Christ sehe ich das aber auch wiederum relativ gelassen, weil die Kirche nun immer wieder durch Krisen gegangen ist in ihrer Geschichte und weil ich darauf vertraue, dass es jetzt nicht davon abhängt, was wir tun und machen, dass Weihnachten weiterhin gefeiert wird. Weil letztlich die Substanz über das hinausgeht, was wir als Gesellschaft und auch wir als Kirche dazu tun und sagen können. Insofern habe ich da Vertrauen, dass Weihnachten stärker ist als die jetzige Entkirchlichung und auch Kommerzialisierung des Ganzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ich habe vor der Sendung mit Dr. Kai Funkschmidt, Referent der Evangelischen Zentrale für Weltanschauungsfragen, EZW, in Berlin gesprochen und wollte zunächst von ihm wissen, inwiefern heidnische Wintersonnenwendfeiern Einfluss auf das christliche Fest genommen haben?
Kai Funkschmidt: Die Frage beinhaltet schon eine Annahme, nämlich die, dass es ein heidnisches Wintersonnenwendfest gegeben habe und dass das der Vorläufer unseres Weihnachtsfestes sei. Diese Annahme wird zwar heute weitverbreitet erzählt, aber sie ist zweifelhaft. Man muss eigentlich noch weiter zurückgehen. Man muss zurückgehen, warum Christen überhaupt Weihnachten feiern und warum ausgerechnet an diesem Datum. Und da kommt man im Grunde erst bei den Römern zum Stillstand mit der Suche, also in sehr früher christlicher Zeit, lange bevor die heutigen das, was wir als Heiden bezeichnen, also, auf die sich die Neuheiden noch berufen, überhaupt ins Licht der Geschichte getreten sind. Die erste Frage, die spannend ist, warum feiern Christen überhaupt einen Geburtstag – denn sonst feiert eigentlich die Kirche immer die Todestage, es gibt ganz wenige Heilige, bei denen der Geburtstag gefeiert wird, Weihnachten, Jesus ist einer davon, der andere ist Johannes der Täufer –, das stammt aus etwa dem vierten Jahrhundert. Und da gibt es zwei Hypothesen, warum das ausgerechnet am 25. Dezember ist. Die eine ist die sogenannte Berechnungshypothese, der zufolge die Welt geschaffen wurde am 25. März, Frühlingsbeginn, das liegt ja nahe, als alles neu wird, das ist eine jüdische Tradition. Dazu kommt eine zweite jüdische Tradition, dass Menschen, große Menschen an demselben Tag sterben, an dem sie geboren sind, also Todestag und Geburtstag dasselbe Datum haben. So käme man auf den 25. März für Jesus, das wäre naheliegend. Das Problem ist aber, wir feiern ja gar nicht am 25. März den Geburtstag, sondern am 25. Dezember. Da ist die Hilfshypothese, dass man sagt, es geht nicht um die Geburt, sondern es geht darum, als Jesus geschaffen wurde im Leib von Maria, also durch den Heiligen Geist, nicht geschaffen, sondern gezeugt wurde. Und neun Monate später kommt man dann auf Weihnachten und so haben wir also dieses Datum. Das hat zusätzlich den aparten Reiz, dass wir aus der Bibel wissen, dass ein halbes Jahr vorher Johannes der Täufer geboren wurde, und der fällt dann genau auf die Sommersonnenwende. Das ist die eine Hypothese, die ist heute vor allen Dingen im angelsächsischen Bereich bei den Forschern verbreitet. Die andere Hypothese – und das ist die, die eigentlich mehr in das hineinspielt, was Sie jetzt gefragt haben – ist die religionswissenschaftliche, der zufolge das Christentum sich da anlehnte an eine andere Religion. Und da wäre zu denken an den Kult des Sol Invictus, des unbesiegten Sonnengottes der Römer. Und der feiert in der Tat die Geburt des Sonnengottes. Und da ist die Annahme, dass die Christen als Gegengewicht für ihre eigenen Gläubigen, um sie davon abzuhalten, an diesen Feiern teilzunehmen, Weihnachten auf den 25. Dezember gelegt hätten – das ist die Wintersonnenwende nach dem Julianischen Kalender, das ist also leicht verschoben – und dass so praktisch eine Gegenbewegung zu einer alten oder einer anderen Religion den Weihnachtstag auf den 25.12. gelegt habe.
Bei der Kellen: Und welche Spuren des heidnischen Festes, also dieses heidnischen Festes oder anderer heidnischen Feste finden wir denn heute noch im Weihnachtsfest und seinen Bräuchen wieder?
Funkschmidt: Das, was meistens gesagt wird, dass es im Weihnachtsfest sich noch erhalte, sind nicht römische Spuren, sondern man denkt da an germanische Tradition. Und da ist das Problem, dass wir fast kein historisches Wissen haben über diese vorchristlichen Germanen, weil die fast keine schriftlichen Quellen hinterlassen haben, und die nordgermanischen Quellen stammen alle aus schon christlicher Zeit. Das heißt, da ist ganz vieles erst mal spätere Rekonstruktion. Die Bezugnahmen auf die Sonnenwende selbst reichen in weit vorheidnische, auch vorrömische Zeit zurück, wir haben schon archäologische Quellen aus der Bronzezeit. Das heißt, man kann davon ausgehen, dass Menschen immer schon wussten, wann die Sommer- und Wintersonnenwende sind. Von unseren heutigen Festbräuchen, da wird manchmal behauptet, dass manche dieser Sachen heidnischen Ursprungs seien: Also, beliebt ist der Weihnachtsbaum, der soll dann eine Modifizierung der Thor- oder Donarseiche sein oder ein altes Fruchtbarkeitssymbol; der Adventskranz, habe ich gefunden, wird behauptet, sei ein alter germanischer Ringzauber gewesen. Das Problem ist, das ist alles völlig ohne Belege und man muss ehrlich sagen, bei diesen Beispielen zumindest ganz klar ist das reine Fantasie. Denn wir wissen von allen diesen Traditionen, dass sie aus dem 19. Jahrhundert stammen. Es gibt einige kleinere Traditionen, die in vorchristliche Zeit zurückreichen, zum Beispiel die Idee, man könne in dieser Zeit in die Zukunft schauen. Dahinter steht der Gedanke, dass zur Sommer- und Wintersonnenwende die Sonne kurz stillsteht, weil sie ihre Richtung wechselt. Und wenn die Sonne stillsteht, steht die Zeit still und das erlaubt uns einen Blick in die Zukunft. Da könnte man sich fragen, ob zum Beispiel der Brauch, der an Silvester gefeiert wird, des Bleigießens, ob das so ein Rest davon sei. Ein bisschen stärker in die Richtung dessen, was Sie gefragt haben, weist der Julbock. Das ist etwas, was es bei uns zwar nicht gibt, aber in Skandinavien. Und manchmal dann auch bei uns, weil Ikea ihn hier verkauft hat, zumindest vor ein paar Jahren, ich weiß nicht, ob er dieses Jahr im Angebot ist. Der Julbock ist eine Struppfigur, ein Ziegenbock, unter dem oder auf dem in Skandinavien die Geschenke präsentiert werden. Und da gibt es die Annahme, der weise zurück auf die Zugtiere vom Wagen des Thor oder Donar. Das ist eine Sache, die vielleicht noch am konkretesten ist. Was es gar nicht mehr gibt, die ursprüngliche Julnacht in Skandinavien, das war ein ziemlich ekstatisches Fest mit Gelagen, Trinken und der Rausch gehörte dazu. Da gibt es Quellen aus dem 17. Jahrhundert in Großbritannien, in England, die das verboten, den Christen. Das heißt also, das Saufen und wilde Feiern, das wurde damals speziell an Weihnachten verboten. Ob das allerdings ein Überleben eines alten germanischen Brauchtums war oder einfach nur ein Entarten des christlichen Weihnachtsfestes, das lasse ich jetzt hier mal offen.
Bei der Kellen: Wie begehen denn die neuheidnischen und neopaganen Kulte, die es heute gibt, und auch andere esoterische Gruppen das Wintersonnenwendfest dieser Tage?
Funkschmidt: Darf ich vielleicht zunächst mal fragen, woher kommt eigentlich die Faszination für diese germanische Vergangenheit, wie sie in neuheidnischen Gruppen praktiziert wird, also die Motivation? Dann erkennen wir nämlich auch, wie das begangen wird. Mir scheint, dass die Popularität dessen die Sehnsucht ist nach einer Welt vor der Moderne. Das ist eine Reaktion auf eine ausgesprochen komplexe und verwirrende gegenwärtige Welt, in der wir leben. Die technische Welt macht alles einerseits beherrschbar und andererseits aber auch schwer durchschaubar. Da gibt es eine gewisse Sehnsucht nach einer Welt, die noch einfach und integriert war. Der zweite Teil ist, glaube ich, eine Sehnsucht nach Verzauberung. Das Gleiche gab es schon im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die Aufklärung, die ja auch schon alles entzaubert hat, die Romantik zum Beispiel war eine Reaktion, die versuchte, die Welt wieder zu verzaubern. Das ist die Sehnsucht, glaube ich, die hinter den neuheidnischen Traditionen steht. Und in der Tat ist es so, dass das sogenannte Julfest, das in der Wintersonnenwende gefeiert wird, das höchste Fest in vielen dieser neuheidnischen Gruppen ist. Historisch ist zu sagen, das ist zweifelhaft, dass es ein solches vorchristliches Sonnenwendfest gegeben hat. Das wissen wir nicht, das können wir nur annehmen. Die Bräuche, die dort heute praktiziert werden, sind zum Teil solche, die mit dem Schmuck zu tun haben, man schmückt also sein Haus mit immergrünen Zweigen als Symbol der Fruchtbarkeit mit Buchsbaum und Eibe und Wacholderzweigen. Und da, wo die Gruppen organisiert sind, wo sie sich wirklich treffen, da versammeln sie sich an sogenannten Kraftorten. Manchmal ist das auch geheim, gerade diese neugermanischen, deutschtümelnden Gruppen, die geben das nicht vorher bekannt. Manchmal sind das Orte wie die Externsteine im Teutoburger Wald. Da ist vieles, was mit Feuerbräuchen zu tun hat, das heißt, da wird ein großes Feuer entzündet, dann gibt es einen Tanz um das Feuer, manchmal gibt es einen sogenannten Feuersprung. Der geht direkt zurück auf die Nazis, muss man sagen, wo Leute durchs Feuer springen und damit einen Neubeginn symbolisieren, manchmal auch Paare Hand in Hand. Runenorakel sind etwas, was in letzter Zeit beliebt ist, das sieht so aus, dass man Runen auf Steine oder auf Karten zeichnet und sie dann zieht, und aus drei Runen zusammen wird dann ein Orakel, weil jede Rune für ein bestimmtes Orakel steht, für eine bestimmte Weissagung steht. Damit soll das nächste Jahr erkennbar werden. Und es gibt ein sogenanntes Runenjoga, das ist was ganz Interessantes, das sieht so aus, dass man, die kleine Gruppe Menschen, die da ist – das sind meistens kleinere Versammlungen –, in bestimmten Formen aufstellt, sodass sie eine Rune bilden. Und das soll, das, was mit dieser Rune geistlich assoziiert wird, auf diese Menschen als Kraft übertragen. Also, der Versuch einer Symbolmagie, indem man ein Symbol mit Menschen stellt, die Kraft dieses Symbols auf sie zu übertragen.
Bei der Kellen: Was denken Sie, was äußert sich in dieser scheinbar immer stärker werdenden Rückbesinnung auf diese vielleicht auch nur vermeintlichen vorchristlichen spirituellen Wurzeln?
Funkschmidt: Vordergründig will ich mal mit einem Gedicht von Emanuel Geibel antworten, das ist der Mann, der das Lied "Der Mai ist gekommen" gedichtet hat. Der schrieb: "Glaube, dem die Tür versagt, steigt als Aberglaube ins Fenster. Wenn die Götter ihr verjagt, kommen die Gespenster!" Oder ganz kurz gesagt: Wenn der Glaube geht, kommt der Aberglaube. So könnte man es kurz und ein bisschen pointiert, auch ein bisschen polemisch sagen. Dazu muss man sagen, so populär das für die öffentliche Aufmerksamkeit, auch für die Medien und so spannend das auch ist, diese ganzen neuheidnischen Bräuche sind eine ganz kleine Minderheitengeschichte. Das ist wirklich alles überschaubar und spielt sich im Bereich von vielleicht ein paar Tausend Leuten in Deutschland ab. Die meisten Menschen feiern Weihnachten doch immer noch relativ traditionell. Ich sehe allerdings andere Veränderungen an Weihnachten, die wesentlich markanter sind: Es ist so, manche Bräuche entstehen, manche Bräuche vergehen. Und noch vor kurzer Zeit zum Beispiel war es so, dass in der römisch-katholischen Kirche nicht vier Adventssonntage gefeiert wurden, sondern sechs. Das war noch vor 1965 so und ist erst jetzt auf vier gegangen und kein Mensch erinnert sich mehr daran, dass es früher mal sechs waren. Persönlich habe ich jetzt wenig Sorge, ich sehe zwar auch, dass es eine Loslösung der Weihnachtsfeier in der Gesellschaft von ihren religiösen Wurzeln gibt, dass eine schon starke entchristlichte oder nachchristliche Gesellschaft immer noch Weihnachten feiert, aber im Grunde nicht mehr so richtig weiß, welchen Inhalt das hat. Als Christ sehe ich das aber auch wiederum relativ gelassen, weil die Kirche nun immer wieder durch Krisen gegangen ist in ihrer Geschichte und weil ich darauf vertraue, dass es jetzt nicht davon abhängt, was wir tun und machen, dass Weihnachten weiterhin gefeiert wird. Weil letztlich die Substanz über das hinausgeht, was wir als Gesellschaft und auch wir als Kirche dazu tun und sagen können. Insofern habe ich da Vertrauen, dass Weihnachten stärker ist als die jetzige Entkirchlichung und auch Kommerzialisierung des Ganzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.